Ein Fest für heimliche Helden

Ein Fest für heimliche Helden

Man könnte die Geschichte beginnen mit all den Nationalrätinnen, Staatsräten, Gemeindepräsidenten oder Grossrätinnen, die sich teilweise mit Edelweisshemd unter die Leute mischen. Oder man kann die Politik und die Prominenz für einmal beiseite lassen und darüber berichten, worum es beim Alpabzug in Plaffeien eigentlich geht: die Hirtenfamilien. Ihre Arbeit, ihr Stolz, ihr Erbe.

chäme Eggers vom Chänel ai», ruft derweilen schon jemand dazwischen. Jene Freunde und Bekannte, die beim grossen Trupp mit Pferden, Geissen, Rindern und Kühen nicht mitgeholfen haben, bahnen sich eilig den Weg an den Strassenrand. Tausende säumen derweilen bereits die Dorfstrasse. Einigen davon wird jetzt etwas mulmig zumute. Yanik und Fabio haben die Tiere gesömmert, auch Mutter Rita findet man mitten im Tross. Einer aber fehlt: Vater Mario Egger. Er verstarb vor wenigen Jahren nach kurzer Krankheit und viel zu früh. Er war der glücklichste Hirt nördlich der Alpen, den Chänel zu bewirtschaften war ein Traum und seine Zuverlässigkeit war weit über die naheliegende Kaiseregg hinaus bekannt. Nun fehlt er. Seinen Lebenstraum aber, den lebt die Familie weiter. Es war von Anfang an klar, dass seine Söhne an der geliebten Alp Chänel festhalten würden. Nun, wenige Jahre später, präsentieren sie am Alpabzug Plaffeien eine der grössten Truppen, die heimkehrt; und eine der am schönsten geschmückesten noch dazu. Doch wer Eggers kennt, der weiss um ihr Traditionsempfinden und ihre, ja wir sagten es schon, Zuverlässigkeit. Vorne weg laufen Fabiola und Funny, zwei fuchsfarbene Freibergerstuten, Mutter und Tochter. Die Stunden, die Vater Mario mit den beiden verbracht hat, lassen sich nicht zählen. Stolz und ruhig laufen sie mit Bastsattel dem grossen Trupp vorneweg. Und nur wenige wissen, wie viel Arbeit es brauchte, um die stolze Leitstute Fabiola handzahm zu bekommen. Wie viele Zaunpfähle sie geladen hatte, um die steilen Hänge beim Chänel ausbruchsicher für die etwas vorwitzigen «Gustis» zu machen. Nun bahnt sie sich ruhig und stolz zwischen tausenden von Menschen den Weg, für die Geissen und Kühe, die ihr dicht auf den Hufen folgen. Im Schlepp ein Fohlen, fuchsfarben und mit viel Weiss im Gesicht: Die Familientradition von Eggers und dem Chänel geht weiter, jene der Stute Fabiola ebenfalls. Mario Egger ist plötzlich wieder da, sein konzentriertes Gesicht, wenn er um das Wohl seiner Tiere besorgt ist, sein stolzes Lächeln, wenn er auf seine Söhne blickt und die weichen Züge, wenn er an seine Frau denkt. 

Der Alpabzug mag ein Freudenfest sein, aber das ist nur an der Oberfläche gekratzt. Hinter den üppig geschmückten Kühen, den Jodlergesängen und dem bunten Treiben stecken viele Geschichten. Jene von Liebe, Verlust, Kampf, Sieg und Niederlage. Geschichten wie jene von tragischen Verlust vom Mario Egger und dem unglaublichen Kampf von Yanik und Fabio. Heldengeschichten, die keiner kennt. Was während der Sömmerung oder wenn man «z’Bärg geit» geschieht, ist nicht immer Friede, Freude, Fondueessen. Es ist ein Kampf, es ist streng, es zehrt an der Sub-stanz und macht trotzdem so tief im Inneren eines jeden Alphirten so unendlich viel Freude. Zu lesen ist die einzigartige Geschichte einer Sömmerung nicht in den Zeitungen, sehr wohl aber in den Gesichtern der Alphirten. Hinter jeder Furche steckt eine Geschichte, hinter jeder Narbe eine weitere. Wenn also der Alpabzug in Plaffeien ein Freudenfest ist, dann ist es gleichzeitig auch eine Ehrung all der Heldinnen und Helden, die Sommer für Sommer keinen Aufwand scheuen, um de Tiere zu beweiden, gesund zu erhalten und wieder nach Hause zu begleiten. Stolz wäre das passende Wort und wären die Alphirten Adelige, man würde sie auf Sänften zu Tale tragen. Doch es sind «Seisler». Eine Sänfte wäre ihnen etwa so unangenehm wie ein Stein im Bergschuh. Der Stolz hat im Sensebezirk wenig Platz. Dazu braucht es dann schon einen Zeitungsbericht, der verrät, aus welchem Holz diese Alphirten geschnitzt sind. Was bleibt, wenn die Tiere inzwischen wohlbehalten zuhause im frischen Einstreu stehen und nach den Strapazen zufrieden am heimischen Heu malmen, sind wohltuende Klänge, mundender Käse und das Auffrischen all jener Geschichten, die den zerfurchten Mienen wieder ein heiteres Lachen ins Gesicht zaubern. Dann sind die Tapferen unter sich und wir ziehen uns leise zurück und verneigen uns vor einem Fest für heimliche Helden.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Ein Fest für heimliche Helden

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt