Er wollte gar nicht so lange bleiben

Er wollte gar nicht so lange bleiben

Wer die schönste Aussicht weit und breit sucht, der bleibt unweigerlich früher oder später in Rüeggisberg hängen. Doch die 35 Quadratkilometer grosse Gemeinde ist weit mehr als Aussichtspunkt und Klosterruine. Das weiss kaum jemand besser als Peter Zurbrügg.

Seit bald 27 Jahren ziert sein Name ein Türschild in der Gemeindeverwaltung mit dem Vermerk: Gemeindeschreiber und Bauverwalter. Ein klein wenig wundert er sich selbst, wie schnell ein Vierteljahrhundert vorbei geht, wenn man in Rüeggisberg lebt. «Ursprünglich dachte ich nicht, dass ich so lange da sein werde», gibt der gebürtige Kandertaler zu. Heute weiss er, dieses «Roggeresberch», wie die Gemeinde vor rund 1000 Jahren hiess, hat genügend Humus, um sogar einen gestandenen Oberländer Wurzeln schlagen zu lassen. Ein klein wenig ablenken muss er dann doch, indem er ergänzt: «Meine Frau hat sogar noch etwas schneller Wurzeln geschlagen.» Das war spätestens im Jahr 2005 klar, als die Familie Zurbrügg auf der damals letzten Bauparzelle ein Haus errichtete.

Die Magie
Rüeggisberg sei ein Kraftort, das gilt im Volksmund nach wie vor und soll anscheinend schon lange bevor die Mönche Cono und Ulrich das Kloster bauten, gegolten haben. Hat diese Magie auf die Spiezerin und den Kandertaler gewirkt? «Der Ort fasziniert, das geht mir nicht anders», lautet seine Antwort. Seit vielen Jahren ist er im Verein Klostersommer Rüeggisberg engagiert. Die Klosterruinen sind zum Kultur- und Begegnungsort geworden und der Gemeindeschreiber selbst hat einen nicht unwesentlichen Anteil daran, auch wenn er das nie von sich selbst behaupten würde. «Ich bin eher wie ein Kontrabass, im Hintergrund. Man sieht und hört ihn zwar, aber er steht nicht im Vordergrund», vergleicht er. Seine ruhige Art ist längst zu seinem Markenzeichen geworden. Reden schwingen und in der Öffentlichkeit stehen, nein, das ist nicht sein Ding. «Ich empfinde das nicht als angenehm, aber ich weiss, dass es manchmal sein muss. Für Reden muss ich dann aber stets auf Notizen zurückgreifen», klingt er so aufrecht wie eine Wettertanne auf der Bütschelegg.
Nachbarschaftlich
Hat die Magie von Rüeggisberg also gewirkt? Ja, aber nicht nur. Es sind gleichermassen die 1800 Menschen, die es ihm angetan haben oder, wie er es beschreibt: «Dieses typisch Ländliche, wo man sich noch kennt, grüsst und vor allen Dingen hilft, das gefällt mir hier besonders. Die Nachbarschaftshilfe ist selbstverständlich; man schaut zueinander.» Er zeichnet ein gänzlich anderes Bild, als jenes von Mönch Ulrich, der vor 1000 Jahren schrieb: «Es ist ein irrendes, bisher noch rohes und tierisches dem Christum nur dem Namen nach bekennendes Volke.» Und doch stimmt beides ein klein wenig. Rüeggisberg ist ein Flecklein Erde mit einem Blick bis ans Mittelmeer, wenn die hohen Berge aus Zurbrüggs Heimat nicht wären. Ein Ort, der die Menschen prägt; mit Weitsicht und Eigenständigkeit. Hier macht man nicht jede Mode mit, hier bestimmt die Natur noch den Takt des Lebens. «Es gibt Leute, die diesen Ort besucht haben und seither hier leben wollen», ergänzt er.

Lieblingsorte
Ist denn die Klosterruine sein persönlicher Lieblingsort? Wieder lautet die Antwort: Ja, aber nicht nur. Zurbrügg ist, wenn er den Schreibtisch verlässt, ein Mann der Berge. Deshalb ist der höchste Ort auf dem Gemeindeboden für ihn von besonderer Bedeutung. Auf 2175 m ü. M. Wenn Sie sich nun verwundert die Augen reiben und die Bütschelegg, die Gibelegg und den Riedhubel gedanklich durchgehen und sich sagen hören: Die sind doch nicht so hoch? Seien sie unbesorgt. Sie haben völlig recht. Die drei Hügelzüge sind zwar vermutlich auf dem Wappen von Rüeggisberg gemeint, den höchsten Punkt aber, den bildet der Gantrisch. Es ist dem Kloster zuzuschreiben, dass es ein Plateau Richtung Leiterenpass als Exklave lange sein Eigen nannte und es nun zum Gemeindeboden von Rüeggisberg gehört. Ganz nach dem Motto: Wer ein Ort von solch Schönheit ist, dem gebührt auch ein hübscher Berg. Jener markante Gipfel, der einem ganzen Gebiet und dem Naturpark den Namen gibt, ja, der gehört zur Gemeinde Rüeggisberg. «Der Gantrisch ist sozusagen unser Hausberg, deshalb will ich ihn jedes Jahr einmal besteigen», sagt der oberste Verwalter.

Jetzt will er bleiben
Längst ist klar, der heute 58-Jährige hat nicht nur Wurzeln geschlagen, er ist zu einem schattenspendenden Baum für die Gemeinde gereift. Wo viele Gemeinden mit Abgängen kämpfen und händeringend Ersatz suchen, hat Rüeggisberg ein wenig seines örtlichen Zaubers versprüht. Zusammen mit seinem eigensinnigen und gleichwohl offenen Volk ist es dem Dorf gelungen, einen Gemeindeschreiber und Bauverwalter zu gewinnen, der heute viel mehr ist als nur der oberste Verwalter. Er ist zu einem Teil eines Ortes geworden, von dem heute noch eine gewisse Magie ausgeht. In der langjährigen und einschneidenden Geschichte von Rüeggisberg wird eines Tages ein kleines Kapitel über diesen Peter Zurbrügg zu lesen sein. Jenes über einen Mann aus den Bergen, der mit seiner ehrlichen und ruhigen Art ein Dorf mitgestaltete, das umgeben von einer schnelllebigen Zeit seinen Rhythmus behält. In seinen Worten klingt das jedoch weitaus bedächtiger und bescheidener. Er meint zum Schluss lediglich: «Ja ich denke, ich werde diesen Beruf wohl noch bis zur Pensionierung machen.»

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