«Wollen wir diesen Lebensraum opfern?»

«Wollen wir diesen Lebensraum opfern?»

Braucht es ein grosses Solarprojekt auf der grünen Wiese? Biologinnen, Ornithologen und weitere Naturliebhaberinnen setzen sich für einen Lebensraum ein, der in seiner Ausdehnung und in der Vernetzung von geschützten Naturflächen schweizweit einzigartig ist. Sie betonen, dass Fotovoltaik nötig sei, aber auf bestehenden Bauten mehr Sinn mache. Werde das Belpmoos mit Panels verbaut, prognostizieren sie, würde man dies zukünftig als «Bausünde» bereuen.

Im Januar dieses Jahres präsentierten die BKW und Bern Airport ihre Pläne für die Grünfläche südlich der Piste: Auf dem Areal des Flughafens Bern-Belp soll die grösste Freiflächen-Solaranlage der Schweiz entstehen, und zwar umweltverträglich. Die Gantrisch Zeitung berichtete in der Märzausgabe darüber. Im August jedoch gründeten kritische Gegenstimmen den Verein Natur-Belpmoos. Die Wiese, an der entlang Businessjets, Ferienflieger oder Kleinflugzeuge starten und landen, ist nämlich, nach dem Waffenplatz Thun, die grösste Trocken- und Magerwiese im gesamten Schweizer Mittelland. 

Belpmoos vernetzt Lebensräume

Einer, der das Gebiet kennt wie kaum ein anderer, ist Jürg Hostettler. Der Muriger Ornithologe engagiert sich seit Jahrzehnten für die unverbauten Flächen beidseits der Aare. Die Auenlandschaft entlang von Aare, Giesse und der renaturierten Gürbe, der Selhofenzopfen nahe der Gürbemündung, die Aarematten unterhalb von Muri, die Märchligenau: «Mittendrin liegt das Belpmoos, das diese Lebensräume vernetzt.» Gerade deshalb sei es sinnlos, bei der ökologischen Beurteilung der Fläche, das Solarprojekt isoliert zu betrachten. Vögel, Schmetterlinge oder Käfer interessieren sich weder für Perimetergrenzen noch lassen sie sich vom Maschendrahtzaun abhalten, der das Flughafengelände schützt. Und von ihnen gibt es einige, wie er begeistert aufzählt: In den «Schürli» auf den Äckern brüten Schleiereulen – und mausen auch auf der Wiese bei der Piste. Zahlreiche Arten, die er vor 30 Jahren noch beobachten konnte, haben in der Zwischenzeit grosse Bestandeseinbussen erlitten. Die Renaturierungsmassnahmen, Änderungen in der Bewirtschaftung der Felder zeigen langsam Wirkung. Das Schwarzkehlchen brütet heute in etwa acht Paaren rund ums «Mösli». Sie jagen vom Zaun aus ins Flughafenareal hinein. Auch Arten wie der Wendehals oder der Kuckuck seien wieder da, und letztes Jahr war endlich wieder einmal der Gesang der Grauammer über längere Zeit zu vernehmen – diese ist auf der Roten Liste und gilt in der Schweiz als vom Aussterben bedroht. Auch für viele durchziehende Vögel ist das Belpmoos von überregionaler Bedeutung. Feldlerchen, diverse Pieperarten, Braunkehlchen, Steinschmätzer, Weihen und Falken können hier regelmässig beobachtet werden. Viele Raritäten wie Blaukehlchen, Rotfussfalke, Triel, Sichler, Kurzzehenlerche oder Sumpfohreule wurden schon entdeckt und locken jeweils Dutzende Ornithologen an. «Anscheinend hat sich die Nahrungsgrundlage im Belpmoos wieder verbessert», stellt der Experte erfreut fest.

«Zerstört man etwas, ist es weg»

Ihm pflichtet mit Katharina Bieri-Steck ein anderes Vorstandsmitglied von Natur-Belpmoos bei: «Die Magerwiese gibt es seit schätzungsweise hundert Jahren. Mit ihren Trespen bietet sie Insekten, Vögeln und Kleinsäugern guten Lebensraum – vor allem in dieser Ausdehnung.» Man fände etwa wilden Thymian, der nur dort wachsen könne, wo es lückig sei und selten gemäht werde, weiter Margriten, Wiesensalbei, knolligen Hahnenfuss, Frühlingsschlüsselblume und einiges mehr. Natürlich sei es hier, in dieser ehemaligen Schwemmlandschaft, nicht so artenreich wie etwa in der osteuropäischen Wildnis. Doch die Kehrsatzer Botanikerin betont: «Wenn man etwas zerstört, dann ist es weg.» Ein solch grosses Projekt bedeute einen massiven Eingriff in die Natur – trotz Pfeilern, die gemäss der Aussage von Flughafen-CEO Urs Ryf in der Märzausgabe dieser Zeitung ohne Betonfundament auskommen was sie bezweifelt.

Zukünftige Bausünde?

Wo keine Wanderwege hindurchführten, sei der Aufschrei bei Eingriffen meist nicht so gross, wissen die beiden Naturschützer aus Erfahrung. Doch Hostettler ist sich sicher: «Wird Belpmoos Solar realisiert, werden wir in zehn Jahren hier stehen und sagen ‹Das hier ist ein Beispiel einer Bausünde aus den Zwanzigerjahren – es wäre nicht nötig gewesen›.» Auch würden viele Erholungssuchende einmal ausrufen: «Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir dazumal nein gesagt», prophezeit er. Er versteht die positiven Signale des Kantons gegenüber dem Projekt nicht. Heute sei sich doch die Politik weitgehend einig, dass Photovoltaik auf Grünflächen ein No-Go ist. «Würden wir alle geeigneten Dächer von Belp mit Panels bestücken, hätten wir die doppelte Strommenge von Belpmoos Solar», veranschaulicht Bieri. 

Dachpotenzial ungleich grösser

Ins gleiche Horn blies Urs Muntwyler am Belper Infoanlass von Mitte August. Der Alt-Grossrat und emeritierte Professor für Photovoltaik findet die geplante Grossanlage eine «Schnapsidee». Nicht nur würde der produzierte Strom den bestehenden PV-Strom aus Belp und Umgebung konkurrenzieren und zum «Greenwashing» der Privatjetfliegerei des Flughafens beitragen, vor allem würden die für Photovoltaik in Frage kommenden Dach- und Fassadenflächen in der Schweiz bei weitem ausreichen, um zusätzlich 45 Terawattstunden Strom zu produzieren. Diese Menge sei nämlich nötig, um zukünftig nicht mehr auf Stromimporte angewiesen zu sein. Mit Zahlen vom Bundesamt für Energie belegt er, dass mit dem PV-Dachpotenzial rund um Belp und inkl. der Stadt Bern das Vierzigfache von Belpmoos Solar produziert werden könne.

Gesellschaftliche Grundsatzfrage

Einwenden lässt sich, dass ein Grossprojekt gezielter und zügiger umgesetzt werden kann als tausende von Kleinanlagen. Doch Bieri und Hostettler geht es weniger um das konkrete Projekt als um die Grundsatzfrage: «Wollen wir die letzten wertvollen Ökoflächen im Mittelland wirklich solchen Projekten opfern?» Eine Karte der Akademie der Naturwissenschaften und des Forums Biodiversität Schweiz lässt die Betrachtenden in der Tat leer schlucken: Die Trockenwiesen und -weiden im Land haben seit 1900 95 % ihrer Fläche verloren. Seit 1990 beträgt der Rückgang einen Drittel. Heute gibt es im Mittelland nur noch acht Trockenwiesen, die grösser als fünf Hektaren sind – das Belpmoos ist mit 21,5 ha wie erwähnt die mit grossem Abstand zweitgrösste. Natur-Belpmoos spricht sich klar für mehr Solarstrom aus – aber auf Dächern, an Fassaden oder entlang von Autobahnen. «Eine Magerwiese in dieser Grösse wird es kaum wieder geben – sie hat einen sehr grossen Wert», betont Vorstandsmitglied Hostettler. Das sei auch der Grund, warum er sich nun auch noch fürs Belpmoos einsetzt. Er wünscht sich möglichst viele Vereinsmitglieder, um gegenüber den grossen Playern wie der BKW oder dem Flughafen ein Gewicht zu haben und zu zeigen, dass die biodiverse Fläche erhalten bleiben soll. «Die Welt wird wegen einem solchen Projekt nicht untergehen», sagt er pragmatisch, «aber wir opfern eine im Mittelland einzigartige Fläche, die es so nicht wieder geben wird.» Eine Fläche, die für Aussenstehende vielleicht nach nicht viel mehr aussieht als nach hohem Gras mit ein paar Blumen. Aber die gleich mehrere geschützte Lebensräume von zahlreichen Tieren verbindet und die bis vor kurzem im Begriff stand, ins Bundesinventar der Magerwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung aufgenommen zu werden. Bieri fasst zusammen: «Bleibt die Wiese bestehen, können wir verschiedensten Arten auch weiterhin einen Lebensraum anbieten – und uns hoffentlich positiv überraschen lassen, wer sich in den nächsten Jahren wieder hier ansiedelt.»

INFO:
www.natur-belpmoos.ch

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«Wollen wir diesen Lebensraum opfern?»

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