«Muesch schaffe?»

«Muesch schaffe?»

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen ähnlich geht wie mir: Ich arbeite in meinem Traumberuf und muss in meinen Tagen nichts tun, was mir unter dem Strich nicht irgendwie sinnvoll erscheint.

Ich bin Musiker und Kulturlobbyist für den Musikverband SONART, gleich zwei Berufe, die einem in der Berufsberatung kaum vorgeschlagen werden. Ich weiss, dass das eine sehr privilegierte Ausgangslage ist: gleich zwei Aufgaben mit Verdienst zu finden, die so gut zu mir passen. Das ist nicht für alle Menschen möglich.
Und entsprechend oft finde ich mich in einer Lage wieder, die wir Schweizerinnen und Schweizer bestens kennen. Ich werde gefragt, wie es läuft und höre mich selbst sagen: «Ja, gut, eifach grad chli viil.» «Du gäll, es muess.» «I cha nid chlage.» Als ob man eigentlich klagen können müsste. Ich antworte so, weil mir die Fragen das Gefühl geben, dass das erwartet wird. Denn auch wenn man vom Traumberuf erzählt, kommen die Nachfragen: «Aber kannst du davon leben?» «Ist sicher schwierig, so viel unterwegs zu sein.» «Da hat man auch harte Konkurrenz, oder?»

Ich weiss nicht, ob man mir mit diesen Nachfragen das schlechte Gewissen ersparen will, dass ich tatsächlich nichts zu klagen haben könnte, oder ob die Leute sich selbst vergewissern wollen, dass auch ich Kompromisse machen muss.

Kompromisse natürlich: Ich lebe mit meiner Familie eigentlich unter der Grenze des Existenzminimums – aber wir haben unsere Prioritäten im Leben so gesetzt (sprich: unmaterialistisch), dass wir nie das Gefühl haben, auf etwas verzichten zu müssen. Auch das: Ich muss sehr viel Zeit vor dem Computer verbringen, mit Social Media, Terminplanung, Buchhaltung usw. und ich mag das nicht – aber all das dient immerhin dem Zweck, meine Musik zu den Menschen zu bringen. Jede Arbeit bringt ihre Kompromisse mit sich. Das beschäftigt mich aber kaum, ich habe tatsächlich nichts zu klagen. Diese Fragen hingegen beschäftigen mich: «Muesch no schaffe?» «Bisch am bügle?» «Work-Life-Balance». Formulierungen, die den Eindruck vermitteln, dass Arbeit selbstverständlich eine Belastung ist, ein Müssen, das B-Leben gegenüber dem A-Leben, in dem man wirklich lebt. Haben wir das so verinnerlicht, dass wir eher davon ausgehen, dass Arbeiten auch die anderen primär belastet, als dass wir die Erwartung wagen würden, dass Arbeiten uns selbst sogar gut tun könnte?

Ich habe vor vielen Jahren mal den amerikanischen Musiker und Autoren Mat Callahan gefragt, wie sich die Entwicklung seiner Karriere für ihn anfühle. Er hat mit seiner Band in den 80ern vor Tausenden von Leuten international gespielt und singt nun oft in halbleeren kleinen Schweizer Musikclubs. «Mich kümmert meine Karriere ganz und gar nicht, mich kümmert mein Leben», hat er geantwortet. Das habe ich zum Glück mitgenommen.

Im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass ich Glück habe, und dass nicht allen Menschen für ihre persönlichen Interessen gute Berufe zu Verfügung stehen: Ich wünsche es auch Ihnen sehr, dass Leben und Arbeit keine Gegensätze sein müssen, sondern identisch sein können. Oder zumindest, dass Sie sich einfach freuen können und nicht so ein schweizerisches schlechtes Gewissen haben, wenn es einmal zumindest für Momente gerade einfach stimmt.

PS: Ich erwähne übrigens meist auch, dass ich «beruflich» zudem ca. 50% Vater sei, und da sagen restlos alle immer: «Ah, wie schön!» Dass man sich da einig ist und dabei keine negativen Aspekte findet, das freut mich immer sehr. Es ist auch fraglos der wichtigste Teil meiner Arbeit und meines Lebens.

Christoph Trummer

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