Das Geschäft mit den Heilquellen

Das Geschäft mit den Heilquellen

Kriege, Heilung, Reich und Arm – Das Geschehen in den Gantrisch-Kurbädern bewegte alle, die in diesen verkehrten: Dazu gehörten die Gäste, das Personal sowie die regionalen Einwohner. Und nirgends ging es so mondän zu wie im Gurnigelbad.

Für das Gebiet um den Gurnigel war das Bad ein wichtiger Wirtschaftsfaktor wie Lokalhistoriker und Theaterschaffender Theo Schmid weiss: «Der Reichtum kam aus den Bädern und war für den aufkeimenden Tourismus wichtig.» Die damalige Badestätte sei darüber hinaus ein mondäner Treffpunkt gewesen, der auch den nationalen Tourismus geprägt habe. Für den Gurnigel-Karrer Albert Beyeler waren seine Fahrgäste «samt und sonders noble, vornehme, reiche Leute». Und unter diesen hätten sich «Adlige, echte und unechte» befunden. Und die Saaltochter Dori Baur-Balsiger beschreibt die Gäste als «hochnäsige, schnippische, stolze verwöhnte und anspruchsvolle Leute», unter denen es aber auch nette und freundliche gegeben habe. Ob in diese Kategorie auch die Schweizer Berühmtheiten gehörten, bleibt offen, auf jeden Fall waren auch sie Teil des Spektakels: Albrecht von Haller, Heinrich Pestalozzi oder Gottfried Keller, um nur einige zu nennen. Auf diese prominente Gästeschar wartete ein Raumangebot der Sonderklasse: Billardzimmer, Damensalons und im Aussenbereich eine Englische Anlage mit vier Springbrunnen. Wer sich kein nobles Doppelzimmer leisten konnte, dem stand mit der Sennhütte eine günstigere Alternative zur Verfügung, sie bestand aus Hallen mit je 40 bis 50 Betten.

Eingebettet in das Umland
Auch wenn sich vor Ort viele Gutbetuchte aufhielten, war der Gurnigel keine Insel, die Gäste interagierten mit dem Umland. Einerseits durch die vielen Angestellten, andererseits durch Bauern und Unternehmer, welche das «Resort» mit Milch, Kartoffeln oder sonstigen Dienstleistungen versorgten. Noch intensiver als die Lieferanten tauschten sich die Angestellten mit den Gästen aus. Wie Schmid sagt, kamen viele Arbeitende aus Riggisberg, weniger von ihnen aus dem ärmeren Rüschegg. «Manche von ihnen pendelten, andere übernachteten im Mitarbeitergebäude», so Schmid. Auch wenn die Badbetreiber zahlreiche Stellen vergaben, kamen nicht alle Menschen aus dem Umland dafür in Frage. Den Hotel-Betreibern war ein guter Leumund ihrer Angestellten wichtig. Zudem mussten die Kurhotel-Mitarbeiter ihre Arbeitskleider selbst organisieren, was den Kreis der Anwärter ausdünnte.

Europas Krise erreicht das Gurnigelbad
Seriöses Personal, Gäste aus der «Haute-Volée» und ein Angebot, das Luxus mit Bäderkuren verband. Der «Gurnigel-Zirkus» hätte wohl noch lange so weiterlaufen können. Doch als 1902 ein Grossbrand fast sämtliche Gebäude des Gurnigelbads zerstörte, fand der Betrieb ein jähes Ende – niemand wusste damals, dass dieses Ereignis das Ende der erfolgreichsten Gurnigel-Ära einläutete. Zwar stand am alten Ort bereits drei Jahre später ein prunkvoller Steinbau, welchen der damalige Direktor Hans Krebs stolz als so unendlich lang «wie die Spitalgasse in Bern von der Heiliggeistkirche bis zum Bärenplatz» beschrieb. Der Gurnigel wäre bereit gewesen, an seine Goldene Ära anzuknüpfen und weitere Gästescharen aufzunehmen. Doch aufgrund verschiedener Erschwernisse blieben die Gäste zunehmend aus. Schwierigkeiten bereiteten den Betreibern im ersten Weltkrieg etwa höhere Preise für Waren sowie die daraus resultierenden Mehrkosten. Auf den Krieg folgte die Spanische Grippe, welche die Reiseströme ebenfalls einbrechen liess. Zudem wurden in den 1930er-Jahren die Auswirkungen der Grossen Depression spürbar, nachdem sie ein Jahrzehnt zuvor in den USA aufflammte. Auch wenn sich die Verantwortlichen immer wieder gegen diese Krisen von aussen stemmten, fiel es ihnen zunehmend schwerer, genügend Besucher ins Bad zu holen. Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, implodierten die Besucherzahlen.
Schliesslich sah sich die Besitzerfamilie Pulver zum Verkauf der Anlage an die Schweizer Armee. Sie hatte für das Gebäude allerdings keine Verwendung, worauf sie es im Jahr 1946 sprengte. Für die Menschen aus der Region seien die wegfallenden Einkünfte aus dem Kurbetrieb ein wirtschaftlicher Rückschlag gewesen, sagt Buchautor Christian Raaflaub, dies galt insbesondere auch für die konjunkturschwachen Nachkriegsjahre.

Weitere Bäder in der Region
Kein Zweifel, das Grandhotel bei Riggisberg fasziniert und inspirierte. Leicht geht dabei vergessen, dass es in der Region weitere Mineralbäder gab – einige von Ihnen waren auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter in Betrieb. Zu diesen gehörte beispielsweise das Längeneybad bei Rüsch-
egg oder das Ottenleuebad in der Gemeinde Guggisberg. Letzteres war im Vergleich mit dem Gurnigelbad kleiner, in den 1950er-Jahren verfügte es über 40 Betten – im Grandhotel waren es deren 600 – und bereitete an die 150 Bäder im Jahr zu.

In den 50er-Jahren bereits nicht mehr im Betrieb war das Buttningenbad in der Nähe von Schwarzenburg. Trotz des geschlossenen Bades kamen Kunden in den Genuss des heilenden Wassers, dies in Form von Mineral- und Tafelwasser. Das Hotel Schwefelbergbad auf Rüschegger Gemeindegebiet wurde Mitte 2012 verkauft und ist seitdem geschlossen.

Bädersterben als Resultat von Krisen und Fortschritt
Auch wenn lokale Zäsuren und geopolitische Krisen mitverantwortlich für das Bädersterben waren, zeigt sich, dass der technische Fortschritt ebenso zum Verschwinden der Kuranlagen beitrug. Ein Umstand, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch ausgeprägter zeigte. So entwickelte die Pharmaindustrie immer mehr Medikamente, die Krankheiten effektiv heilten, womit deren Behandlung mit einem Kurbad wegfiel. Zudem statteten Bauunternehmen immer mehr Immobilien mit Badewannen aus – womit das Bad ausser Haus an Attraktivität verlor. Folgerichtig nahm die Zahl der Bäder stetig ab: Im Kanton Bern existierten 1918 38 Mineralbäder, 1955 waren es noch 24.

Reichtum und Armut, Aufstieg und Fall sowie Kriege und Katastrophen – eingebettet in die Welthistorie ereigneten sich in den Gantrisch-Bädern die unterschiedlichsten Geschichten, welche zurück in die Welt strahlten.

Quellen:
Däpp, Walter; Trachsel, Hansueli; Wyler, Theo: Gesundgebadet, ein Berner Bäderbuch. Bern 1982.
Lüthi, Adrian: Die Mineralbäder des Kantons Bern: Wesen Entwicklung und touristische Bedeutung. Burgdorf 1957.
Raaflaub, Christian: Gurnigelbad. Die Stadt im Walde. Thun / Gwatt 2018.
Vom Kurbad zur Pilgerherberge in: Berner Oberland – Das Magazin – Frühling 2007.

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Das Geschäft mit den Heilquellen

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