Marathon – Für Olympia geht er fremd

Marathon – Für Olympia geht er fremd

Der achtfache OL-Weltmeister Matthias Kyburz ist der beste seines Fachs. Doch für das Olympiajahr hat er sich ein anderes hohes Ziel gesteckt. Er will an den Olympischen Spielen in Paris im Marathon an den Start gehen und hat deshalb sein Trainingsprogramm auf den Kopf gestellt. Statt OL mit Läufen im Wald und Trainingslagern in Finnland und Schweden läuft er jetzt flach, 180 Kilometer pro Woche, mal 35 Kilometer am Stück. Abwechslungsweise steht Schnelligkeit auf dem Programm, auch das Krafttraining kommt nicht zu kurz. OL ist nach wie vor nicht olympisch – im Marathon soll Kyburz jetzt doch noch zum Olympioniken werden.

Herzliche Gratulation. Noch ein Titel: «Berner Sportler des Jahres». Was bedeutet das für Sie?

Sehr viel, denn es ist auch der Lohn für eine extrem erfolgreiche Saison. Als OL-Läufer ist es nicht einfach, eine solche Auszeichnung zu gewinnen, weil unsere Sportart in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. So betrachtet, ist es nicht nur eine Anerkennung für meine Leistungen, sondern ebenso für die gesamte Sportart. Im OL muss man wirklich gut sein, um eine solche Ehrung zu erfahren.

An der Heim-WM in Laax holten Sie im 2023 zweimal Gold und einmal Silber. Werden Siege bei Ihnen zur Gewohnheit und nehmen Sie diese Titel quasi im Vorbeigehen mit?

Nein, so einfach ist das nicht, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir Schweizer OL-Läufer haben uns in einem Vierjahres-Projekt auf diese WM vorbereitet. Jeden Titel musste ich mir hart erarbeiten. Umso schöner, dass ich zuhause mit meiner Familie und meinen Freunden feiern durfte.

Sie wurden nicht nur Einzel-Weltmeister, sondern holten auch mit der Mannschaft Gold. Sind die Emotionen nach einem Sieg im Team grösser als nach einem Titel in einem Einzelrennen?

Eine schwierig zu beantwortende Frage. Normalerweise sind bei einem Mannschaftstitel die Emotionen grösser, auch weil alle OL-Interessierten diesem Tag entgegenfiebern. Diesmal war es deshalb etwas anders, weil ich mit einem Vorsprung auf die Schlussstrecke ging. Im Einzel hatte ich keine Ahnung, wie ich unterwegs war. Als mich dann kurz vor dem Ziel beim Einlauf die Zuschauerinnen und Zuschauer frenetisch jubelnd empfingen, war mir klar, dass ich Gold gewonnen hatte. Die letzten Meter gingen mir wirklich unter die Haut.

Sie haben sich von Februar bis Juni minutiös auf die WM vorbereitet. Wie sah das Trainingsprogramm aus?

Ende Mai weilten wir während drei Wochen im Höhentraining in St. Moritz. Wir trainierten in alpinem Gelände möglichst wettkampfnah mit entsprechenden Steigungen und absolvierten auch Testwettkämpfe. Daneben lief das Training wie immer: zweimal täglich, pro Woche rund 16 Stunden oder 150 Kilometer.

Waren Sie auch oft in Laax? Kennen Sie dort jeden Baumstrunk?

Die Rennstrecke und das Laufgelände in Laax waren für uns tabu. Vor einer WM wird ein Gelände rund um die Strecke vom internationalen OL-Verband abgesperrt, wer trotzdem dort auftaucht, wird gesperrt. Wir trainierten rund um dieses Gebiet herum in relevanten Wäldern, daher kenne ich in Laax nicht jeden Baumstrunk und auch nicht jeden Wald auswendig.

Am meisten Respekt scheinen Sie vor der Langdistanz, die bis zu 15 Kilometer lang ist, zu haben. An der WM holten Sie Silber, waren über den zweiten Platz aber genauso glücklich wie über Gold in der Mitteldistanz. Weshalb?

Bisher ist es mir noch nicht gelungen, über 90 Minuten die erforderliche Konzentration hochzuhalten, das ist für mich die Knacknuss. Aber Silber ist ja auch nicht so schlecht…

Also ist die Goldmedaille über die Langdistanz das einzige Ziel, das Sie noch erreichen wollen.

In diesem Jahr stehen turnusgemäss nur Sprintstrecken auf dem WM-Programm. 2025 in Finnland ist die Langdistanz mein erklärtes Ziel. 

Sie gewannen im 2022 den Grand Prix von Bern. Dort liefen Sie nach 16,093 in 48:52 ins Ziel und erreichten trotz Aargauerstalden einen Schnitt von ziemlich genau drei Minuten pro Kilometer. An der Ausdauer kann es somit nicht liegen.

Je nach Saisonplanung bin ich gerne am Grand Prix dabei. Die Zeit ist auch davon abhängig, in welcher Aufbauphase ich mich befinde. 2022 hat das offensichtlich perfekt geklappt.

Im OL wählen Sie praktisch nie den falschen Weg. Weshalb?

Da ist einmal die Erfahrung, das lernt man schon als Kind. Im Staffellauf an der WM machte ich am Schluss einen kleinen Umweg, doch der Vorsprung war glücklicherweise gross genug. Es gilt rund 30 Posten anzulaufen, das ist kaum perfekt möglich. Man muss immer rasch eine Entscheidung treffen. Gehe ich den direkten Weg, ist bei einem Hügel der Weg aussenrum schneller? Das und vieles andere gilt es abzuwägen. Da können sich auch bei einem Routinier hin und wieder kleine Fehler einschleichen.

Mit all Ihren Medaillen können Sie eine ganze Wohnung tapezieren. Was einzig fehlt, sind Olympiamedaillen. Im Sommer finden die Olympischen Spiele in Paris statt. Dort werden in 32 verschiedenen Sportarten insgesamt 329 Medaillensätze vergeben. Der Orientierungslauf zählt zu den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannten Sportarten, wird aber an Olympischen Spielen im Gegensatz beispielsweise zu Breakdance nicht ausgetragen. Was sagen Sie dazu?

Der OL wäre dazu prädestiniert, olympisch zu sein. Fairness, Sauberkeit, Ehrlichkeit, all diese Eigenschaften verkörpert der Orientierungslauf. Zwischen dem IOC und dem internationalen OL-Verband fanden Gespräche statt. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Werte hochhalten, uns nicht verbiegen, mit dem Entscheid, dass der OL-Verband nicht auf Biegen und Brechen olympisch werden will, waren auch die Läuferinnen und Läufer einverstanden.

Wie geht es für Sie sportlich weiter, welche Ziele verfolgen Sie noch? Sie haben alles erreicht und werden im März 33. Bleiben Sie dem Orientierungslauf weiterhin treu?

Ich wurde Ende letzten Jahres Vater. Aber ich laufe vorderhand weiter, mein Erfolgshunger ist noch nicht gestillt. Ich bleibe dem OL treu, aber will erst im übernächsten Sommer wieder OL laufen, wenn die WM in Finnland ansteht. Im Moment trainiere ich für den Marathon, mein Ziel ist tatsächlich die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris. Doch das ist ein steiniger und dornenvoller Weg. Zuerst einmal muss ich am 7. April die Limite schaffen, 2:08:10 ist eine echte  Herausforderung. Gelingt mir das, bin ich bei den Olympischen Spielen dabei. Als junger Familienvater ist es für mich derzeit sinvoller, vor der Haustüre zu trainieren, da bin ich in zwei Stunden wieder zuhause und kann mich meiner kleinen Tochter widmen – eine wundervolle und grossartige Aufgabe.

 

Info:

Matthias Kyburz wurde am 5. März 1990 in Rheinfelden geboren. Er ist verheiratet mit der ehemaligen OL-Läuferin Sarina Kyburz-Jenzer. Kyburz ist einer der erfolgreichsten Schweizer OL-Läufer aller Zeiten. 8 WM-Titel, 9 EM-Titel, 6 Gesamtweltcupsiege, 23 Weltcupsiege und 21 Schweizermeistertitel hat er bisher errungen. Er ist OL-Profi und arbeitet zu 40 % bei den SBB im Nachhaltigkeitsbereich.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Marathon – Für Olympia geht er fremd

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt