Hygienemasken, Abstand halten, Seife und Desinfektionsmittel – was bis vor einem Jahr vor allem in Spitälern Thema war, ist nun Standard in unserem Alltag geworden.
Was allerdings die angemessensten Massnahmen sind, wird immer wieder aktualisiert und den neuesten Erkenntnissen angepasst. So sind wir doch froh, sind unsere Masken heute angenehmer zu tragen als die klobigen Hauben mit langem Schnabel, die in Frankreich und Italien zur Zeit der Pest vereinzelt eingesetzt wurden.
Das Händewaschen entdeckt
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts behandelten Ärzte ihre Patientinnen und Patienten, ohne sich die Hände zu waschen, geschweige denn irgendetwas zu desinfizieren. Von Viren oder Bakterien sprach damals noch niemand, und die Sterblichkeit in den Kliniken war hoch. Als einem der ersten fiel dem ungarisch-österreichischen Arzt und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis auf, dass weniger Frauen an Kindbettfieber erkrankten, wenn die behandelnden Ärzte elementare Hygienemassnahmen einhielten, wie das Händewaschen nach dem Sezieren von – notabene an Kindbettfieber verstorbenen – Körpern. Die eindrückliche Folge war eine deutlich tiefere Sterblichkeit der frischgebackenen Mütter.
Parkett statt Kacheln
«Irgendwann wusste man: je sauberer, umso besser.» Dr. med. Jörg Isenegger, Chefarzt Medizin im Spital Riggisberg, kennt sich mit Hygiene aus. Er erinnert sich noch an Zeiten, als in Spitälern alle Wäsche blütenweiss sein musste, die Gebärsäle weiss gekachelt waren und mancherorts gar die Bodenreiniger Desinfektionsmittel enthielten. «Seit der jüngeren Vergangenheit werden hygienische Massnahmen aber immer gezielter eingesetzt», beschreibt er die Entwicklung. So kam es, dass die Kreissäle in Riggisberg über einen Parkettboden verfügten und dass Bettwäsche oder Arbeitskleidung der Pflegefachkräfte heute oftmals Farbe zeigen.
Hygiene fängt in den Köpfen an
«Keime haben keine Beine», betont der Mediziner. Standardhygiene muss also verhindern, dass irgendetwas von A nach B geht. Umso wichtiger ist ihm darum, dass «Hygiene in den Köpfen der Leute anfängt», wie er es beschreibt. Nur wenn man sich bewusst ist, dass man Viren oder Bakterien mit den eigenen Händen oder dem Atem «Füsse verleihen kann», wird man auch ans Händewaschen oder Masketragen denken.
Im Spital Riggisberg richten sich die Angestellten nach Pflege- und Hygienestandards, die in mehreren hundert Dateien detailliert beschrieben sind. Alle Spitäler der Inselgruppe unterstehen denselben Vorschriften, alle Massnahmen und Prozesse werden regelmässig geprüft und immer wieder aktualisiert.
Nicht nur Corona
Im letzten Jahr hat sich somit durch die aktuelle Pandemie einiges geändert: Einschränkungen für Besucherinnen und Besucher, Maskenpflicht – und an jeder Ecke Desinfektionsstationen. Abteilungen wurden umgebaut und auch in Riggisberg für Patientinnen oder Patienten mit Covid-19 Platz geschaffen.
Schutzmassnahmen sind für die Pflegefachpersonen und Ärztinnen und Ärzte natürlich nichts Neues: Wo viele kranke, verletzte oder geschwächte Personen zusammenkommen, haben Keime ein leichtes Spiel. Gerade multiresistente Erreger sind ein Problem: Ihnen können die gängigen Antibiotika nichts anhaben, was zu schlimmen Verläufen bis hin zum Tod der Betroffenen führen kann. Durch den übermässigen Gebrauch der oft lebensrettenden Mittel sowohl am Menschen wie auch in der Nutztierhaltung entwickeln sich immer mehr resistente Bakterienstämme. Umso wichtiger, die Medikamente nur gezielt und, wo wirklich nötig, anzuwenden.
Bei der Hygiene geht es aber nicht nur darum, sich vor kleinen Eindringlingen zu schützen, sondern auch die Bakterien sorgsam zu behandeln, die uns natürlicherweise kolonisieren. Sie spielen eine wichtige Rolle bei unserer Abwehr. Wird ihr Gleichgewicht gestört, können schädliche Keime weniger gut bekämpft werden.
Sich wohlfühlen ist auch Hygiene
«Nicht vergessen werden sollte zudem die Psychohygiene», ruft der Mediziner einen anderen Aspekt in Erinnerung. «Hygiene hat auch mit Wohlfühlen zu tun.» So ist es für Isenegger selbstverständlich, seinen weissen Kittel für eine Untersuchung anzuziehen, nicht aber für eine Besprechung oder ein Interview.
Es sei immer ein Abwägen von Kosten und Nutzen. «Alles hat einen Preis und muss sorgfältig abgewogen werden», weiss er. Gibt es etwa nur wenige Covid-19-Fälle, wirkt die Belastung der Massnahmen stark: Man sieht das Gesicht des Gegenübers nicht mehr, fühlt sich allein und isoliert. Steigt hingegen die Anzahl der Fälle drastisch an, ist der Ertrag der Massnahmen hoch und sie lassen sich leichter nachvollziehen.
So gilt auch im Spital Riggisberg die Devise: zuerst vorbeugen und erst, wenn nötig, möglichst gezielt behandeln. Hygiene soll nämlich nicht nur Krankheiten verhindern, sondern auch Gesundheit erhalten.