Was die Gletscherforschung der Universität Bern verrät

Was die Gletscherforschung der Universität Bern verrät

Wer vor zirka 17'000 Jahren von Bern nach Meiringen wollte oder von Belp nach Wattenwil, brauchte ein Boot. Als sich der Aaregletscher in der letzten Eiszeit wieder zurückzog, verblieben gewaltige Wassermengen zwischen den Moränen: der Wendel- und der Gürbetaler-See.

Eiger, Mönch, Jungfrau, die Silhouette der Gantrisch-Kette, alles war damals schon ganz ähnlich wie heute, nur am Talgrund grasten keine Kühe, sondern es schwammen Fische. Die «Würm-Vereisung» dauerte von 100’000 bis 18’000 Jahre vor Christus und war die letzte Eiszeit. Sie sorgte dafür, dass sich der Aaregletscher bis vor die Tore Berns ausbreitete. Er transportierte Unmengen an Geröll aus den Alpen mit. Diese Schuttmassen blieben in Form einer Stirnmoräne wallartig im Raum Bern liegen, als sich der Gletscher wieder zurückzog. Diese Endmoräne wirkte wie ein Damm. Der Gletscher hat sich zudem mit seiner Masse und Erosionskraft in den Felsuntergrund gefressen und hobelte tiefe Täler aus. Diese füllten sich nach den Gletscherrückzügen mit Wasser. Grosse Seen entstanden. Dazu gehörte der nacheiszeitliche Wendelsee von Bern bis Meiringen und gleich daneben der kleinere Gürbetal-See.

Wie ein See verschwindet
Das einzige Wasser, das heute noch durch Aare- und Gürbetal fliesst, sind die beiden gleichnamigen Flüsse. Was ist passiert? Während der Wendelsee nicht ganz verschwunden ist, aufgrund des Deltas der Lütschine aber in Thuner- und Brienzersee geteilt ist, ist vom Gürbetaler-See heute nichts mehr übrig. Die Gürbe transportierte viel Geschiebe aus den Voralpen und schütete den See nach und nach zu. Die Menschen, die heute im Gürbetal leben, hausen auf einer rund 150m dicken Schicht von Lehm, Sand und Gestein aus der letzten Eiszeit sowie von der Gürbe. Darunter verbergen sich aber regelrechte Schluchten. Vorstellungen wie aus einem Spielfilm werden wach: Plötzlich reisst der Boden auf, Strassen und ganze Häuserreihen verschwinden im Erdboden. So als würde die Erdkugel all das, was die Menschheit aufgebaut hat, in ihrem Rachen verschlingen. Wenngleich wir von solchen Szenarien weit entfernt sind, so sind sie nicht aus der Luft gegriffen. Eher schon aus der Erdkruste oder der geologischen Geschichte. Aber alles der Reihe nach:

Verbreitern und vertiefen
Grosse Eiszeiten treten etwa alle hunderttausend Jahre auf. So stiessen im Alpenraum die Gletscher während der «Riss-Eiszeit» (vor 200’000 bis 150’000 Jahren) weit ins Mittelland vor und prägten die Gestaltung der Landschaft. Diese Eismassen haben nicht nur die Hügel und Berge abgeschliffen, sondern sie führten auch zur Bildung von mehreren tiefen Tälern und Schluchten. Die Geologie nennt diese «Übertiefungen». Nach dem Rückzug der Gletscher füllten sich diese Talsysteme mit Gestein und Geröll. Die Talböden sind unter dieser losen Masse tief verborgen. Das Institut für Geologie der Universität Bern hat nun den Beweis erbringen können, dass Aare- und Gürbetal keine von den Flüssen gebildete V-Täler sind, sondern von den Eiszeiten geformte U-Täler. «Im Gegensatz zur Talbildung durch Flüsse können wir die erosive Wirkung der Gletscher und insbesondere die Bildung von ‹Übertiefungen› immer noch nicht mit dem Computer simulieren», erläutert Professor Fritz Schlunegger. Aber das Team konnte nachweisen, dass die Gletschererosion der vorletzten und weitaus mächtigeren Eiszeit, der «Riss-Vereisung», zu einer zusätzlichen Vertiefung der «Übertiefungen» führte. Die letzte Eiszeit, die «Würm-Vereisung», fiel geringer aus und vermochte diese Täler nicht weiter zu vertiefen, sehr wohl aber zu verbreitern.

U-Form bestätigt
Dass Aare- und Gürbetal also auf einem tiefen Tal «hocken», ist der älteren und mächtigeren Eiszeit geschuldet, dass die Täler relativ breit sind hingegen der jüngeren Eiszeit. Da die Füllmaterialien der «Vertiefungen» locker gelagert sind, haben sie eine geringere Dichte und sind rund 20% leichter als der sogenannte Molassefels, der die Vertiefungen an den Seiten begrenzt. Dieser Unterschied kann mit einem sogenannten Gravimeter bestimmt werden. Er misst die Erdbeschleunigung am Messpunkt und diese hängt von der Dichte des Untergrunds ab. Quer durch das Aare- und Gürbetal hat das Team solche Schweremessungen durchgeführt. «Wir konnten erstmals aufzeigen, dass die Flanken dieser ‹Übertiefungen› zum Teil vertikal und ihre Solen flach verlaufen», erklärt Schlunegger. Damit sind diese U-förmig und von den Gletschern der letzten Eiszeiten gebildet.

Aare und Gürbe fliessen also etwas salopp gesagt auf einem Geröllhaufen. Die Talbildung hat nichts mit ihnen zu tun. Die Studie hat verdeutlicht, dass die Gletscher die Landschaft geformt haben. Aus Sicht des Erdkerns wohnen die Menschen im Gürbetal nicht im Tal, sondern auf einem Hochplateau. Eines, das aber laut der Wissenschaft stabil genug ist, dass es nicht eines Tages in sich zusammenfällt und verschlungen wird; die Täler sind prall gefüllt mit Material. Was darin alles zu finden wäre? Mammuts, Dinosaurier, die ersten Gürbetaler Kabissamen? Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, dass die Gletscher tief unter uns begraben haben. Ihnen ist es aber zu verdanken, dass diese Täler heute liebliche Landschaften bilden, die sich hoher Beliebtheit erfreuen. Dass kein See mehr zwischen Belp und Wattenwil liegt, dürfte mindestens der Bevölkerung von Toffen, Kaufdorf oder Thurnen ganz recht sein.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Was die Gletscherforschung der Universität Bern verrät

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt