Sagen leben vom Weitersagen

Sagen leben vom Weitersagen

Eine Sage ist das Ergebnis von Jahrhunderten an Geschichtenerzählung und Vorstellungskraft. Sie ist ein Schatz, der von Generation zu Generation weitergegeben wird und uns in eine Welt voller Abenteuer und Magie entführt. Tauchen Sie mit uns ab in den sagenhaften Naturpark Gantrisch …

Eine geheimnisvolle Atmosphäre umhüllt die Gantrischkette, ein kühler Wind durchzieht das Gürbetal, ein grauer Schleier schwebt über der Senseschlucht; die mystische Jahreszeit hat den Naturpark Gantrisch eingeholt. Drinnen in den Häusern flackern Kerzen und die Gantrischerinnen und Gantrischer sitzen am Tisch und erzählen sich Geschichten, vielleicht gar Sagen oder solche, die sie heute selbst erlebt haben.

«Die Sagen aus dem Naturpark Gantrisch erzählen ein Stück weit aus dem Alltag der Menschen in der Region und von der Armut, ihren Sorgen und Herausforderungen in der jeweiligen Zeit», erzählt Raphael Zahnd. Der Leiter Marketing & Kommunikation beim Förderverein Region Gantrisch hat die Sagenroute Gantrisch mitentwickelt, ist dabei auf «Chatz und Muus» und einen Hausierer getroffen, hat ein Fadenknäuel entknotet und ist einem brennenden Mann, einem kopflosen Mönch sowie einem Rabbentaler begegnet. 

Für ihn ist klar, dass Sagen für die Identität der Einheimischen eine wichtige Rolle spielen. In den Sagen der Region erkenne man zum Beispiel, dass das Leben der Menschen von Unterdrückung und fremder Herrschaft geprägt war: «Dies führte auch zu einer kritischen Haltung gegenüber der Obrigkeit und Ideen von aussen», erklärt Raphael Zahnd. Das sei noch heute zum Teil spürbar.

«Uns als Naturpark ist es wichtig, dass wir die Sagen als immaterielles Kulturgut erhalten», führt er aus. «Sagen sind eine Möglichkeit, die Geschichte der Region auf eine mystische Art und Weise zu erzählen». Zudem helfen sie, zu verstehen, unter welchen Lebensumständen die Menschen gelebt haben und wie sie geprägt wurden. «Das hilft bei der täglichen Arbeit, weil man gewisse Reaktionen besser in Relation setzen kann.»

Wie entsteht eine Sage?

Es braucht immer auch eine Prise Fantasie und Kreativität, um eine Sage zu entwickeln. Jemand muss eine Idee haben, eine Geschichte, welche die Menschen fesselt und ihre Vorstellungskraft anregt. Vielleicht ist es eine Begegnung mit einem mysteriösen Wesen oder ein unglaubliches Abenteuer, das die Hauptfigur erlebt. «Doch eine Idee allein reicht nicht aus», sagt Nicole Dahinden. Auch die Projektleiterin Nachtlandschaft beschäftigt sich mit Sagen im Naturpark Gantrisch. «Eine Sage braucht eine Umgebung, in der sie sich entfalten kann. Das kann ein magischer Wald, ein geheimnisvolles Schloss oder eine verborgene Höhle sein, wo mystische Wesen wie Elfen, Zwerge oder Drachen leben könnten.» Solch geheimnisvolle Orte hat es hier in unserer Region viele. Sie verleihen vielen Geschichten Magie und Spannung.

Aber was wäre eine Sage ohne ihre Heldinnen und Helden? Die Hauptfiguren sind das Herzstück der Geschichte. Sie müssen mutig, klug und oft auch ein wenig abenteuerlustig sein. Sie kämpfen gegen das Böse, retten Prinzessinnen oder suchen nach verlorenen Schätzen. Wie zum Beispiel Helva, die Feenkönigin. Gemeinsam mit Andreas Sommer hat Nicole Dahinden die Geschichte, die Sage von Helva weiterentwickelt (siehe Interview). Und schliesslich braucht eine Sage Menschen, die sie erzählen. Diese Geschichtenerzählerinnen und Geschichtenerzähler sind diejenigen, die die Sage von Generation zu Generation weitergeben.

Sie sitzen in diesen mystischen Wintermonaten am Tisch bei Kerzenlicht und erzählen Geschichten. Sie fügen vielleicht ihre eigenen Details hinzu oder verändern sie ein wenig, um sie an die Zeit anzupassen. Auf diese Weise bleibt eine Sage lebendig und wird Teil der Kultur eines Volkes. Manchmal erzählen Erzählerinnen und Erzähler auch Geschichten über die Sagen, so wie heute hier an Ihrem Tisch. Wie diese Geschichte weitergeht, ob es irgendwann eine Sage wird, das liegt nun in Ihrer Macht …

Helva und der Mantel der Nacht – eine Geschichte aus dem Naturpark 

Nicole Dahinden, ist «Helva und der Mantel der Nacht» eine Sage oder ein Märchen?

Mit einer Sage wird Reales weitererzählt, ein Märchen dagegen ist frei erfunden. Wir haben die Sagenwelt der Helva vor eine Herausforderung der heutigen Realität gestellt und liessen Zwerge und Feengestalten aus der Fantasiewelt das Problem lösen. Es ist also Sage und Märchen: eine erfundene Geschichte mit einem wahren Kontext.

Weshalb haben Sie eine Geschichte zur Nacht erfunden?
Wir möchten den Menschen aufzeigen, warum die Nachtdunkelheit wichtig ist. Das funktioniert gut mit Geschichten, mit spielerischen Elementen. Wenn Eltern oder Grosseltern ihren Kindern die Geschichte vorlesen, erreichen wir zudem mehrere Generationen. 

Wie ist «Helva und der Mantel der Nacht» entstanden?

Wir sind auf Andreas Sommer zugegangen und haben ihn gefragt, ob er Lust hätte, die Sage der Helva mit einer neuen Geschichte zu verknüpfen. Damit ist er in die bestehende Sagenwelt eingetaucht. Er hat sein Flair, mit dem feinen Netz der Natur zu arbeiten, eingebaut und hat daraus «Helva und der Mantel der Nacht» kreiert. Irma von Allmen hat die Geschichte kindergerecht illustriert, aber auch so, dass Erwachsene von der Stimmung der Bilder berührt werden. Herausgekommen ist eine Geschichte, in der alles miteinander verwoben ist: die Lichtverschmutzungsproblematik, die Bildwelt von Irma von Allmen und das Netz zur Natur von Andreas Sommer. 

Kann ein Märchen nachhaltig sein?
Ich denke ja. Wenn eine Geschichte gefällt, wird sie mehrmals gelesen und gemeinsam diskutiert, vielleicht werden auch weitere Lösungen gesucht. Im besten Fall überdenkt und ändert jemand das eigene Handeln. Ich habe auch das Gefühl, dass Geschichten bei einem Menschen ganz anders hängenbleiben als ein Zeitungsartikel. Es geht aber auch um die Form der Botschaft. Ein Buch hält man in den Händen, es verschwindet nicht so leicht wie ein schnelllebiger Eintrag im Internet.

Priska Iseli, Projektmitarbeiterin 

Das Buch «Helva und der Mantel der Nacht» kann unter www.sternenpark-gantrisch.ch/nachtmantel bestellt werden.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Sagen leben vom Weitersagen

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt