«Wie viel Zeit haben wir?», frage ich den ehemaligen Ammann im Gemeinderatszimmer. In einer Ecke hängt eine schöne Wanduhr, diagonal gegenüber ein Kruzifix. «Um 12 habe ich den nächsten Termin», antwortet er. «Ich bin gerne dort, wo es mich braucht.» Das heisst, bei den Leuten, mitten im Leben. Seit der Wahl seines Nachfolgers Daniel Bürdel verläuft es in etwas ruhigeren Bahnen. Still werden dürfte es um Otto Lötscher aber noch lange nicht. Zu gross ist die Liebe zur Region und ihrer Bevölkerung. Dann wartet noch eine Herzensaufgabe, die er sich bis jetzt aufbewahrt hat.
Schon früh politisch interessiert
Der gelernte Landmaschinentechniker wuchs mit 12 Geschwistern auf einem Bergbauernbetrieb auf. Als er zwölf Jahre alt war, wurde sein Vater in den Gemeinderat gewählt. Unabhängigkeit war Vater Lötscher wichtig; Sachpolitik kam vor Parteiinteressen. Diese Haltung prägte auch den Sohn. Otto Lötscher wurde mit 27 Jahren auf der Liste der Talschaft Schwarzsee gewählt. Sein erstes Ressort war die Wasserversorgung – eine grosse Herausforderung angesichts der ausschliesslich privaten Anschlüsse. Der Quereinsteiger meisterte sie mit zahlreichen Gesprächen und viel Geduld. Nicht weniger als acht Mal stellte er sich zur Wiederwahl, mit stets besseren Resultaten. Als 1996 der neue Gemeindepräsident kurz nach der Wahl demissionierte, sagte Lötscher nach einigen schlaflosen Nächten für eine Kandidatur zu. «Die guten Wahlresultate waren Bestätigung und Auftrag zugleich», schaut er zurück. Die Sicht fürs Ganze, der Sinn für eine werteorientierte Entwicklung der ganzen Region prägten sein Wirken bis zuletzt.
Immer vorwärts, aber «nid z ruuch»
Lötschers Hauptanliegen waren Bildung, Landschaftsschutz, Tourismus, vor allem aber Plaffeien als Ort fürs Arbeiten, Leben und Geniessen zu etablieren. «Man muss rechtzeitig merken, was man machen soll. Doch man sollte auch nicht übertreiben», lautet eine seiner Prinzipien und: «Wenn eine Geldquelle da ist, muss man sie erschliessen.» So etwa die anfänglich stark umstrittene Parkplatzbewirtschaftung am Schwarzsee, die seither stark zur Erschliessung der touristischen Infrastruktur beiträgt. Gezielt wurde Plaffeien zu einer Zentrumsgemeinde mit Kita, Kindergärten, Oberstufenzentrum für das Oberland und mit guten Verkehrsanschlüssen entwickelt.
Otto Lötscher dachte stets vernetzt. Im Naturpark Gantrisch erkannte er sofort eine grosse Chance für strukturschwache Regionen. Die Fusion von sechs Feuerwehren und jene von 2017 mit den Gemeinden Oberschrot und Zumholz waren weitere Meilensteine. Die «ARA Guggersbach» wurde sogar kantonsübergreifend realisiert. Ein grosses Projekt ist «Plaffeien 23». Lötscher schwebt ein Mix von Gewerbe, Wohnen, Parkplätzen und Begegnungszone vor. Sein persönlicher Höhepunkt ist die Überbauung Bruchbühl: «Mit attraktiven Bauparzellen und einer vorausschauend geplanten Fernheizung wurde ein grosser Investitionsschub angestossen.»
Doch auch Rückschläge blieben nicht aus, etwa eine Steuererhöhung Anfang der 2000er-Jahre aufgrund von rückständigen Subventionen des Kantons und Vorinvestitionen zur Erschliessung neuer Bauparzellen.
Lötschers Fazit lautet: «We me z ruuch giit, giits nid.» Deshalb hatte er stets ein offenes Ohr für die Bevölkerung, setzte sich mal an den Stammtisch oder zur Jugend an die Bar. Wenn jemand seine Nähe nicht wünschte, akzeptierte er das. «Man muss mit denen vorwärtsgehen, die wollen», resümiert er.
Das Schönste kommt erst noch
Die Corona-Situation zeige die Grenzen menschlicher Möglichkeiten auf, meint Lötscher: «Mir chö nid ging, wimmer wi.» Dabei wandert sein Blick zum Kruzifix hinüber. «Das hat seinen Platz. Es braucht einen solchen Halt im Leben.» Nun dürfte es etwas ruhiger werden um den langjährigen Syndic. Die meisten «Ämtli» hat er abgegeben, wird sich aber weiterhin für die Kaisereggbahnen, ein Fernheizungsprojekt im Campus am Schwarzsee und im schweizerischen Rat der Berggemeinden (SAB) engagieren.
Die Arbeit auf seiner kleinen Alp bildet seit Längerem einen Ausgleich zur vielen Kopfarbeit. Demnächst steht wieder die Besteigung des Hausbergs Spitzfluh an. Von dort geht der Blick weit ins Wirkungsgebiet des initiativen Alt-Gemeindepräsidenten.
Jetzt wird sich Otto Lötscher auch dem historischen Archiv widmen können, das einer seiner Cousins aufgebaut hat. Er möchte altes Wissen zugänglich machen, von interessanten Begebenheiten in der jüngeren Geschichte berichten. Denn: «Wer die Zukunft leben will, muss auch die Vergangenheit kennen.» Der beste Ort dafür wäre eine Volksbibliothek mit Leseanlässen, ist er überzeugt. Mitten im Zentrum seines geliebten Plaffeien.
Thomas Feuz