Wenn es also um Konsum im Sinne von Essen geht, hat dieses Ehepaar die nötige Erfahrung, um über den Tellerrand hinauszuschauen. Es ist ein Blick auf unser Essverhalten, eine Region, ihre Menschen und ihre Gäste. In diesem altehrwürdigen Gasthaus, das zum Ortsbild von Guggisberg gehört wie die Kirschen-Johannisbeersauce zum grillierten Kalbsschnitzel, bedeutet Kochen nach wie vor viel Handarbeit und Selbstgemachtes. Dosen und Fertigsaucen sucht man in dieser Küche vergebens.
Slowfood
Wer etwas ausgesucht und bestellt hat, freut sich auf einen liebevoll hergerichteten Teller. Zumindest sollte er das. «Ungeduldige Gäste, die das Gefühl haben, kaum bestellt, muss es schon serviert werden, nehmen zu», beobachtet Fritz Pfeuti und erklärt: «Wir bereiten alles frisch zu, dürfen dafür aber kaum Zeit in Anspruch nehmen. Ein Cordon bleu braucht einfach seine Viertelstunde auf dem Grill.» Zumindest, wenn es wie bei Pfeutis frisch zubereitet wird. Das Fleisch von Metzger Schwander, der Käse aus der Region, die auserlesene Kombination verschmilzt zu einem mundenden Leckerbissen. Ungeduld statt Vorfreude sei eine gesellschaftliche Entwicklung, die möglicherweise durch die Fastfood-Kultur beschleunigt wird, vermutet der Koch. «Die Leute nehmen sich weniger Zeit, um einen Moment inne zu halten und ein gutes Essen zu geniessen», bedauert er. Zu spüren ist diese Tendenz weniger bei der gewohnten Stammkundschaft als bei den spontanen Gästen. Dann, wenn der Nebel die Täler in tristes Grau tränkt, pilgern die Sonnensuchenden in Scharen Richtung Guggisberg. Viele kommen schon gestresst an, weil sie schnell in die Sonne wollen, schnell etwas konsumieren und genauso schnell wieder heim wollen. Ein Ablauf, den man im Sternen bestens kennt. «Die Wertschätzung fehlt und der Umgang ist oft unfair, das spüren auch die Serviceangestellten. Wenn diese Tendenz so weitergeht, gibt es in zehn Jahren keine solchen Restaurants mehr, dann findet sich kaum noch jemand, der so arbeiten möchte», zeichnet er ein bedenkliches Bild.
Ein bisschen Romand sein
Dem gegenüber stehen im Sternen viele Einheimische und Gäste, die qualitativ hochwertiges Essen schätzen und suchen. «Da haben wir Glück. Wir haben in der Mehrheit wirklich tolle Gäste», zeigt er sich dankbar. Einige davon sprechen französisch und verleiten den Patron zu einer Beobachtung: «Die Romands wissen oft, wie man geniesst und nehmen sich ganz bewusst Zeit für ein gutes Essen.» Kaum sind seine Worte im kleinen Sääli verklungen, schmunzelt er und meint: «Aber die Sensler und die Menschen hier oben haben auch ein wenig von dieser Kultur, die nehmen sich ebenfalls Zeit und schätzen ein frisch zubereitetes Mahl.» Der Blick aus der Gaststube Richtung Süden ist jener Richtung Kanton Freiburg. Hier sitzt man hoch über Bern, mit Blick in die Freiburger Alpen. Man ist quasi die Passhöhe, wo zwei Kulturen zusammenkommen.
Qualität schmeckt man
Aus dieser Gegend stammen viele von Pfeutis Zutaten. «Diese Qualität hat ihren Preis, ein Produkt vom regionalen Metzger oder Gemüsebauer ist vielleicht doppelt so teuer, wie das vom Gastro-Grossverteiler. Aber wenn man den Anspruch hat, gutes Essen zu kochen, braucht es qualitativ hochstehende Lebensmittel», ist er überzeugt. Während das von vielen gesucht und geschätzt wird, hat auch hier die Fastfood-Delegation ihre Defizite: «Diese Menschen sind nicht sehr sensibel, was die Qualität angeht. Es ist einfach eine Frage, ob ich nur den Magen füllen will oder ob es mir wichtig ist, was und wie ich esse.» Biologische und regionale Küche liegt im Trend, was hier in Guggisberg fast ein wenig lustig wirkt. Denn hier kochten Pfeuti und seine Vorgänger schon so, als man noch nicht mal das Marketing erfunden hatte. Heute wird das hüben und drüben propagiert. Pfeuti bleibt lieber auf der ehrlichen Seite und erklärt, weshalb es aber durchaus gar nicht immer möglich ist, alles vollumfänglich aus der Region bereitzustellen. «Nun, in der Wildsaison brauchen wir zirka 100 Rehe, um die Nachfrage zu decken. Das würde unser Gebiet nicht hergeben.» Dann gibt es noch die Zutaten, die in Guggisberg und Umgebung nicht unbedingt wachsen und gedeihen können. Stellvertretend das Beispiel der Guggershörnli. Eine regionale Spezialität, deren eine Zutat Hartweizen ist. Ein Korn, das in dieser Gegend noch nicht wächst.
Preiswert statt billig
«Qualität ist wichtiger als Schnelligkeit. Je schneller man kocht, desto schlechter wird die Qualität, so einfach ist das», fasst er zusammen. Dies führt aber unweigerlich zur Frage, ob denn dieses Essen bezahlbar ist. Das Zauberwort heisst in seinem Fall: Ausgeglichenheit. «Die Karte muss von etwas einfacheren und günstigeren Gerichten bis zu den hochstehenden reichen, für jene, die sich etwas nicht Alltägliches gönnen möchten», verweist er auf ein bewährtes Prinzip im Sternen. Es bildet auch die Mischung aller Gästen ab. Einheimische, die gerne ein Fest im Restaurant feiern, Weitgereiste, die geniessen, Spontane, die zum Essen bleiben oder solche, die einfach nur «gluschtig» werden. «Hier im Dorf Guggisberg hat es nur wenige Einwohner, von ihnen alleine könnten wir nicht leben. Die Landwirte sind für uns wichtige Gäste, doch von ihnen gibt es immer weniger. Deshalb wäre die Gaststube allein nicht mehr rentabel», verrät er. Die Guggisberger brauchen die Gäste und diese wiederum ein Dorf, das authentisch und besuchenswert bleibt. Diese gegenseitige Abhängigkeit haben Pfeutis schon vor Jahrzehnten erkannt und sich stets danach ausgerichtet. So gelang es, dass der Betrieb stetig gewachsen ist und heute 18 Mitarbeitende zählt.
Das Dorf Guggisberg hat Jahrhunderte überdauert und seinen Charakter mit den dicht nebeneinander stehenden Häusern beibehalten. Mittendrin thront der Sternen. Ein Gasthaus, in dem Zeit und gutes Essen keine Werbesprüche sind, sondern gelebte Werte. Deshalb wünscht sich Fritz Pfeuti nur eines: «Wertschätzung». Essen ist kein Konsum, es ist Genuss. Es ist, wie wenn man lange auf die Speisekarte schaut und glaubt, das beste ausgesucht zu haben, bis man sieht, was der Nachbar serviert bekommt. Eine Karte voller Möglichkeiten. Es ist die dringend notwendige Gegenströmung zur Schnelllebigkeit einer Konsumgesellschaft. Gut zu essen, will Weile haben.