Geschichte zum Bestaunen

Geschichte zum Bestaunen

Die Abegg-Stiftung in Riggisberg ist ein international renommiertes Ausbildungszentrum für Fachleute in Textilkonservierung/ -restaurierung. Das Museum ist offen für alle und zeigt die «Highlights» aus der umfangreichen Sammlung.

«Die Abegg-Stiftung ist eine Kostbarkeit, ein Bijou, das man unbedingt kennen muss.» Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga schwärmte an der diesjährigen Bundesratsreise über das weltweit bekannte Museum und Kompetenzzentrum für historische Textilien.

Bedeutendste Textilsammlung
der Schweiz 1961 gründeten Margaret und Werner Abegg die Abegg-Stiftung. Das Paar mit seinem Hintergrund in industrieller Textilherstellung und Kunstgeschichte hatte bereits seit vielen Jahren eine umfangreiche Kollektion an historischen Textilien und anderer Kunst aufgebaut. Sie wurde bald einmal zur bedeutendsten Sammlung der Schweiz. Öffentlich zugänglich solle die Sammlung sein, aber das Museum solle auch ein offenes Haus für Forscher sein, so steht es in den Statuten. Ein Restaurie-
rungsatelier wurde eingerichtet, in dem heute Textilspezialistinnen – praktisch alle sind Frauen – aus der ganzen Welt ausgebildet werden.

Die Krone der Hildegard von Bingen
Rund 60 Angestellte zählt die Abegg-Stiftung heute in den Bereichen Sammeln, Bewahren und Restaurieren sowie Erforschen, Ausbilden und Vermitteln. Geforscht, konserviert und restauriert wird das ganze Jahr hindurch, das Museum ist von Mai bis November täglich geöffnet. «Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass neben Gemälden und Skulpturen auch Textilien historische Zeugnisse sind», so Catherine Depierraz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abegg-Stiftung. «Es ist eine eher anonyme Kunst – wir haben hier kaum berühmte Namen.»

Kein Wunder, dass Einzelstücke wie die Krone der Mystikerin Hildegard von Bingen mediale Wellen schlagen und neue Besucher anziehen. Dabei ist gerade diese Krone ein Beispiel dafür, dass es der Abegg-Stiftung nicht um populäre Namen, sondern um den historischen Wert der Sache geht: Die Krone war nämlich bereits seit dem Jahr 2000 im Besitz der Stiftung, wurde aber erst vor rund einem Jahr nach genauem Studium des Objekts und der Schriftquellen der heiliggesprochenen Gelehrten zugeordnet.

Was ist nun das Wertvolle an zum Teil mehreren hundert Jahre alten Stoffen? «Dass es sie überhaupt noch gibt! Seide, Wolle und Leinen sind organische Materialien, die relativ schnell zerfallen. In der Ausstellung zeigen wir vor allem Luxusstoffe, die sich nur die oberste Schicht leisten konnte», erklärt Depierraz. «Seide oder ein Goldfaden war früher das Teuerste, das man haben konnte» – dementsprechend war Kleidung auch ein Statussymbol. Die Gewänder, Behänge, Tücher oder Fragmente davon erzählen auch viel Geschichtliches.

Arabischer Segen in der Kirche
Die aktuelle Sonderausstellung «Arabische Weber – christliche Könige» etwa zeugt von der Zeit, als Südspanien unter der Herrschaft muslimischer Dynastien stand. Unter den Textilien von europäischen Königshäusern, Adligen oder christlichen Geistlichen finden sich viele, die typisch arabische Muster und sogar arabische Inschriften aufweisen. Depierraz erklärt: «Die Araber waren in der Webkunst viel weiter fortgeschritten als ihre europäischen Kollegen – darum waren ihre Produkte auch so begehrt.» In der Tat sind viele der gewobenen geometrischen Muster enorm komplex gestaltet, etwas, was europäische Weber zu dieser Zeit niemals hätten anfertigen können. Die kunstvolle Mode überzeugte dermassen, dass christliche Kirchenoberhäupter Gewänder aus Stoffen trugen, in die «baraka» – «Segen» auf Arabisch – eingewebt war. Ein eindrückliches historisches Zeugnis, das in Riggisberg mit eigenen Augen bestaunt werden kann.

Durch Ost und West flanieren
«Bei Führungen erlebe ich es immer wieder, wie die Leute überrascht sind», so Catherine Depierraz. In der Dauerausstellung, die den wertvollsten Teil der Sammlung zeigt, sind rund hundert Textilien hauptsächlich aus Europa und Asien ausgestellt. Das Museum ist konzeptuell so aufgebaut, dass die Besucherinnen und Besucher frei flanieren können: Es besteht aus einem grossen, langen Raum mit vielen Stellwänden und Vitrinen. Die ältesten Stücke stehen am Anfang, die jüngsten am anderen Ende. Links sind Textilien aus dem Osten, rechts solche des Westens zu sehen. So lassen sich immer wieder Vergleiche ziehen. Ganz zuhinterst ist die Sonderausstellung eingerichtet. Der ganze Raum ist nur schwach beleuchtet und eher kühl, um die Textilien zu schonen.

Werner Abegg interessierte sich weniger für vollständige Kostüme als für Stoffe, deren Herstellung viel Sachverstand verlangte, etwa an Webtechnik und Stil. So sind oft nur Fragmente von Gewändern zu sehen, die aber zum Beispiel komplizierte Muster aufweisen.

Auch einige nichttextile Objekte sind ausgestellt, zum Beispiel ein Tonkrug aus Anatolien – dieser stammt aus dem 6. Jahrtausend vor Christus. In der angrenzenden Villa Abegg, dem ehemaligen Wohnhaus der Stifter, die im Rahmen einer Führung besucht werden kann, sind Antiquitäten, bemalte Holzdecken aus dem 15. Jahrhundert oder ein Spiegelkabinett aus dem 18. Jahrhundert zu bestaunen.

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