Nicht nur weil wir darauf stehen und gehen können. Er ernährt uns, er reinigt, er erneuert, er lebt.
«Die Bedeutung der Bodenbiologie wird in der Forschung zunehmend ernst genommen», sagt der Schwarzenburger Jürg Zettel, der den Mikrokosmos unter unseren Füssen gut kennt. Seine Frau Ursula und er sind ein Biologenehepaar, das unter anderem mit ihren Forschungen über den Schneefloh international bekannt geworden ist.
1 Million Milliarden
Genau die richtigen Experten also, die uns erklären können, was Humus nun eigentlich genau ist. «94% des Bodens ist mineralisch. Nur 6% bestehen aus organischer Substanz. Das ist Humus», fasst er kurz zusammen. Diese oberste Schicht besteht nicht nur aus abgestorbenem Pflanzenmaterial, sondern zudem aus Wurzeln und einer kaum zählbaren Menge an Bodenlebewesen. Auf einem Quadratmeter leben allein in den obersten 15 Zentimetern 1 Mio. Milliarden Lebewesen. «Vieles davon ist noch unbekannt. Beispielsweise welche Larven zu welchen Insekten gehören», verweist er auf einen Grund, weshalb er Humus als Blackbox bezeichnet. Dieses Heer an unscheinbaren Zersetzer-Organismen verarbeitet tote Pflanzensubstanz zu Humus. In einem Wald fallen etwa pro Hektare vier Tonnen totes Pflanzenmaterial an. Genauso viel müssen diese kleinen Helfer im Laufe eines Jahres verarbeiten.
Der Elefant ist der Regenwurm
Die meisten Bodenlebewesen sind winzig klein. Der Regenwurm ist im Vergleich dazu ein Elefant im Mikrokosmos. «Es gibt aber nicht einfach nur eine Sorte davon. Es handelt sich um eine spezifische Gruppe mit ganz verschiedenen Arten», gibt der Forscher zu bedenken. Solche, die weiter oben leben, und andere, die nie Tageslicht zu sehen bekommen. In Mitteleuropa existieren je nach Standort etwa 40 bis 60 verschiedene Arten. Sie spielen für die Zersetzung der organischen Masse eine wichtige Rolle und fressen quasi ununterbrochen. «Was wir mit unserem Kompost tun, passiert also ganz ähnlich in der Natur. In einem komplexen System werden ständig Abfälle rezykliert und Humus erzeugt», sagt Zettel. Vom Regenwurm bis zum Bakterium entsteht eine Formenvielfalt, die er deshalb gerne mit einem Korallenriff vergleicht.
Verarmung nimmt zu
Wie diese Riffe, so ist auch unser Boden ein Lebensraum, der äusserst empfindlich auf Umwelteinflüsse reagiert. Beiderorts wirkt sich eine intensive Bewirtschaftung negativ aus. Prominentes Beispiel ist die Verdichtung. Ein dichter Boden verhindert, dass Wasser versickert, der Regenwurm kann kaum noch seiner Fuktion als Ingenieur, der Belüftungen baut und für eine natürliche Drainage sorgt, nachkommen. Das Zersetzungsheer schmilzt auf eine kleine handzahme Truppe zusammen und das organische Material kann nur noch schlecht abgebaut werden. «Tiefes Pflügen und Umwälzen durchmischt nicht nur die Schichten, sondern stellt gewissermassen das System räumlich auf den Kopf, denn die Bodenlebewesen sind auf das Leben in einer bestimmten Bodentiefe angepasst», ergänzt der Experte. Kommen nun noch Herbizide oder Pestizide im Ackerland oder Gülle im Weideland dazu, verarmen die Lebewesen zusätzlich. Untersuchungen diesbezüglich gibt es eine Vielzahl. Zettel breitet viele Unterlagen aus, die diese Effekte signifikant unterstreichen. An etlichen davon hat er selber mitgewirkt. «Durch Herbizide und Pestizide verarmen die Böden eigentlich immer. Deshalb verwundert es mich nicht, dass die Biodiversität nachlässt», sagt er zusammenfassend über all seine Forschungen.
Wir untergraben uns selbst
Unsere Pflanzen brauchen Humus zum Leben. Es ist das Reservoir mit allen überlebenswichtigen Inhaltsstoffen. «Nun sackt diese Nahrungsgrundlage ab, wenn entwässert wird, um zu kultivieren, die organische Substanz wird abgebaut und geht verloren», weist er auf ein Problem hin, wie es etwa im Gürbetal existiert. Pestizide können den Boden versauern. Organische Substanz kann schlechter abgebaut werden und die Bodendichte vergrössert sich. Die Regenwürmer verlieren damit ihre Lebensgrundlage. «Sie können in sauren Böden nicht leben», weiss Zettel. Wir brauchen die Pflanzen zum Leben, diese wiederum den Humus mit all seinen Bodentieren. Wenn wir die Humusschicht verlieren oder verringern, wackelt dieses System genauso bedrohlich wie ein Korallenriff. Mit Folgen für die ganze Menschheit.
Was ist also zu tun, um dieser Negativspirale zu entkommen? Zettels Antwort überrascht: «Wenn die Humusschicht wegbricht und wenn das Nährstoffreservoir
mit seinen Bodenlebewesen die pflanzenverfügbaren Nährstoffe nicht genügend umbauen kann, dann muss der Mensch eingreifen. Nicht jedoch, um die Ernte zu maximieren, sondern um das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Mehr geht nicht. Alles andere ist auf Dauer kontraproduktiv.» Die Natur kann man nicht übertölpeln; erst recht, wenn man vieles noch gar nicht weiss. Man kann sich aber bemühen, das Gleichgewicht wiederherzustellen, damit alles funktioniert. Im Falle des Bodens zersetzt diese gewaltige Kompostieranlage mit Heeren von Kleinstlebewesen und zahlreichen Regenwürmern wieder Tonnen von organischem Material, bis Humus entsteht, auf dem die Pflanzen gedeihen, die uns ernähren.