Der Tod wird totgeschwiegen

Der Tod wird totgeschwiegen

«Man sollte zwei Dinge mitbringen: grosse Ohren und viel Zeit», beschreibt Ursula Ohnewein ihre Aufgabe. Durch Zuhören und Zeit miteinander verbringen erhält man die Ideen, wie aus der verbleibenden Zeit eine gute wird. «Es geht also nicht um Sterbebegleitung, sondern um Lebenshilfe», fasst sie zusammen.

Dennoch belegte die ausgebildete Tierärztin zusätzliche Kurse in Sterbebegleitung, liess sich beim Roten Kreuz zur Pflegerin ausbilden und schaffte sich mit all diesen Bereichen ein breites Rüstzeug. «In meinem angestammten Beruf hat mich nicht nur das Leben retten fasziniert, sondern immer mehr auch das andere Ende. Helfen, wenn der Abschied ansteht», verrät sie ihre Motivation für diese Seelsorge.

Wege aus der Trauer
Der Weg aus der Trauer geht einher mit der Angst vor dem Tod. «Es gilt herauszufinden, was einen Menschen trägt und was ihm Kraft gibt. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein», beschreibt sie den Weg. Im Idealfall kann eine Art «Gwunder» entstehen, was nach dem Tod ist. So als stünde man vor einem grossen Abenteuer. «Die Literatur über Nahtoderfahrungen beschreibt oft positive und angenehme Erlebnisse, das hilft», ergänzt sie.

Sich zurücknehmen
Diese Begleitung verlangt vom Seelsorger einiges ab. Vor allen Dingen, was die grossen Ohren angeht. Mit Empathie zuhören. «Aussagen wie , sind gut gemeint und zielen auf Verständnis ab, aber helfen eigentlich nicht. Die Person wollte ja ihre eigene Geschichte erzählen und keine andere hören», nennt sie ein Beispiel. Was es heisst, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören, weiss zwar Ursula Ohnewein aus Todesfällen in ihrem eigenen Umfeld, aber sie nutzt das nur indirekt als Vorteil, um sich in eine Situation hineinzufühlen. «Eine gewisse Erfahrung sollte man sicherlich haben, um diese Arbeit zu leisten», ist sie sich sicher.

Wenig Anerkennung
Man möchte meinen, diese Begleitung ist gefragt und dringend notwendig. Aber die Frage, wer das bezahlt, ist nicht geklärt. Die Seelsorge war bisher eher von der Kirche besetzt und besteht grösstenteils aus Freiwilligenarbeit. Zeit für Menschen im letzten Lebensabschnitt zu haben, ist besonders wichtig. Das System scheint noch nicht bereit, diesen Teil zu professionalisieren. In einem Palliativ-Zentrum
können die Menschen aber oft nicht bis zum Schluss bleiben. Genau hier wären die grossen Ohren und die verfügbare Zeit von zentraler Bedeutung, genau hier würde auch sie am liebsten aktiv sein. «Die Stelle, die ich mir vorstelle, müsste man aber erst noch erfinden», ergänzt sie. In aller Regel werden Menschen wieder versetzt, wenn drei Wochen auf der palliativen Abteilung vorbei sind. «Spiritual Care» ist nicht nur prädestiniert, diese Begleitung mit grossen Ohren und genügend Zeit zu bieten, sondern auch darauf ausgelegt, diejenigen auszubilden, die mit Menschen vor dem Tod Kontakt haben: Ärzte und Pflegepersonal.

Jeder Mensch ist jung
Die ersten Erfahrungen aus einem Altersheim schenkten Ursula Ohnewein weitere, wichtige Erkenntnisse: «Alte Leute sind in ihrem Inneren gar nicht alt. Klar verändert sich einiges, aber man trägt eigentlich immer ein jugendliches Gefühl in sich. Letztlich ist ein Mensch immer ein Mensch, egal, in welchem Lebensabschnitt er steht.» Wenn nun ein Mensch nicht mehr geheilt werden kann, dann geht es um Lebensqualität. Die Zeit wird kostbar und sollte genauso kostbar nach den individuellen Bedürfnissen dieses innerlich jungen Menschen gestaltet werden können. Die Seelsorgerin spricht dabei von Spiritualität im Alltag. Zusammen essen, eine Katze haben, Momente der Freude erleben. Gerade die Wirkung von Tieren auf ältere Menschen hat sie in ihrer Abschlussarbeit untersucht und konnte die Vermutung erhärten, dass speziell Katzen und Hunde viel zur Lebensfreude beitragen können.

Der Umgang mit dem Tod
Irgendwann ist es aber soweit und ein Mensch stirbt. «Eigentlich ganz natürlich und nichts, was man verstecken müsste», findet die Rüeggisbergerin. Dennoch ist unsere Gesellschaft so eingestellt, dass Tote möglichst nicht gesehen werden und weggeschafft werden. Sie bedauert diese Einstellung und wünscht sich einen ähnlich offenen Umgang mit dem Ende des Lebens wie mit dem Anfang. Es ist diese Selbstverständlichkeit und Offenheit, die Ursula Ohnewein vorlebt und damit ein ganzes System belebt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das Leben begleiten und nicht das Sterben. Bis zuletzt.

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