Der Herzschlag von Mutter Erde

Der Herzschlag von Mutter Erde

«Es gibt zwei Geräusche, welche auf den Menschen erwiesenermassen äusserst beruhigend wirken. Zum einen ist dies das sanfte Rauschen von Wasser. Zum anderen das gleichmässige langsame Schlagen einer Trommel. Dieser monotone Klang fährt unsere Gedankenfrequenz binnen kürzester Zeit herunter und versetzt das Bewusstsein in einen dahingleitenden Zustand.»

Der Mann, der dies darlegt, hat die Gantrisch Zeitung in einem alten Bauernhaus im Schwarzenburgerland empfangen und zeigt seine Werkstatt auf der ehemaligen Heubühne, wo er selbst Trommeln baut. Über der Werkbank hängen allerlei Gerätschaften zur Bearbeitung von Holz und Leder: Messer, Scheren, Zangen, Sägen und Ahlen. In einer Ecke steht eine Kreissäge. Vorgefertigte Holzreifen in verschiedenen Grössen stapeln sich daneben, unter Dampf aus heimischer Esche, Eiche, Ulme und Nussbaum gebogen. «Auf diese Rahmen wird die nasse Tierhaut gespannt», erklärt Pascal Vonlaufen. «Es sind mehrheitlich Hirsch- und Ziegenfelle aus natürlichen Gerbereien in Steffisburg und Huttwil.» Eine Anzahl davon liegt zusammengerollt zur weiteren Verarbeitung bereit. «Ich montiere die Trommelmembranen mit der sogenannten Sonnenspannung», führt der Mann mit dem sanften Blick und dem kurzgeschnittenen Bart, der sein schulterlanges Haar im Nacken zusammengebunden hat, weiter aus. «Die Haut wird mit Lederriemen, die strahlenförmig auf der Rückseite der Trommel zusammenlaufen, auf dem Rahmen fixiert. Diese Technik stammt von indigenen Völkern Nordamerikas. Ich habe sie mir selbstständig angeeignet, unter anderem durch das Ausprobieren und das vertiefte Befassen mit der Materie.» 

Mehr als ein Handwerk
Pascal Vonlaufen widerstrebt es jedoch, sich als «Trommelbauer» zu bezeichnen. Dieser Begriff beschreibe lediglich einen einzelnen Aspekt seiner Tätigkeit. «Die Trommel stellt für mich ein Werkzeug dar, einen Verstärker, welcher mir hilft, eine geistige Ausrichtung zu pflegen. Wichtiger als das Instrument selbst ist die Arbeit damit – und die Energien, die damit bewegt werden können.» 

Ist Pascal Vonlaufen vielleicht so etwas wie ein Medizinmann?

Er benutze diesen Begriff mit äusserster Vorsicht, wendet er sogleich ein. «Ein Medizinmann ist ein spiritueller Heiler und Hüter von Wissen in indigenen Kulturen, dessen Arbeit weit über körperliche Heilung hinausgeht.» Alle ursprünglichen Kulturen, einschliesslich unserer eigenen vorchristlichen Vorfahren, brachten und bringen solche Vermittler hervor, welche zwischen den Welten wandern. «Traditionell wirkten Medizinmänner in Gesellschaften mit einem stark ausgeprägten Stammesgefüge», ergänzt Vonlaufen. «Ihre Rolle ist schwierig in unsere individualistische und moderne Lebensweise übertragbar.» Trotzdem ist diesem Mann mit der Ausstrahlung eines Bären die ganzheitliche Sichtweise der Naturvölker sehr nahe. Und sie hat seinen persönlichen Lebensweg entscheidend geprägt. Genauso wie die Trommel.

Faszination für die Weisheit indigener Völker
Als Jugendlicher sah der heute 45-jährige gelehrte Metallbauschlosser aus Kriens auf einem Markt in Spanien zum ersten Mal ein westafrikanisches Djembé. Fasziniert von diesem Instrument, erstand er es und «machte damit in den darauffolgenden Tagen die Leute auf dem Campingplatz verrückt». Später erwachte sein Interesse für die Weltanschauung indigener Völker und er begann, sein Wissen in diesem Bereich zu vertiefen. Er las sich in die Thematik ein, besuchte Seminare, reiste selbst zu Naturvölkern und liess sich während dreier Jahre von einem grönländischen Schamanen ausbilden. Mit 28 baute er seine erste eigene Trommel, nachdem ihn sein Lehrer dazu ermutigt hatte. 

Mittlerweile hat er an die 800 Instrumente hergestellt, die auf der halben Welt im Einsatz sind. Seit vielen Jahren bietet er zweitätige Trommelbaukurse für Schulen, Firmen und Private an, doch auch hier bildet die handwerkliche Instruktion nur einen Teil seines Anliegens. «Für mich ist die Trommel weit mehr als ein lebloses Objekt», stellt er fest. «Sie ist ein beseeltes Wesen, das mit mir spricht und zu dem ich eine Beziehung aufbaue.» Deshalb lege er Wert darauf, sich bei jedem Tier, welches seine Haut für eine neue Trommel hergibt, und bei jedem Baum, der sein Holz zur Verfügung stellt, angemessen zu bedanken. Denn ein Teil des Tieres und des Baumes – materiell und geistig – lebe im Klangkörper weiter. Aus demselben Grund verarbeite er auch alle übrigen Fell- und Holzreste weiter: etwa zu Rasseln, Kindertrommeln, Fächern, Redestäben oder Trommeltaschen – damit nichts verloren gehe und alles in neuer Form weiterwirken könne.  «Dankbarkeit ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit», erklärt er.

Die Wurzeln unserer eigenen Kultur
Obwohl Vonlaufen mit den Inhalten zahlreicher vergangener und noch bestehender Traditionen vertraut ist, bewegt ihn bis zum heutigen Tag die Frage: Wie pflegten eigentlich die Menschen früher bei uns die Verbindung zu der geistigen Dimension der Natur? In einem Land, welches mit einer überwältigenden natürlichen Schönheit und Fülle gesegnet ist, müssen solche Riten der Verbindung sehr stark gewesen sein. Aber wie können diese verschütteten Traditionen für die heutige Zeit neu erweckt und mit Leben erfüllt werden? Viele Lehrer aus indigenen Traditionen betonten immer wieder, dass jedes Volk seinen eigenen Zugang zu den Geheimnissen der Schöpfung finden müsse. 

Deshalb folgen Pascal Vonlaufen und seine Partnerin den Spuren ihrer Herkunft und erforschen die eigenen Wurzeln. Im Dialog mit indigenen Kulturen sehen sie ihre Aufgabe darin, ursprüngliche Weisheiten zu verbinden und diese als lebendiges Bewusstsein in ihren Alltag zu integrieren. Dies sei für ihn ebenso wichtig wie das Handwerk.

Der Puls der Muttertrommel
Pascal Vonlaufen lädt den Autoren ein, sich selbst von der Stimme der Trommel berühren zu lassen: Im Garten unter dem Haus lege ich mich rücklings in das Gras unter eine gut einen Meter durchmessende, an einem Holzgestell frei aufgehängte «Muttertrommel». Bedächtig beginnt mein Gastgeber den wuchtigen Resonanzkörper zu schlagen. Das monotone Wummern vibriert wie Wellen durch mich hindurch und versetzt gleichsam jede Faser meines Leibes in Schwingung. Es ist, als spürte ich den Herzschlag von Mutter Erde durch mich hindurch pulsieren. Augenblicklich setzen meine Gedanken aus und innere Bilder steigen auf. Ich fühle mich angeschlossen an einen archaischen Rhythmus.  «Dass gerade Trommelklänge und Wasserrauschen auf uns Menschen so stark einwirken, kommt nicht von ungefähr», sinniert Pascal Vonlaufen und bezieht sich nochmals auf seine anfänglich ausgesprochene Erklärung. «Denn beides ist Ausdruck einer Ur-Erfahrung, die wir bereits in den Anfangstagen unserer menschlichen Existenz gemacht haben. Das Rauschen des Blutes und das Schlagen des Herzens im Mutterleib.» So gesehen erstaunt es nicht, dass Trommeln die Macht haben, uns tief zu uns selbst zurückzuführen.


Info:
www.erdeinklang.ch

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Der Herzschlag von Mutter Erde

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