Das eiserne Treppengeländer unweit der Schule ist gezeichnet. Die Spuren verraten, dass hier einige Jugendliche ihre Skateboards schon fast meisterlich beherrschen und über die Rohre schlittern. Doch das Geländer ist weder für einen Trick auf dem Board gedacht noch erfreut dessen Umnutzung die Passanten. Eine Alternative muss her. Seit der letzten Gemeindeversammlung ist das möglich.
Der Antrag
12 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 Jahren können mit ihren Unterschriften nun bewirken, dass der Gemeinderat ihr Begehren behandeln muss. Dazu müssen in diesem Beispiel die Skateboarder einen sogenannten Jugendmitwirkungsantrag verfassen und reichen diesen bei der Gemeindeverwaltung ein. Die Exekutive muss diesen innerhalb von drei Monaten behandeln. Er ist damit einer Motion gleichgesetzt, notabene einem der stärksten politischen Instrumente, die es gibt. Markus Becker und seine Gemeinderatskollegen haben die Hürde für die Mitwirkung bewusst tief gesetzt. Jugendliche scheinen in Kaufdorf für ihr politisches Interesse geradezu belohnt zu werden.
Die Wirkung
Die Skateboarder könnten zum Beispiel eine «Pumptrack» verlangen und dies damit begründen, dass sie dann nicht mehr auf den öffentlichen Plätzen ihre Tricks üben, sondern auf dem eigens dafür vorgesehenen Areal. Würden Becker und seine Gemeinderatskollegen dem Begehren positiv gegenüberstehen, werden die zwölf in die Umsetzung miteinbezogen. Das Jugendmitwirkungsrecht beinhaltet sogar eine Zielformulierung; innerhalb eines Jahres soll ein Antrag im positiven Falle nämlich umgesetzt werden. Wenn nun aber die Skateboarder stattdessen sich eine ganze Arena wünschen, mit Zuschauertribünen, mehreren Bahnen und jährlich stattfindenden Grossanlässen? Es würde das Budget der 1100-Personen-Gemeinde deutlich sprengen. Eine Ablehnung muss der Gemeinderat den Jugendlichen schriftlich begründen. In diesem Falle etwa mit den Kosten. Es gäbe aber noch die Zwischenlösung. Der Rat könnte das Begehren auch in eine Petition umwandeln.
Die Lösung
Statt den Wunsch der Skatergruppe nach einer ganzen Arena einfach die Gürbe hinunterzuschicken, «kann ein Projekt auch einvernehmlich bei einem Zusammensitzen angepasst werden», gibt Becker zu bedenken. Der Gemeinderat gibt sich lösungsorientiert und will politische Mitwirkung fördern und begleiten. Das kommt bei der Versammlung gut an. Der Antrag wird einstimmig angenommen. Die Bevölkerung in Kaufdorf schliesst ihren jüngsten Gesellschaftsteil in die politischen Prozesse mit ein. Es kam gar etwas «Gwunder» auf bei den Beteiligten. Ob man denn nicht informieren könne, was die Jugendlichen so für Anträge bringen. Das hätte ja auch etwas Symbolisches. Eine Idee, die auch der heimische Regierungsrat, Christoph Neuhaus (SVP), für gut befand.
Die Einordnung
Nun wird in Kaufdorf das Organisationsreglement der Gemeinde mit dem Passus des Jugendmitwirkungsrechts ergänzt. Ein Novum im Gürbetal oder gar darüber hin-aus? Nicht ganz. Burgistein kennt diese Mitwirkung für Jugendliche schon, Thurnen und Riggisberg sind im Begriff, es den Kaufdorfern gleich zu tun. Die Jugendarbeit in der Region fungiert beispielhaft als Bindeglied zwischen der Jugend- und der Erwachsenenwelt, sorgt für gegenseitiges Verständnis und tritt bei Bedarf anwaltschaftlich für die Bedürfnisse der heranwachsenden Generation ein.
Die Unterschätzten
Aus gutem Grund, wenn man die jüngsten politischen Begehren der Berner und Freiburger Jugendlichen studiert: Deren Jugendparlamente, Jungparteien oder auch Interessensgruppen haben vermehrt mit profunden Kenntnissen geglänzt und weder Utopien gefordert noch Radau verursacht. Die Klimagruppe in Schwarzenburg säubert die Ufergebiete der Sense, im Sensebezirk engagieren sich vermehrt junge Menschen in den Kommissionen der Gemeinden und schweizweit organisieren sich die Jugendlichen für die Mission «Takeover», damit zukünftig junge Menschen in den Gemeinderäten Einsitz finden. Ihre Kenntnisse, ihr Potenzial und ihre Bereitschaft sind aber noch vielerorts unterschätzt. Das dürfte Auswirkungen auf die bevorstehende Abstimmung zum Stimmrechtsalter 16 im Kanton Bern haben. Umso wichtiger, dass Gemeinden wie Kaufdorf die Willensbekundung vieler junger Menschen zur politischen Mitwirkung ernst nehmen.
Der Unterschied
Das kann man mit konkreten Taten wie dem Jugendmitwirkungsrecht machen oder lediglich als Lippenbekenntnis, wie es gewisse Politiker tun. Diese neigen da und dort dazu, medienwirksam ihre Freude über jugendliche Partizipation zu bekunden, verstauen dann aber die eingereichten Dossiers unten links in der Schublade. Dort wo der Staub wohnt und aussen das Etikett «weder dringend noch wichtig» haftet. Ein Boomerangeffekt. Denn wer sich der zukünftigen Generation verschliesst, hält sie nicht auf, sondern sorgt nur dafür, dass sie sich einen anderen Weg sucht. Einen, der dann selten zum Vorteil dieser Bremser ausfällt. Jugendliche, die sich wirklich für Politik interessieren, sind im Gebiet miteinander vernetzt, finden Möglichkeiten zur Partizipation, entdecken nach und nach die ganze Vielfalt und kreieren Chancen.
Nun kann man natürlich argumentieren, dass das Beispiel des Skateparks weder das Klima rettet noch die Gemeinde in ihren Grundwerten verändert. Auf den ersten Blick mag das stimmen. Auf den zweiten hingegen unterstreicht es die Bereitschaft, konkret vor der Haustüre zu wirken, statt nur auf den sozialen Medien die Posts anderer zu liken oder grosse Töne zu spucken. Genau aus diesem Grund ist nicht zu erwarten, dass Kaufdorf nun Unmengen an Anträgen oder gar Utopien erhält, sondern wenige, dafür wohl überlegte. Das zeigen die Beispiele anderer Gemeinden, die das Jugendmitwirkungsrecht schon eingeführt haben. Viele kleine Schritte an zahlreichen Orten in verschiedenen Gebieten werden so zu einer Bewegung, zu einer Veränderung, zu einer Entwicklung. Angestossen durch jene Menschen, um deren Zukunft es schliesslich geht. Wer eine junge Gesellschaft hat, die nicht verdrossen nur vor dem Bildschirm hockt, sondern sich engagiert, mitdenkt und mitunter unangenehme Fragen stellt, der darf sich glücklich schätzen. Gut beraten sind all jene, die wie Kaufdorf die Jugend deshalb einbinden, statt sie auszuklammern.