Stefan Hunger ist nicht zu übersehen: imposante Statur, wallender Bart und die Arme voller Tattoos. Ebenso auffällig sind sein feinfühliges Wesen und sein Herz für Tiere. Die Rolle, die er innerhalb einer Spendenaktion von Hilfsgütern in die Ukraine übernahm, spielt er herunter. Er sieht sich als Ausführender im Namen vieler und habe dieser Aktion nur ein Gesicht gegeben. Was eine Untertreibung sein dürfte. Das bestätigt auch Martin Wittwer, der Inhaber der gleichnamigen Transportfirma aus Wattenwil, dessen Unternehmen für die beiden Transporte insgesamt vier Lastwagen zur Verfügung stellte. Die Idee entstand, als Stefan Hunger von seiner Frau den Hinweis erhielt, dass Hundezüchter und Tierliebhaberinnen eine Aktion lancierten, die sich in erster Linie um die Vierbeiner im kriegsversehrten Land kümmern sollte. «Dabei geht es um Rettungs- und Suchhunde, die im Einsatz sind. Aber natürlich auch um Haustiere, die kein Daheim mehr haben und für die der Nachschub an Tierbedarf fehlt», sagt der selbstständige Fahrlehrer aus Burgistein. Da die Güter erst mit Personenwagen transportiert wurden, machte er das Angebot, die Waren per Camion zu befördern. «Der Vorschlag kam gut an. Ich habe danach die Idee auf den sozialen Medien verbreitet. Die Rückmeldungen waren weit über dem, was ich erwartet hatte. Wir mussten Lagerräume organisieren, die für Lastwagen zugänglich sind.»
Kinder mit Haustieren auf der Flucht
In dieser Phase kam Martin Wittwer ins Spiel; er hatte beides, Lastwagen und Lagerräume. «Ich habe Stefan Hunger vorher nicht gekannt. Er hat eines Tages angerufen und mich gefragt, ob ich das Projekt unterstützen würde», sagt der Transportunternehmer, der nach einem Treffen mit dem Chauffeur sofort zusagte. Sein Engagement für die Beförderung von Hilfsgütern ist nicht neu: «Bereits vor rund 30 Jahren transportierte ich als Fahrer Produkte nach Rumänien, später brachten wir Hilfsgüter nach Bosnien.» Martin Wittwer hat das Leid gesehen, von dem Menschen in Krisengebieten betroffen sind. Und er hat es nicht vergessen. Seiner Zusage folgten im Nachhinein auch Zweifel, weil er fand, die Versorgung von Tieren sei jetzt nicht das Wichtigste. Die Tatsache, dass viele Kunden und Bekannte aus der Region Waren spendeten, liess seine Zweifel verfliegen. «Erst recht, als mich diese darauf aufmerksam machten, dass viele der flüchtenden Kinder ihre Haustiere mitnehmen. Das ergab eine zusätzliche Perspektive, zudem waren ja auch Güter für ein Heim mit Waisenkindern dabei.» Von nun an standen vier Laster für zwei Transporte zur Verfügung.
60 Tonnen und viel Bürokratie
Was seinen persönlichen Beitrag zum Hilfsprojekt betrifft, hält sich Martin Wittwer zurück. Man muss ihn schon darauf ansprechen; oder man erfährt es von Stefan Hunger: «Auf meine Frage zur Bereitstellung eines Lagerraumes hat er das gleich selbst gemacht. Am Sonntagmorgen vor der Abfahrt war er mit Familienmitgliedern vor Ort, um beim Beladen der Camions zu helfen. Ohne Martin Wittwer wäre das Projekt nicht zustande gekommen.» Schliesslich kam Material mit einem Gesamtgewicht von 60 Tonnen zusammen. Futter und Decken waren dabei, Leinen und Halsbänder, auch Hundeboxen und Spielsachen. Gekauft und gespendet von Privatpersonen oder Firmen wie «petfriends». Das Unternehmen für Tierbedarf beteiligte sich während einem Monat an der Sammelaktion. Vor der ersten Fahrt mussten einige bürokratische Hürden überwunden werden, was nicht immer auf offene Ohren stiess, wie Stefan Hunger feststellt. Unterstützung erhielt er hingegen vom Strassenverkehrsamt. Dieses verlangte kein Geld für die Aufhebung des Fahrverbotes an Sonntagen, da es sich um den Transport von Hilfsgütern handelte. Auf Martin Wittwer konnte das Team ohnehin zählen; auch als kurz nach dem Grenzübertritt nach Deutschland zwei Reifen eines Camions platzten. Da an einem Sonntag kein Pannendienst verfügbar war, fuhr der Transporteur mit einem Service-Wagen nach Deutschland und reparierte den Schaden. Der zweite Transport startete am 12. April morgens um fünf Uhr in Wattenwil. Es sollte für Stefan Hunger zu einem prägenden Erlebnis werden.
Bittere Realität im Auffanglager
Im Grenzbereich zwischen Polen und der Ukraine mussten die Fahrer fast 20 Stunden in ihren Lastern warten. «Für Camions mit Hilfsgütern oder für Ambulanzfahrzeuge gibt es keine bevorzugte Abfertigung. Im Gegensatz zu Konvois mit Munition oder Waffen. Es ist schon frustrierend: Du investierst so viel und wirst an der Grenze jenes Landes aufgehalten, für das die Waren bestimmt sind. Die Grenzbeamten beider Länder schoben sich die Schuld gegenseitig zu und niemand übernahm Verantwortung. Unbürokratisch ist anders.» Damit nicht genug, kurz vor dem Grenzübertritt in die Ukraine stellte Stefan Hunger fest, dass er seinen Pass nicht dabei hatte; die Einreise wurde ihm verweigert. Umkehren wollte er nicht. «Ich wollte hier auf die Rückkehr meiner Kollegen warten. Hauptsache, die Güter konnten in die Ukraine geliefert werden.» Die Wartezeit verbrachte er in einem Auffanglager für Flüchtlinge. «Dieser Tag wurde zu einem eindrücklichen persönlichen Erlebnis», blickt Stefan Hunger zurück. Es sei für ihn eine noch wertvollere Erfahrung gewesen als der Transport, da er die Realität gesehen hat. «Die Menschen waren in einer riesigen Halle untergebracht. Mütter, ältere Leute und Kinder, die zwischen den Liegebetten Fussball spielten oder sich mit Haustieren beschäftigten.» Er bekam mit, wie die Flüchtlinge in Busse stiegen, die sie wegbrachten. Wohin auch immer, aber sicher in eine ungewisse Zukunft. Die Dankbarkeit über das Privileg, in Frieden und Freiheit zu leben, nahm Stefan Hunger mit in die Heimat: «Ich wusste: In ein paar Stunden kann ich wieder nach Hause. Ich habe ein Zuhause. Sie nicht».
INFO
Die Sammel- und Spendenaktion läuft weiter für einen geplanten weiteren Transport Ende Juni:
fahrschulehunger@me.com