Nein, es gibt kein typisches Bauernhaus des Naturparks. «Typisch ist die Vielfalt. Im Naturpark gibt es eine jahrhundertealte Baukultur und man findet das Abbild einer irrsinnig spannenden Übergangszone», so der Historiker Heinrich Christoph Affolter.
Die Region Gantrisch gilt als Übergangszone, die im zweiten Band von «Bauernhäuser des Kantons Bern» behandelt wird: «Man findet hier schwach geneigte Giebeldächer aus dem Oberland sowie Häuser mit steilem Dach, wie sie im Mittelland üblich sind», erzählt Heinrich Christoph Affolter und ergänzt: «Oft sind sie keine hundert Meter voneinander entfernt.»
Die Ründi
Im östlichen Teil dieser Übergangszone findet man auch den Rundbogen des Dachs, die sogenannte Ründi. Affolter vermutet, dass dieser Stil eine Art Modeerscheinung war; mehrere solcher typischen Ründi-Bauten stehen in Pohlern. Vielfach waren es Gaststätten, die damit begannen, und wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, liess sich ebenfalls eine Ründi bauen. So gesehen waren Ründi-Häuser also etwas Repräsentatives; eine Erscheinung, die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Einzug hielt.
Von arm bis reich
Es liegt in der Natur der Baukultur, dass sich die Gebäude immer auch nach den finanziellen Möglichkeiten der Bauherren richteten. Galt das Ründi-Haus als repräsentativ, so war das kleine Tätschdachhaus das Heim für arme Leute. «Als ich 1982 mit meinen Forschungen begann, standen noch weit mehr solcher Tätschdachhäuser im Gebiet», erinnert sich der Historiker. Es war sicherlich das am weitesten verbreitete Haus im Schwarzenburgerland; daher ist es aber auch ein wenig von seinem Armen-Stempel zu befreien und müsste eher als Hausform gelten, die sich in dieser Gegend bewährt hat. Sie ist somit ein wichtiger Teil dieser Schatzkiste an im Naturpark vorhandener Baukultur, denn «diese eingeschossige Bauweise findet man schweizweit nur noch im Zürcher Oberland», resümiert Affolter.
Holz dominiert
Wo es viel Wald gibt, dominiert Holz als Baustoff. Die meisten Gebäude der Gegend bestanden aus Rottannen-Holz. Auch die Dächer waren bis Anfangs des 20. Jahrhunderts mit Holzschindeln gedeckt, ehe kleine Ziegeleien entstanden und der Brandschutz mit Ziegeln verbessert werden konnte. Stein als Baumaterial ist vor allen Dingen rund um das Fundament wichtig, dort, wo die Nässe das Holz angreifen kann. In vielen Gebieten kommt Sandstein vor, ein Material, das sich gut im Bau einsetzen liess, was man ebenfalls vielerorts im Gebiet entdecken kann.
Die ökonomische Gesellschaft pries im 18. Jahrhundert den Fachwerkbau als Methode an, um Holz einzusparen. Auch dieser Baustil gehört zum Naturpark Gantrisch. Nimmt man Guggisberg als Beispiel, findet man solche Riegbauten als Stöckli neben Ründi-Haus und Tätschdachhaus.
Stöckli und Speicher
Oft standen die Stöckli im Riegbau. Sie sind zusammen mit den Speichern auch Teil dieser reichhaltigen Baukultur. «Stöckli gab es in dieser Gegend weniger, Speicher dagegen kamen häufig vor», beschreibt Affolter eine Tendenz, da die Bauern der Gegend gerne alles unter einem Dach vereint hatten. Doch wer es sich leisten konnte, besass all diese Gebäude. Stöckli sind «Kinder» der Agrarintensivierung und dienten als multifunktionale Gebäude (Ofenhaus, Wohnung, Speicher).
So ist der Naturpark Gantrisch letztendlich eine grosse Schatzkiste voller unterschiedlicher Goldstücke; mit flachen und steilen Dächern, mit Ründi oder ohne. Und allesamt erzählen sie ihre eigene Geschichte vom Leben der Menschen dieser Gegend. Baukultur ist in der Region Gan-trisch reichhaltig und vielfältig – seit vielen Jahrhunderten. Wahrlich eine Schatzkiste.
INFO
Band 2 der Bücherreihe «Bauernhäuser des Kantons Bern» ist abrufbar auf: www.digibern.ch