Aus dem Dornröschenschlaf

Aus dem Dornröschenschlaf

Stolz thront das ehemalige Kurhotel hoch über Wattenwil. Fast scheint es, das Haus selber blicke auf die imposante Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau mit dem Thunsersee zu seinen Füssen. Dass die Stafelalp wieder in alter Schönheit erstahlt, verdankt sie der Initiative einer jungen Familie.

Der einstige Prachtbau ist in die Jahre gekommen. Die Jahrzehnte als Hotel und Ferienheim haben genauso ihre Spuren hinterlassen wie das Wetter, dem das Gebäude an dieser exponierten Lage gänzlich ausgeliefert ist. Paare, die hier einmal geheiratet haben und Menschen, die im Teich ihre ersten Schwimmversuche gemacht haben, reiben sich nun verwundert ihre Augen. Wenn man auf dem Wattenwiler Höhenweg aus dem Wald tritt oder vom Grundbach weiter nach oben geht, erstahlt die Stafelalp wieder wie in alten Zeiten.
«Wir waren noch jung»
Lucienne Tarozzo sagt: «Es halten viele Menschen und fragen nach, was aus dem Haus nun geworden ist.» Was sie nämlich sahen, war eine Familie, die Schritt für Schritt «dem Haus wieder seine Würde zurückgab,» wie es Michael Tarozzo formuliert. Das 1903 erbaute Hotel sollte möglichst nachhaltig erneuert werden. «Wir haben viel über die Zeit von damals recherchiert, insbesonders mein Vater», so die junge Mutter. Dazu gehörten auch etliche Postkarten der Stafelalp aus jener Zeit. «Es gab beim Umbau aber fast nur Überraschungen. Alte Häuser ziehen oft einen Rattenschwanz an Zusatzaufwänden nach sich, wenn man an einem Ort eingreift», sagt Michael, der drei Jahre lang sogar seinen Beruf an den Nagel hängte, um die Bauarbeiten voranzubringen. Am Schluss sind fast nur tragende Elemente geblieben, das meiste musste ersetzt werden. «Das war anfänglich nicht so geplant. Wir wollten einziehen, leben und umbauen», muss er beim Anblick des heute vollrenovierten Gebäudes fast ein wenig schmunzeln. Aus der Not wurde aber eine Tugend und die Stafelalp ist heute ein Beispiel für Nachhaltigkeit, von den Materialien bis zur Photovoltaikanlage. «Wir waren mehrmals erschöpft und an einem Punkt, wo wir fast aufgegeben hätten», erzählt Lucienne ehrlich und direkt, ehe ihr Mann lachend ergänzt: «Ja, wir waren jung.»

Ein Generationenhaus
Nun, um es vorweg zu nehmen: Das sind sie immer noch. Es hat aber viel Energie gekostet, sich einen Lebenstraum zu verwirklichen. «Noch bevor wir von der Stafelalp wussten, haben wir eine Zeichnung gemacht, wie unsere Zukunft aussehen soll. Es sollte ein Bild von einem grossen Haus mit vielen Menschen im Grünen mit Garten und Wasser sowie Platz für Selbstversorgung, Kinder und Tiere werden», beschreibt Lucienne. Mit 25’000 m² Land, einem grossen Teich und einem Waldanteil bietet das ehemalige Hotel genau das und belohnt die Bewohnerinnen und Bewohner obendrauf mit einer der schönsten Aussichten weit und breit. Entstanden ist nun ein Mehrfamilienhaus mit sieben unterschiedlich grossen Wohnungen, die so konzipiert sind, dass es Raumaufteilungen für jede Altersstufe gibt. Von jungen Familien bis zu etwas älteren Menschen – mehrere Generationen haben ihren Rückzugsort – treffen sich dann aber im Garten, zum Apéro, beim Teich oder dem zugehörigen Wald, um gemeinsame Projekte voranzutreiben. «Das war die richtige Wohnform. Anfänglich starteten wir mit einer offenen Gemeinschaft, aber da läuft man schnell die Gefahr, dass zuviele unterschiedliche Ideen und Wünsche aufeinandertreffen», erklärt sie und verweist darauf, dass die Wohnungen längst alle vermietet sind. Lucienne ist Homöopathin und Naturärztin. Sie eröffnete unlängst ihre «Gesundheitspraxis auf dem Berg» in den ehrwürdigen Mauern.

Ein Kraftort
Das passt. Denn die Natur auf der Stafel­alp hatte schon seit jeher eine besondere Kraft, vom Kurhotel, das mit dem Berghaus Gurnigelbad verbunden war, bis zur Praxis von heute. «Man spürt diese Energie. Schon vor unserer Zeit zogen sich Menschen hierher zurück, um Kraft zu tanken und sich zu besinnen. Dieser Ort regt in allen viele Ideen und Visionen an», fügt sie hinzu. Dazu gehört eine intakte Natur, die nun mit dem Permakultur-Garten ebenfalls wieder erstrahlt. Zwischen den essbaren Pflanzen gedeihen auch viele Heilkräuter, von denen sie Setzlinge verkauft, Massageöle und Tee herstellt. Vielleicht war es auch ein wenig diese Kraft, die der Familie Tarozzo half, durchzuhalten und all die Strapazen einer umfassenden Renovation eines alten Hauses auf sich zu nehmen.

Ein Bild ist Realität geworden. Entstanden ist eine innige Beziehung zwischen einer Familie, die ihren Traum verwirklicht hat, und einem Haus, das es verdient hat, wieder im alten Glanz zu erstrahlen. Eine Symbiose, die anfänglich viele Entbehrungen abverlangt hat, aber mit seiner Schönheit und der einzigartigen Ambiance für zukünftige Generationen wieder zum Kraftort wird. Auf der Stafelalp beginnt ein neues Kapitel. In Privatbesitz, doch umgeben von Menschen, die dem Kraftort die nötige Sorgfalt entgegenbringen. Mittendrin die junge Familie, die das altehrwürdige Hotel aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat: Lucienne und Michael Tarozzo.

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Aus dem Dornröschenschlaf

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