Die Geisterburg des Belpbergers

Die Geisterburg des Belpbergers

Mit strenger Hand waltete einst ein raubeiniger Freiherr über seine Herrschaft südlich von Bern. Mit seinen Nachbarn lag er in ständiger Fehde, deshalb beschloss er eines Tages, auf einem unzugänglichen Felssporn über dem Belpberg eine Festung aus starkem Stein zu errichten.

Als die Burg beinahe vollendet war, erklärte der Baumeister, dass das Mauerwerk nun an drei Flanken fertig sei, doch wolle er für die abschliessende Seite, welche aufgrund ihrer Lage die einzige Schwachstelle des Bauwerkes war, nur das verlässlichste Material verwenden. Einen einzigen grossen Block aus schierem Granit müsse er dort setzen, um sicherzugehen, dass kein Geschütz die Wehrmauer würde brechen können. Um derartiges Baumaterial beschaffen zu können, hätte der Belpberger sich im Oberland umsehen müssen, aber der Weg dahin war ihm durch seine Gegner versperrt.

Deshalb suchte er Zuflucht in verderbter Zauberei. Im tiefsten Gewölbekeller unter seiner Burg schlummerte seit vielen Jahren ein uraltes Grimorium, ein heidnisches Zauberbuch, welches ein Vorfahre von ihm einst als Kriegsbeute mitgebracht hatte. Obwohl seine Gemahlin und seine betagte Mutter ihm eindringlich von derart gefährlichen Praktiken abrieten, suchte der verbissene Burgherr Zuflucht in der Beschwörung eines höllischen Geistes. In einer mondlosen Nacht, als die Zeichen günstig standen, ritzte er an verschwiegener Stätte den Bannkreis in den Boden, versah diesen sorgfältig mit allen erforderlichen Siegeln, brachte vorschriftsgemäss die notwendigen Blutopfer dar und sprach die verderbten Worte, welche die Pforte in das Reich der dunklen Mächte aufstiessen. Sogleich erfüllte ein unheimliches Rauschen die Luft – und schwarzer, schmieriger Nebel umwallte den Beschwörer unheilvoll, so dass dieser erschauderte. Schliesslich gerann der finstere Qualm zu einer machtvollen Gestalt von triefender Schwärze, welche ihren Meister mit donnernder Stimme nach seinem Begehr fragte.

«Beschaffe mir einen Felsbrocken aus dem Gletschergebirge, der meiner Burgmauer würdig ist», lautete der Befehl des Burgherrn.

«Dein Wunsch sei mir Befehl», orgelte der Dämon mit seiner dräuenden Stimme. «Doch wisse, Sterblicher, dass jeglicher Dienst seinen Preis fordert.»

«Was verlangst du von mir?», schnaubte der Beschwörer unwillig. «Nenne mir rasch deine Bedingung.»

«Ich begehre im Austausch für meine Dienste nichts als deine unsterbliche Seele. Nach deinem Ableben sollst du mir dereinst für sieben mal sieben Jahre zu Willen sein.»

«Lächerlich!», kreischte der Burgherr und lachte hysterisch auf. «Dieser Moment ist fern. Wenn das alles ist, so soll die Abmachung gelten. Enteile nun und willfahre meinem Befehl.»

«Vor dem ersten Hahnenschrei wird dein Wunsch erfüllt sein, mein Herr und Gebieter. Deine Feinde werden sich fürderhin an den starken Mauern deiner Feste die Zähne ausbeissen.»

Das Geistwesen entflog also auf nachtschwarzen Schwingen und erreichte in Windeseile sein Ziel. Den stärksten Bergflanken im Herzen der Alpen entriss es ein gewaltiges Felsstück, um es schwerelos durch die Lüfte zu bewegen.

Im Gewissen des ruchlosen Belpbergers begann sich inzwischen aber ein ehrbarer Funken zu regen. Plötzlich verspürte er Zweifel an seinem Tun. Hatte er sein Seelenheil durch den voreiligen Pakt mit der luziferischen Kreatur verspielt? Je länger, je mehr überfiel ihn bittere Reue. Doch es war zu spät.

Bereits begann ein schneidender Wind von Thun herab zu wehen. Ein Geräusch wie von tosenden Wasserfluten schwoll rasch an. Vor dem Hintergrund der kalt glitzernden Sterne zeichneten sich die Umrisse eines gewaltigen Felsbrockens ab, der von widernatürlicher Macht gehalten vom Gebirge her durch die Luft näher schwebte.

Nun schwitzte der Freiherr schieres Blut. Denn mit der Vollendung des unheiligen Werkes, welches er angezettelt hatte, drohte ihm auf einmal ein furchtbares Schicksal.

Als der fliegende Felsen in einem weiten Bogen über den Längenberg schwenkte, um seinen Platz in der unvollendeten Festungsmauer einzunehmen, erscholl unvermutet das schrille Krähen eines Hahns durch die Schwärze der Nacht. Triumphierend wie Fanfarengeschmetter zerriss es die unheimliche Stille. Dabei war die Stunde des Tagesanbruchs noch längst nicht gekommen.

Ein enttäuschtes Aufstöhnen sprang da über das schlafende Tal der Gürbe. Dann fiel der schwebende Felsen an Ort und Stelle nieder und krachte in ein Waldstück in der Flanke des Längenberges.

Das Herz des Belpbergers setzte einen Schlag aus, als er realisierte, dass sein Pakt im letzten Augenblick gebrochen worden war. Der verfrühte Schrei des Hahns hatte ihn vor einem grausamen Geschick bewahrt. Und dennoch vermochte er kaum zu glauben, warum der Gockel seinen Morgenruf ausgerechnet in dieser finsteren Nacht so ungewohnt früh ausgestossen hatte.

Unerwartet trat die alte Mutter des Burgherrn neben ihren Sohn und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. «Du weißt nun», raunte sie ihm zu, «dass der Mensch angehalten ist, seine Werke aus eigener Kraft zu vollbringen. Sieh zu, dass du dies von nun an im Dienst der Menschenliebe und des Friedens vollführst. Ich habe dich belauscht, als du mit dem Bösen paktiert hast. Und ich habe unseren Gockel heute Nacht mit Absicht frühzeitig aus seinem Schlummer gescheucht, damit er den neuen Tag früher ankündige als üblich. Ich hoffe, dass du in diesem neuen Tag auch den Anbeginn eines frisch geschenkten Lebens für dich erkennen kannst.»

Tränen liefen in den struppigen Bart des raubolzigen Mannes, als er gewahrte, dass diese liebende Frau ihn in dieser Nacht beileibe vor Schlimmerem bewahrt hatte als vor dem Tod.

Der Burgherr vom Belpberg suchte bereits in den nachfolgenden Tagen den begütigenden Ausgleich mit seinen Nachbarn und wurde bald ein viel geachteter und weithin gerühmter Edelmann. Das Zauberbuch aus seinem Keller verbrannte er bis zum letzten Fetzen, und seine unvollendete Festung liess er gänzlich niederreissen; deshalb findet sich heutzutage keine Spur mehr davon.

Der Felsblock, welchen der böse Geist im letzten Augenblick fallen gelassen hat, kann heute noch am Längenberg bestaunt werden. Er liegt unweit von Winzenried am Waldrand und trägt im Volksmund den bezeichnenden Namen «Teufelsburdi» oder «Teufelsstein».

Frei nacherzählt nach Nikolaus Bongard
Andreas Sommer
Illustration: Martin Aeschlimann

 

Das grosse Sagenbuch für die Region
Die obenstehende Erzählung ist zusammen mit 76 weiteren Sagen aus der Region in der umfassenden Sammlung Mythenland – Schweizer Sagen vom Gantrisch  nachzulesen. Das von Martin Aeschlimann stimmungsvoll illustrierte und von Andreas Sommer ausführlich kommentierte Sagenbuch mit 416 Seiten Umfang ist als grossformatige gebundene Ausgabe zum Preis von CHF 49.80 beim Neptun Verlag in Bern erschienen. ISBN 978 3 85820 359 5. Es ist im Buchhandel oder direkt bei der bm media AG erhältlich.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Die Geisterburg des Belpbergers

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt