Christoph Neuhaus, wir stehen bei Ihrem Haus im Grünen in der Gemeinde Kaufdorf am Trockenhang. Was bedeutet Ihnen Ihr Zuhause?
Heimat, Lebensmittelpunkt meiner Familie, Kraft- und Rückzugsort – alles zusammen. Wohltuend, um aufzutanken und abzuschalten. Der perfekte Ort, der mir Rückhalt und eine schöne Abwechslung zu meiner täglichen, interessanten Arbeit als Regierungsrat bietet. Eine Arbeit, die halt manchmal anstrengend ist, wie bei so vielen. Ein Ort aber, an dem ich mit Überhosen und Mist an den Schuhen herumlaufen kann, ohne mich erklären zu müssen – ausser bei meinem Sohn, der im Kindergartenalter ist und unzählige Fragen stellt.
Ihr Wohnort ist Teil des Naturparks Gantrisch. Wie gut kennen Sie diesen?
Mittelmässig, muss ich zu meiner Schande gestehen, denn es gibt noch unendlich viel zu entdecken. Aber immer besser. Da ich im Seeland aufgewachsen bin, kam ich erstmals während der Rekrutenschule hierher, leistete als frischgebackener Leutnant mit meinem Zug Hilfe nach dem Hochwasser im Gürbetal vor drei Jahrzehnten. Das hat Lust auf mehr geweckt, auf die Region hier zwischen Voralpen und Mittelland. Ja, und jetzt darf ich am Fuss der Voralpen mit Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau wohnen, dort, wo andere Ferien machen. Dafür sind wir als Familie den Vorbesitzern unserer Liegenschaft dankbar.
Sind Sie viel im Naturpark unterwegs?
Regelmässig, aber eigentlich immer noch zu wenig. Zu Fuss gibt es noch einiges zu erlaufen. Zudem rufe ich vehement Frau Holle zu, sie solle endlich ihre Arbeit machen. Verschiedenste Loipen und Pisten würden mir helfen, etwas fitter über den Winter zu kommen.
Und welche Orte ziehen Sie in ihren Bann?
Die Klosterruine in Rüeggisberg beispielsweise fasziniert mich. Ebenso faszinierend war zu beobachten, wie mein Junior Ethan auf der Exkursion zum Buch «Helva, die Zwergenkönigin» mitfieberte. Ein Angebot aus dem Bereich Sagen und Mythen des Parks, das die Kleinsten und Kleinen anspricht. Aber genau genommen hat es an allen Ecken und Enden, mittendrin sowieso, unglaublich faszinierende Orte. Nicht spektakulär für die, die lieber Halligalli haben und dem Konsum frönen. Aber «kommt hierhin, sucht und entdeckt», bin ich versucht, allen mitzugeben.
Sie haben nicht nur privat Berührungspunkte, sondern ebenfalls als Regierungsrat. Wie wichtig ist der Naturpark Gantrisch für den Kanton Bern?
Der Naturpark Gantrisch im Speziellen und die anderen Naturpärke im Kanton im Allgemeinen helfen mit, dass für die wertvollen lokalen Produkte oder Dienstleistungen ein höherer Preis erzielt werden kann. Gerade heute hat einiges, das grossen Wert hat, nicht mehr den Preis, den es verdient. In der Landwirtschaft kann man davon besonders ein Lied singen. Der Naturpark setzt Produkte und Dienstleistungen der Region wieder in Wert. Er macht zudem bewusst, dass es hier Werte zu erhalten und pflegen gilt, die Jahrhunderte überdauert haben. Er macht damit auch selbstbewusst. Dazu werden die Gemeinden, die Menschen angehalten, in dieser vernetzten Welt zusammenzuarbeiten.
Sie kommen beruflich viel herum. Kennt man den Naturpark Gantrisch ausserhalb des Kantons?
Jein. Dank des Naturparks wird die Region wiederum weit über Bern hinaus wahrgenommen. Vorgestellt zum Beispiel Ende April mit Produkten aus dem Gantrischpark an der Jahresversammlung der Berghilfe in Zürich-Oerlikon. Das steigert klar den Bekanntheitsgrad – um etwas zu kennen, braucht es aber einiges mehr. Doch wenn man die vergleichsweise bescheidenen Budgets – auch wenn es für den einzelnen viel Geld ist – sieht, mit denen gearbeitet wird, dann darf man zufrieden sein.
Als Vorsteher der Bau- und Verkehrsdirektion (BVD) haben Sie thematisch viele Berührungspunkte zum Naturpark. Welches ist der kniffligste?
«Versprich allen alles», sagte schon der Römer Cicero. Dann wirst Du wiedergewählt. Man möchte möglichst viel öffentlichen Verkehr – aber wir können es uns im Bernbiet leider nicht leisten, dass z.B. Busse nur schwach besetzt zirkulieren. Also müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Als vor wenigen Wochen viele über den Nebel flüchteten und es zum Parkingchaos im Naturpark kam, da haben mich einige angesprochen. Heikel ist auch immer, wie und was man in welcher Form bauen kann, damit es dieser einmaligen Landschaft gerecht wird.
Welcher Bereich des Naturparks hat mit Blick auf Ihre Direktion das grösste Potenzial?
Der touristische. Der Name Naturpark sagt’s bereits und man hatte Erfahrung – mit dem Gurnigelbad stand hier Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein Grandhotel von internationalem Ruf. Der direkte Autozug aus London ins Gürbetal ist heute Geschichte. Aber wer weiss, vielleicht gibt es ein Revival? Wird es weiterhin heiss und heisser, so kann ich mir vorstellen, dass auch das Reisen in die «Sommerfrische» wieder Konjunktur bekommt.
Wie bewerten Sie als (ehemaliger) Kommunikationsexperte den Naturpark Gantrisch als Marke?
Der Gantrisch ist eine Marke, ein Brand wie es so schön auf Neudeutsch heisst. Allerdings fehlt das notwendige Monsterbudget, um das Logo mit riesigem Aufwand unablässig in die Köpfe der Konsumierenden zu «hämmern». Umso mehr müssen die Verantwortlichen – damit meine ich Parkverantwortliche wie Produzierende und Dienstleister – dranbleiben. Wiederholen, nie nachlassen, treu in der Spur bleiben, aber auch ab und an ausgetrampelte Pfade verlassen.
Was finden Sie besonders gut am Naturpark Gantrisch?
Dass man zusammensteht und am gleichen Strick zieht. Vor allem aber auf der gleichen Seite, auch wenn hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Der Naturpark bewirkt keine Wunder, denn die dauern etwas länger. Aber zu dem, was wir haben, wird eine Geschichte erzählt, wir zeigen den Mehrwert des Bestehenden auf und daraus entsteht eine zusätzliche Wertschöpfung.
Im nächsten Halbjahr wird in den zum Parkperimeter gehörenden Gemeinden über einen Verbleib im Naturpark entschieden. Soll Kaufdorf dabeibleiben?
Persönlich wünsche ich mir das. Aus Respekt gegenüber dem Naturpark und seiner Bevölkerung sowie aus Solidarität – auch wenn dieses Engagement einen Preis hat, es hat eben auch seinen Wert.
Was wünschen Sie sich für den Naturpark?
Dass weiter auf den Stärken aufgebaut und Schwächen ausgemerzt werden. Primär aber, dass zuversichtlich die Zukunft angegangen wird, denn nur der Optimist hat eine gute Zukunft. Im Kanton Bern ist der Pessimist der einzige Mist, auf dem nichts wächst.