Zeit und Raum für Trauer

Zeit und Raum für Trauer

Wie soll es weitergehen, wenn ein Freund, ein Partner, ein Kind oder ein Elternteil stirbt? «Nach so einem erschütternden Erlebnis braucht es Zeit und Raum für Trauer», sagen Katharina Friederich und Magdalena Stöckli. Die beiden wissen, Trauer muss durchlebt werden, damit Heilung möglich ist. Doch das braucht Geduld, welche der schnelllebigen Gesellschaft abhanden gekommen ist. Deshalb haben die beiden ein Trauerkaffee gegründet.

Wir alle werden einmal sterben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Trotz dieser Tatsache verdrängen wir den Gedanken und widmen uns lieber den angenehmen Dingen des Lebens. «Es scheint, dass in unserer Gesellschaft das Thema Sterben und Tod den Platz verloren hat», sagt Katharina Friederich, und ihre Freundin Magdalene Stöckli ergänzt: «Während früher die Menschen, die einen Verlust zu beklagen hatten, während mindestens einem Jahr Schwarz trugen, wird heute erwartet, dass Hinterbliebene nach drei bis sechs Monaten wieder normal funktionieren.» Sätze wie «Das Leben geht doch weiter» oder «Zeit heilt alle Wunden» seien für die Betroffenen oftmals wenig hilfreich.

Mut zur Stille

«Das Umfeld ist oft unsicher, wie es reagieren soll, und will nichts falsch machen», sagt Stöckli. «Die Zuhörenden fühlen sich verpflichtet, einen Ratschlag zu geben. Hier ist Mut zur Stille gefragt», sagt Friederich und erklärt: «Wir müssen lernen, die Stille auszuhalten und zu akzeptieren, dass wir in manchen Situationen nicht helfen können.» Die ausgebildete Trauerbegleiterin weiss, dass es manchmal gar nicht viel braucht, sondern einfach eine direkte Nachfrage und ein offenes Ohr. Denn auch die Hinterbliebenen kostet es Überwindung, darüber zu sprechen. «Die Trauernden wollen oftmals das Umfeld schonen und nicht mit ihrem Kummer belästigen.» Auch die Seelsorgerin Stöckli hört immer wieder den Satz: «I cha doch nid geng z’glichige verzeue.» Doch gerade das sei wichtig, um den Schmerz im Alltag zu integrieren. Dieses Phänomen, stark zu bleiben und der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen, liege wohl in unserer Kultur, vermuten die beiden.

Deshalb ist ein geschützter Ort wie das Trauerkaffee so wichtig, sind die Initiantinnen überzeugt. «Alles was hier diskutiert wird, ist vertraulich und bleibt in der Gruppe», sagt Friederich. «Hier können die Menschen unter Gleichgesinnten über ihren Schmerz sprechen, einander zuhören und sich austauschen.» Oft haben Betroffene das Gefühl, allein zu sein. Doch das sind sie nicht – im Gegenteil. Trauernde sind mitten unter uns – sie sind Teil des Lebens. «Bei uns sind alle willkommen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Konfession.»

Aus einem kleinen Samen wird die Idee

Die Idee für ein Trauerkaffee stand bei beiden Frauen schon länger im Raum. Im Mai 2022 war die Zeit reif, mit dem Projekt zu starten. Bei der Aufgleisung erfuhren die Initiantinnen grosse Unterstützung aus dem regionalen Umfeld. Finanziell wird das Projekt von der Kirchgemeinde Riggisberg getragen. «Es ist berührend, wie viele Institutionen unser Konzept auch ideell unterstützen. Organisationen wie das örtliche Spital, der Riggishof, die Spitex, der Schlossgarten oder das Altersnetzwerk Region Gantrisch helfen mit, das Angebot unter die Menschen zu bringen, indem sie Flyer abgeben und auf das Trauerkaffee aufmerksam machen.» Das Treffen findet jeden ersten Mittwoch im Monat im Café Glücklicher statt, welches von den Pächtern kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Akzeptieren, aber nicht vergessen

Leben und Tod sind oft nahe beieinander. Das wissen alle, die schon mal den schmerzlichen Verlust eines nahestehenden Menschen erleiden mussten. Oft scheint ein Leben ohne den geliebten Menschen unvorstellbar – einfach unfassbar. «Schlussendlich geht es nicht darum zu vergessen. Im Gegenteil: Der Verlust gehört zu uns, aber entscheidend ist, wie wir damit umgehen», sagt Pfarrerin Stöckli, und ihre Projektpartnern Friederich fügt an: «Es ist immer wieder eindrücklich und berührend, welche Kraft die Trauernden plötzlich mobilisieren können.» Trauern ist also ein wichtiger Teil des Heilungsprozesses. So kann es allmählich und mit viel Geduld gelingen, den Verlust anzunehmen, das Unfassbare fassbarer zu machen und trotz der entstanden Lücke, ein erfülltes Leben zu führen.

 

Info:

www.kirche-riggisberg.ch/angebote/verschiedene-angebote

 

Über die Initiantinnen

Katharina Friederich (links auf dem Bild), 46-jährig, Kindergärtnerin, Aktivierungsfachfrau mit einer Weiterbildung in der Kunst- und Ausdruckstherapie sowie Trauerbegleiterin. Wohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Riggisberg.

Magdalena Stöckli, 38-jährig, Pfarrerin Kirchgemeinde Riggisberg. Als Seelsorgerin im Schlossgarten Riggisberg tätig. Wohnt mit ihrer Familie in Spiez.

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Zeit und Raum für Trauer

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