Teil der Gesellschaft

Teil der Gesellschaft

Italienerinnen, Tamilen oder Türkinnen in der Schweiz sind oft schon jahrzehntelang auch Schweizer Bürgerinnen oder Schweizer Bürger. Kinder mit familiären Wurzeln in Albanien, Afghanistan oder Eritrea sind an den Schulen in Toffen, Guggisberg oder Plaffeien die Klassenkameraden von Andreas und Finn, von Anna und Sophie. Wer seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, möchte sich oft auch einbürgern lassen. Doch wie funktioniert das überhaupt?

25964. So viele Personen sind im Verlauf des Jahres bis Ende September Schweizer Bürgerin oder Schweizer Bürger geworden, 2197 davon im Kanton Bern, 747 in Freiburg. Aktuell haben 2,4 Mio. in der Schweiz Wohnende kein Schweizer Bürgerrecht. Darunter sind hier Geborene; Kinder von Ausländerinnen und Ausländern, welche zum Teil ihrerseits schon einen Grossteil ihres Lebens hier verbracht haben. Sie haben hier die Schulen absolviert, sprechen Schweizerdeutsch und jubeln für die Schweizer Nati. Viele von ihnen entscheiden sich früher oder später, das Schweizer Bürgerrecht zu beantragen.

Sprach- und Schweiz-Kenntnisse

«Ich bin seit 2011 in der Schweiz, mein Mann seit 2018, die drei Kinder sind hier geboren. Inzwischen fühlen wir uns hier sehr zuhause. Die Schweiz ist für uns zu einem festen Lebensmittelpunkt geworden, deshalb begleitet uns der Gedanke an eine Einbürgerung schon eine Weile», erzählt R.M.* aus einer Gürbetaler Gemeinde. Während sie und die drei Kinder die Einbürgerung bereits beantragen könnten, muss ihr Mann A.* noch drei Jahre warten, denn man muss insgesamt zehn Jahre lang in der Schweiz gelebt haben. Gut für Kinder: Die Jahre zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr zählen doppelt. A. und R. sprechen nicht nur einwandfrei hochdeutsch, sie sind auch aktiv in lokalen Sportvereinen, im Elternrat der Schule und sie arbeiten seit vielen Jahren im Pflegebereich. Beste Voraussetzungen also, um sich bei ihrer Gemeinde für das ordentliche Einbürgerungsverfahren zu melden. Im Kanton Bern muss dafür ein Nachweis der Sprachkenntnisse des Verwaltungskreises, in dem die Einbürgerungswilligen wohnen, erbracht werden. In der Region Gantrisch ist dies Deutsch im Niveau A2 schriftlich und B1 mündlich. Deutsch-Muttersprachler sowie Personen, die mindestens fünf Jahre die obligatorische Schule in dieser Sprache besucht haben, sind davon ausgenommen. Ebenso jene, die auf Deutsch einen Berufs- oder Hochschulabschluss oder ein Gymnasium abgeschlossen haben. B1 bedeutet zum Beispiel, dass man die Hauptpunkte eines Gesprächs oder Vortrags verstehen kann, wenn es um vertraute Dinge geht, oder dass man die meisten Situationen sprachlich bewältigen sowie seine Träume und Ziele formulieren kann. Bei der Familie M. kein Problem. Die beiden Erwachsenen werden auch einen schriftlichen, 90 Minuten dauernden Einbürgerungstest bestehen müssen. Gemäss Auskunft des Kantons Bern wird mit diesem Test u. a. das Wissen in Geografie, Geschichte, Demokratie, Gesundheitssystem, Arbeit, Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz geprüft. Zur Vorbereitung ist es möglich, einen Kurs zu besuchen. 48 Multiple Choice Fragen sind zu meistern; mit 60 % richtigen Antworten gilt der Test als bestanden. «Wie heisst der längste Fluss im Kanton Bern?», «In welchem Jahr trat die Schweiz der UNO bei?», «Was ist eine Session?» oder «Welche Sozialversicherung wird nicht mit Lohnprozenten finanziert?», möchte der Kanton Bern zum Beispiel wissen. Weiter gilt es nachzuweisen, dass in den letzen zehn Jahren keine Sozialhilfe bezogen oder wenn doch, dass sie zurückbezahlt wurde.

Wie integriert ist jemand?

Sind alle gesetzlichen und kommunalen Bedingungen erfüllt und die Tests bestanden, steht als nächster Schritt das Einbürgerungsgespräch an. In der Gemeinde Belp ist das Departement Sicherheit dafür zuständig. Gemeinderätin Kristin Arnold Zehnder (SP) präsidiert deshalb den Einbürgerungsausschuss der Sicherheitskommission, der die Gespräche durchführt. Zu dritt empfangen sie pro Monat zwischen drei und sechs Personen zu einem halb- bis dreiviertelstündigen Gespräch. «Wir sind die einzigen, welche die Einbürgerungswilligen während des ganzen Prozesses persönlich sehen», erklärt sie. Es gelte abzuklären, ob die Personen integriert seien. Doch was bedeutet «Integration»? «Wir haben unseren Fragenkatalog anhand der Definition des Staatssekretariats für Migration zusammengestellt», erläutert die Gemeinderätin. Neben dem Wissen über Schweizer Kultur und Tradition sollen die in Belp Wohnenden auch die dortigen Lebensverhältnisse kennen. Doch zuerst gilt es, offene Fragen zum Gesuch zu beantworten. Eine Mitarbeiterin der Abteilung Sicherheit hat vorgängig alle eingereichten Unterlagen geprüft und markiert, wo noch Klärungsbedarf herrscht. Punkte wie der Werdegang der Person, ihre Berufstätigkeit oder die Beweggründe für die Einbürgerung stehen im ersten Teil im Fokus. Es folgen allgemeine Fragen, etwa zum Thema Gleichberechtigung, Glaubens-, Meinungs- oder Medienfreiheit. Gut möglich, dass die befragte Person sogleich getestet wird – welches sind wichtige Medien in Belp und in der Schweiz? Weiter geht es zum Brauchtum, zu Traditionen in der Schweiz und in der Region. Punkten kann, wer nicht nur den 1. August nennt, sondern etwa auch die Brächete Zäziwil, die Chabis Hoblete in Toffen oder den Berner Zibelemärit. Und was zeichnet die Schweizer Küche aus? Der Teil über Belp ist einer der wichtigsten: Wissen die Befragten, dass der «Chutzen» auf dem Belpberg der höchste Punkt der Gemeinde ist? Kennen sie die Namen der neun Nachbargemeinden? Wer sind die sieben Mitglieder des Gemeinderats und wo findet die Gemeindeversammlung statt?

Märitbesuch und Schwimmunterricht

Wichtig sind für die Fragenden aber nicht nur Fakten, die man auswendig lernen kann. Fast noch aussagekräftiger zur Integration sind Aussagen zum Alltag der Personen. Haben sie auch persönliche Beziehungen zu Schweizerinnen und Schweizern? Sind sie vielleicht in einem Verein aktiv, engagieren sie sich in der Freiwilligenarbeit? Haben sie schon mal den Belper Dezembermarkt besucht? Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Aber die Antworten vermitteln ein Bild darüber, wie stark jemand integriert ist. Es gäbe Negativbeispiele, erzählt ein Mitglied des Einbürgerungsausschusses. Etwa solche, die sich ausschliesslich in ihrem Kulturkreis bewegen und kaum Berührungspunkte mit dem Dorfleben haben. Oder Familien, bei denen sich der Vater und die Kinder einbürgern lassen, während die Mutter aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse aussen vor bleibt. Oft erlauben es ihr die kulturellen Vorstellungen nicht, einen Deutschkurs zu besuchen. Hier bleibt den Gesprächführenden nur, an den Ehemann zu appellieren. Kinder unter 12 Jahren werden nicht befragt. Sind in einem Einbürgerungsverfahren Schulkinder integriert, erhalten ihre Klassenlehrpersonen ein Formular «Referenzauskunft» zugestellt. Achtet das Kind Frauen und Männer gleich? Besucht es den Schwimmunterricht? Wer besucht den Elternabend – nur der Vater oder beide Elternteile? Wichtig ist den Befragenden bei allem: «Wir stellen keine Fangfragen.» Die Gesuchstellenden seien meist sowieso aufgeregt. «Für sie steht viel auf dem Spiel, darum bleiben wir fair und überlegen uns bei jeder Person gut, was wir erfragen.»

Wer es bis zum Gespräch geschafft hat, meistert fast immer auch diese Hürde. Und doch gibt es vereinzelt Fälle, bei denen die Belper Behörde «Nein» sagt. Manchmal aus rechtlichen Gründen, etwa bei einem Jugendlichen, der sich im Internet in der Schweiz verbotene Laserpointer bestellt und deshalb eine Vorstrafe hat. In seltenen Fällen stellt sie das Gesuch zurück, gibt den Personen einen Monat später eine zweite Chance. Zum Beispiel dann, wenn jemand aus lauter Nervosität Blockaden hatte. Meist klappt es dann beim zweiten Mal. Ist das Einbürgerungsgespräch erfolgreich, wird dem Gemeinderat die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts beantragt. Sobald die Einbürgerungsgebühren von Gemeinde und Kanton bezahlt sind – allein der Kanton verlangt 1150 Franken für die Erteilung des Bürgerrechts an Einzelpersonen, dazu kommen die Gebühren der Gemeinde – werden die gesamten Einbürgerungsakten an den Zivilstands- und Bürgerrechtsdienst des Kantons Bern weitergeleitet. Ab diesem Zeitpunkt dauert es zwischen sechs Monaten und einem Jahr, bis die Einbürgerung komplett abgeschlossen bzw. das Schweizer Bürgerrecht erteilt wurde. Beim Kanton werden nochmals Abklärungen zur Person getroffen und schliesslich die Einbürgerungsgebühren des Bundes eingefordert. Gross sei jeweils die Freude aller Beteiligten an der jährlich stattfindenden Einbürgerungsfeier im Schloss. In Belp seien gut die Hälfte der Eingebürgerten Kinder – hier geboren, hier in der Schule, hier im Sportverein.

Zwei Heimaten

Die meisten Eingebürgerten sind fortan Doppelbürgerinnen oder Doppelbürger. Doch manche geben ihren bisherigen Pass noch so gern ab, etwa wenn sie im Herkunftsland verfolgt oder gefoltert wurden. Und dann gibt es Beispiele wie die des bestens integrierten E.K.*, wohnhaft ebenfalls in einer Gürbetaler Gemeinde. Er arbeitet, ist mit einer Schweizerin verheiratet, spricht zwei Landessprachen, dient in der Feuerwehr und ist politisch interessiert, auch an der Schweizer Politik. Doch sein Herkunftsland erlaubt keine Doppelbürgerschaft. Liesse er sich einbürgern, müsste er fortan ein Visum beantragen, um seine Familie zu besuchen. Für ihn unvorstellbar. Der eingangs erwähnte A.M. hat diesbezüglich die besseren Voraussetzungen. Obwohl erst seit sieben Jahren hier wohnhaft, verfolgt er die Schweizer Politik. Seine Frau bringt es auf den Punkt: «Für uns wäre die Einbürgerung ein wichtiger Schritt, weil sie ausdrückt, dass wir nicht nur hier leben, sondern uns auch langfristig mit dem Land verbunden fühlen. Wir schätzen die Stabilität, die Lebensqualität und auch die Möglichkeit, politisch mitzuwirken – und so wirklich Teil der Gesellschaft zu sein.»

*Namen der Redaktion bekannt

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Teil der Gesellschaft

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt