Schnittstelle zwischen Mensch und Wildtier

Schnittstelle zwischen Mensch und Wildtier

Könnten Wildtiere sprechen, wäre Yves Portmann ihr Ansprechpartner. Als Wildhüter kennt er die beeindruckende Vielfalt der hier lebenden Tiere – und vermittelt bei Konflikten.

Von der Freiburger Kantonsgrenze bis zur Aare: 265 km2 gross ist der Arbeitsplatz von Yves Portmann – mehr als fünfmal würde die Stadt Bern hineinpassen. Vielmehr als die Fläche beeindruckt aber das, was an Fauna darin lebt: von allerhand Wasservögeln, Störchen und Bibern im Gürbetal über Schalenwild, Raubwild, Marder, Hermeline oder Dachse auf dem Längenberg und im Schwarzenburgerland bis zu Gämsen, Rotwild und Steinadlern in den
Voralpen der Gantrischkette. Um sie dreht sich der Arbeitsalltag von Yves Portmann, einem von 25 Wildhütern im Kanton Bern.

«Wir sind viel im Auto unterwegs», ist einer der ersten Sätze von Yves Portmann beim Treffen mit der «Gantrisch Zeitung» – das unterwegs, hauptsächlich im Auto, stattfindet. Während er von Belp über Rüeggisberg nach Schwarzenburg, weiter über Guggisberg und Riggisberg wieder ins Gürbetal fährt, wird das Gespräch immer wieder unterbrochen von Anrufern. Einmal wurde ein Wildschwein vom Zug erfasst, ein anderes Mal findet jemand ein totes Reh in seinem Garten. Auch Jäger rufen an und bedanken sich für die Nachsuche vom Vortag. Zwischendurch hält er an, nimmt etwa das Fernglas hervor und beobachtet eine Gämse, steigt aus und begutachtet einen neuen Biberdamm oder unternimmt zu Fuss und mit Hund einen Abstecher ins Waldinnere und sucht nach frischen Spuren des Rothirsches.

Ansprechpartner für alle
«Ich bin die Schnittstelle zwischen Mensch und Wildtier», beschreibt Yves Portmann seine Funktion. Seine Hauptaufgaben sind der Artenschutz sowie der Lebensraumschutz. Jagdpolizeiliche Aufgaben, Jagdplanung, Wildschadenberatungen und -abschatzungen, Wildtierzählung, Naturschutzaufgaben, Fallwildbeseitigungen, Nachsuchen auf verletztes Wild nach Kollisionen mit Autos oder Zügen, Informieren der Bevölkerung, Erteilen von Bewilligungen für Anlässe im Wald – geplant werden kann kaum; jeder Tag birgt neue Überraschungen und Aufgaben.

Der Wildhüter ist der Ansprechpartner für alle in einem Interessenskonflikt mit einem Wildtier. Mal sind es laute Marder im Zwischendach, brütende Enten auf dem Balkon oder Biber, die sich einen Bau unter einen Weg graben. «Das macht meine Arbeit interessant», findet Portmann. Ihm gefällt nicht nur die Abwechslung, sondern auch das vielseitige Gebiet. Denn eigentlich kommt er aus dem Seeland. Doch hier, in der Region Gantrisch, «hat es fast alle Tiere – nur den Steinbock noch nicht», schmunzelt er.

Ausflügler im Daheim der Wildtiere
Weniger schön ist es, wenn Yves Portmann intervenieren muss, weil Ausflügler-
innen und Ausflügler die wilde Natur suchen – abseits der offiziellen Wege und Trails. «Alle wollen in die Natur, doch Rücksicht nehmen will keiner», erlebt er leider immer mehr. Freizeitangebote hätten in den letzten Jahren aufgrund der grossen Nachfrage stark zugenommen, «alle haben heute ein Paar Schneeschuhe zuhause» – oft auf Kosten der Winterruhe der Wildtiere. «Es soll möglichst alles Platz haben dürfen», findet der Wildhüter, «doch die Natur ist zuerst einmal das Daheim der Wildtiere.» Wichtig sei deshalb die Rücksichtnahme.

Den Grossteil des Jahres hindurch bereiten sich die Wildtiere auf den Winter vor. Sie fressen sich Reserven an, um die Kälte und den Schnee mit einem Minimum an Energieaufwand zu überstehen. Doch jedes Mal, wenn eine Schneeschuhläuferin oder ein Winterwanderer abseits der Wege unterwegs ist, werden die Tiere aufgeschreckt und verbrauchen wertvolle Energie. Werden sie mehrmals derart geschwächt, kann es für sie fatal sein – sie verenden, bevor der Frühling kommt. «Manchmal erzählen mir die Leute, sie sähen viele Birkhühner, so schlimm könne es ja nicht sein», illustriert Portmann das Dilemma. Doch gerade dass die Leute die Birkhühner gesehen hätten, sei ja das Problem. Denn diese Tiere lassen sich bei Schneefall einschneien, um der Kälte zu trotzen. Sieht man sie aufflattern, hat man sie aufgeschreckt.

Dabei gibt es schweizweit schöne Winterwanderwege und Schneeschuhtrails. Die Tiere gewöhnen sich daran und finden genug Rückzugsmöglichkeiten. Wichtig also, dass man diese Wege nicht verlässt. Je mehr Ruhe die Tiere haben, desto weniger flüchten sie in neue Gebiete, was auch weniger Wildschäden nach sich zieht.
«Ich bin der einzige Vertreter der Wildtiere, der etwas machen kann», bringt er es auf den Punkt. Und so versucht er immer, eine Lösung für alle zu finden. «Mit einer guten Besucherlenkung lässt sich schon viel erreichen», weiss er.

Wie geht es unseren Tieren?
«Grundsätzlich geht es den Tierarten in unserer Gegend gut», findet Yves Portmann. Von jeder Art muss er wissen: Kommt es vor? Wo kommt es vor? Haben sie Nachwuchs? Darum werden jährlich nachts Wildtiere gezählt – per Scheinwerfer und Nachtsichtgerät. «Der Rothirsch breitet sich zunehmend in den oberen Lagen aus», freut sich Portmann. Dem Rehwild geht es regionenweise zwar gut, es dürfte aber noch zunehmen. Dasselbe ist bei den Feldhasen der Fall, auch wenn sein Bestand sich in den letzten Jahren erfreulich entwickelt hat. Ihm dienen insbesondere Hecken, von denen es gerade im Gürbetal mehr geben dürfte. Kleinere Wildtiere wie Dachse, Marder, Iltisse oder Hermeline sowie Rauhfusshühner, Zugvögel, Greifvögel, Störche und Enten sind ebenfalls erfreulich häufig vertreten. Der Biber hat sich in den letzten Jahren stark ausgebreitet: Neu ist er auch im Dorfbach Schwarzenburg anzutreffen und damit nun in praktisch jedem Gewässer der Region zuhause.

Tag und Nacht im Einsatz
Wildtiere sind zu jeder Zeit unterwegs – und oft auch auf Strassen oder Bahngleisen. Erste Ansprechpartnerin bei Kollisionen oder Konflikten in der Nacht ist dann die Polizei, doch oft muss dennoch ein Wildhüter beigezogen werden. Jede dritte Woche leistet Yves Portmann also Pikettdienst für drei Reviere – auch Ferienvertretungen führen ihn im halben Kanton herum.

Mit seiner Familie ist Portmann aus dem Seeland nach Rüschegg gezogen. Zuhause hat er auch sein Büro eingerichtet, wo immer viele Konzepte, Statistiken und Gesuche bearbeitet werden wollen. Zudem wird aktuell die Wildtierschutzverordnung revidiert.

Seit acht Jahren wirkt der Wildhüter in unserer Region – langweilig ist es ihm noch längst nicht. Fährt er durch die Gegend, winken ihm immer wieder Menschen zu. Als Ansprechpartner bei Problemen scheint er also viel gefragt und immer um Lösungen bemüht zu sein. Die Menschen und die Wildtiere danken es ihm.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Schnittstelle zwischen Mensch und Wildtier

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt