Massiv. Es ist vielleicht genau dieses Wort, dass all unsere Emotionen zusammenfasst, wenn wir «unsere» Berge betrachten. Es ist vielleicht genau dieses Wort, dass die Arbeit des Fotografen Thomas Biasotto trifft. Es ist aber auch genau jener Begriff, den er für ein besonderes Buch ausgesucht hat. Doch das Projekt «Massiv» lediglich als Buch zu bezeichnen wäre in etwa so, wie wenn man den «Gantrisch» zum Hügel denunzieren würde.
Wolkenbehangen
«Massiv ist eigentlich alles an diesem Buch», beginnt der Fotograf, Musiker und Lehrer zu erzählen. Seinen Blick richtet er dabei geradewegs auf die Gastlosen, denen er unweit vom Jaunpass gegenübersitzt. Vor ihm eine Schweizer Spezialkamera, an der sogar die Sonnenblende aus einheimischer Produktion stammt. Über mehrere Minuten läuft sie und erfasst die senkrecht nach oben verlaufenden Felsspitzen und die Wolken, die der Wind unbarmherzig vorantreibt, mitten in die Felsformationen hinein. «Blauer Himmel ist langweilig», kommentiert der Künstler den Grund, weshalb er gerade jetzt den Auslöser betätigt. So als wollte die Szenerie seinen Worten eine besondere Bedeutung verleihen, mogeln sich einzelne Sonnenstrahlen zwischen den Wolken hindurch und geben einigen Steinen mehr Licht. Es scheint, als hätte das Wetter einen Leuchtstift, um ein paar Details hervorzuheben. Ob er nun auf einem Bänklein auf 1500 m.ü.M. sitzt, aus einem Hubschrauber von oben das Obergabelhorn festhält, wenn es gerade aus einem wuchtigen Wolkenpaket emporsticht: Seine Bilder sind so nah an der Realität, dass Emotionen entstehen. Er sieht nicht einfach das Panorama, nein es scheint als verbinde er sich mit der Seele der Berge.
Seelenverwandte
Etwas, das nur jenen Menschen vergönnt ist, die sich dem Berg hingeben. Reinhold Messner etwa. Es scheint, als spürte dieser legendäre Mann die Verbundenheit des Künstlers, denn er beliefert das Buch «Massiv» mit einem Kapitel. Und er ist nicht der einzige. Die Textpassagen sind ein «Who is Who» der Berggängerinnen und Berggänger. Altbundesrat Adolf Ogi etwa oder die Freeride-Weltmeisterin Nadine Wallner sind weitere Beispiele. «Massiv» also auch das «Line-up» der Menschen im Buch. Inzwischen beginnt es ein wenig zu regnen, schnell verstaut er die Kamera im Rucksack und begibt sich in seinen Bus. Dabei wird er auf Schritt und Tritt verfolgt. Labrador «Emil» scheint zu ahnen, dass im Bus eine kleine Stärkung wartet und ist einem Häppchen während eines Wolkenbruchs nicht abgeneigt. Zeit für Biasotto zu verraten, dass das, was ihn antreibt, noch mehr ist als Faszination.
Der Spender
Woran denken Touristen, wenn ihnen die Schweiz in den Sinn kommt? Vermutlich noch vor Schokolade und Kühen an die Berge. An jenes natürliche, unberührte Bild einer intakten Landschaft. Die Berge sind der Grund, weshalb die Schweiz touristisch 14,8 Mrd. Franken umsetzt. Viele von «uns Einheimischen» teilen die Faszination für die Berge mit den Touristen. Wenn nun aus Faszination gar Passion wird, dann ist man entweder Bergsteiger oder heisst Thomas Biasotto und hält die Berge emotional und authentisch für die Nachwelt fest. So wie es sie vielleicht bald nicht mehr gibt? Das befürchtet nicht nur der Klimatologieprofessor Knutti, der im Buch ebenfalls zu Wort kommt. «Das ist auch meine Sorge. Und dagegen will ich etwas unternehmen», sagt der Fotograf so herzhaft, wie Emil gerade ein Stücklein Käse schlemmt. «Jede und jeder sollte etwas gegen die Bedrohungen der Bergwelt unternehmen», meint er. Das war der Grund, weshalb das Buch «Massiv» eine grossangelegte Spendenaktion ist. «Achtung, Sie machen etwas Gutes. Der Erlös wird dem Berg gespendet» ziert ein Schriftzug das Projekt. Die Idee dazu lieferte ihm indirekt seine Tochter: «Ich möchte, dass sie die Berge noch so sehen kann, wie sie jetzt sind.»
Gantrisch als Buch?
Ein Projekt mit Buch, Musik und prominenten Botschaftern stoppt noch keinen Gletscherschwund. Aber Biasotto fotografiert weiter, er hat eine Mission. Er beisst sich an diesem Vorhaben fest, wie Messners Eispickel in die Nordwand eines Felsens. Zurzeit arbeitet er an einem Buch über die Berner Oberländer Alpen, «Massiv II» soll ebenfalls entstehen. In diesem Jahr erscheint zudem die Ausgabe «Alpstein», weitere sollen folgen. Und die Gantrischkette? «Die Gastlosen sind das Tor ins Berner Oberland oder ins Gantrischgebiet. Gut möglich, dass ich eines Tages von hier aus Richtung Schwarzsee aufbreche», lässt er diese Option noch etwas offen.
Es spielt eigentlich gar keine Rolle, ob er nun die Kaiseregg, den Alpstein oder die uralten Kalksteinformationen der Gastlosen einfängt. Thomas Biasotto will wiedergeben, was wir alle erleben, wenn wir dort sind, wo der Mensch nur noch nichtig und klein ist. Das sind zweifelslos nicht die autobahnähnlich ausgebauten Strecken mit massenhaft Menschen oder auch nicht das x-te Bild des Matterhorns. Nein, das sind jene Gipfel und Formen, denen es noch vergönnt ist, ihre natürliche Schönheit preiszugeben. Genau das ist eben massiv. Und so sind es seine Bilder. Thomas Biasotto rettet mit seiner Kamera ein kleines Stückchen Bergwelt. Solange es ein Stückchen Käse gibt, findet das auch Emil eine gute Idee.