Ich definiere mentale Stärke viel weiter: als die «Fähigkeit, den eigenen mentalen Fokus immer wieder bewusst zu wählen». So gesehen kann sie uns in der Zeit unterstützen, in der uns das Corona-Virus durchschüttelt und uns im Alltag stark auf die Probe stellt. Es geht nämlich nicht darum, im Kopf einen Schalter umzulegen. Ratschläge wie «Du musst einfach positiv denken» sind meiner Ansicht nach blanker Unsinn und eher wie ein Schlag ins Gesicht. Vielmehr geht es darum, mit kleinen und einfachen Instrumenten den eigenen mentalen Fokus zu justieren – immer wieder neu. Denn die Fähigkeit, das sprichwörtliche «Glas halb voll anstatt halb leer» zu sehen, kann insbesondere in stressigen Situationen, an schlechten Tagen und in schwierigen Zeiten leicht verloren gehen.

Gerade jetzt kann es sehr hilfreich sein, mehr über unsere gewünschte Zukunft zu sprechen (was wir WOLLEN, anstatt was wir NICHT WOLLEN), über schon bzw. noch Funktionierendes anstatt über Defizite und das, was uns fehlt. Über die kleinen Schritte und kleinen Dinge, die uns freuen. Vielleicht können wir uns in der Familie oder im Unternehmen austauschen, worauf man hofft, in einem Jahr positiv zurückblicken zu können im Umgang mit der Krise: Was ist aus dieser Herausforderung Positives entstanden, welche Chancen haben wir dann genutzt? Was haben wir Neues gelernt? Was hat uns geholfen, handlungsfähig zu bleiben?

Um den Blick immer wieder auf das Funktionierende und die vielen kleinen schönen Momente zu lenken, lade ich Sie zum Bohnen-Experiment ein:
Nehmen Sie fünf Bohnenkerne in die Hosentasche (oder vor sich auf den Tisch) und sortieren Sie für jede erfreuliche Kleinigkeit am Tag eine Bohne von links nach rechts. Zum Beispiel ein Vogelzwitschern = 1 Bohne. Am Abend können Sie dann die «Bohnenmomente» Revue passieren lassen, vielleicht sogar im Gespräch in der Familie, und damit die ganz einfachen Dinge und kleinen Glücksmomente im Alltag geniessen. Auch jetzt. Erst recht jetzt. Das hält uns mental fit.

Julia Kalenberg