Lebensbejahend in den Lebensabend

Lebensbejahend in den Lebensabend

Für Marianne und Röbi Haeni ist Landwirtschaft eine Frage der Haltung. Wie man mit den Lebenskräften von Tier, Pflanze, Boden und Mensch umgeht und sie aus dem Potential des Standortes weiterentwickelt. Seit 32 Jahren bewirtschaften sie den «Steiacher» in Guggisberg deshalb biodynamisch.

«Pfuset guet». Abend für Abend verabschiedet sich Röbi Haeni so von seinen Tieren im Stall, bevor sich die Nacht über den Hof am Südhang von Guggisberg legt. Seit 32 Jahren. Seine Stimme wirkt warm und selbst die Kälber scheinen diese zwei Worte sehnlichst zu erwarten.

Ruhe säen
«Jedes Tier ist hier geboren», verrät Marianne Haeni den Grund für diese Vertrautheit. Nur der Muni kommt als Kalb auf den Hof. Die Hofzucht sorgt für harmonische Übergänge: «Das ist uns wichtig», ergänzt sie. Denn es ist Bestandteil einer ganzheitlichen Landwirtschaft, in der die Tiere kein Kraftfutter von irgendwo erhalten, sondern nur Heu, Emd und etwas Silo von den eigenen Wiesen fressen. Im Laufe der Jahre entstand auf diese Weise eine Konstante auf dem «Steiacher»: Ruhe.
Sorgsam und achtsam auf der Wiese und im Stall. «Wenn ich mit einem Tier zu tun habe, dann sage ich ihm: Meine Zuneigung gilt jetzt dir allein», nennt Röbi Haeni ein Beispiel.

Lebensfreude ernten
Ruhe und Achtsamkeit sind Werte einer biodynamischen Landwirtschaft. «Man kämpft nicht gegen etwas, sondern setzt sich mit dem auseinander, was da ist und entwickelt dies», fasst Marianne Haeni zusammen, was sie über 30 Jahre lang gelebt haben. «Sieben Jahre dauerte es, bis wir unseren Hof als Ganzheit und unseren Boden genug gut kannten, um Teile davon weiterzuentwickeln», verrät sie. Es war nicht die Suche nach dem, was nicht gut geht und der Kampf dagegen, sondern die Suche nach dem, was gedeiht. Eine lebensbejahende Haltung. «Das ist Biodynamik; das ist Lebensfreude», klingt Marianne Haeni so optimistisch wie vor 32 Jahren.

Verantwortung übernehmen
Nach und nach verwandelte sich der Hof in ein Idyll der Natürlichkeit und der Ruhe, wo Tier, Mensch und Pflanze gedeihen. Der Mensch ist ein Teil davon. So meint Röbi Haeni: «Man übernimmt Verantwortung.» Das gelte auch für sauberes Trinkwasser, verweist er auf politische Themen, die die Landwirtschaft tangieren. Statt Angst vor Abstimmungen zu haben, kümmert er sich lieber um sein Land und Wasser und trägt seinem Hof Sorge. Pestizide sind für biodynamische Landwirtschaft ohnehin kein Thema. «Wir leben in einem Kontext, aus dem wir alles schöpfen, was wir brauchen», erklärt er und erinnert dabei an eine Selbstversorgung im wahrsten Sinne des Wortes.

Nachhaltig bleiben
Der «Steiacher» war der erste «Demeter»-Betrieb in Guggisberg. Ruhe und Achtsamkeit hatte der Hof dringend nötig, als ihn Haenis übernahmen. Er war gebeutelt von vielen Wechseln und ein Flickenteppich auf knapp 10 Hektaren. Heute strahlt er nicht nur Ruhe und Lebensfreude aus, sondern er gedeiht. «Es war uns ein Anliegen, den Hof einmal so weit entwickeln zu können, dass eine Familie gut in allen Belangen davon leben und auch nötige Investitionen in die Gebäude finanzieren kann», verweist Marianne Haeni auf eine weitere Komponente ihrer Haltung. Sie denken über ihre Zeit hinaus. Der Hof verfügt inzwischen über 25 Hektaren und ist bereit für neue Menschen. Nachdem Ilir Trashupa schon 1 Jahr seiner Ausbildung auf dem «Steiacher» absolviert hat, übernimmt er dieses Jahr zusammen mit seiner Partnerin Michelle Cole den Betrieb. Ein Prozess, für den sich Haenis viel Zeit genommen haben und einmal mehr lebensbejahend sagen: «Das ist eine Weiterführung in unserem Sinn und Geist.» Ein harmonischer Übergang eben.

Offenheit schenken
Marianne und Röbi Haeni freuen sich auf einen neuen Lebensabschnitt mit viel Zeit zum Reisen. Ihrer Haltung entsprechend bedauern sie nicht den bevorstehenden Abschied, sondern geniessen all die letzten Male Heuen, Weiden… mit Freude und Achtsamkeit. Trashupa und Cole werden die Entwicklung im biodynamischen Sinn fortsetzen. Der «Steiacher» hat eine starke Hofindividualität entwickelt, bei der sich die Menschen mit den Tieren und Pflanzen zu einem einheitlichen Ganzen entwickelt haben und das ausstrahlen. Jede und jeder gibt etwas und nimmt etwas. «Daran haben wir all die Jahre gearbeitet«, resümiert Marianne Haeni.
Und schon bald wird es ein letztes Mal geben, bei dem Röbi Haeni seinen Kühen sagt: «Pfuset guet.» Gut möglich, dass im Anblick der treuherzigen Hofherde dann vielleicht doch noch eine kleine Träne aus dem Auge quillt. Aber eben auch ein wenig eine Träne der Freude.

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Lebensbejahend in den Lebensabend

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