Erika Kilcher sitzt in ihrem Elternhaus auf dem Sofa. Von hier pendelt sie regelmässig ins Wallis und nach Ludwigshafen in Deutschland. Alles begann, als Erika Kilcher alt genug war, allein mit Bus oder Velo von Wattenwil nach Thun zu fahren, um ihre ersten Klavierstunden zu bekommen. Zuvor hatte sie bereits Akkordeonstunden erhalten und war Mitglied des Vereins «Thuner Handharmonikaspieler», mit dem sie diverse Radioaufnahmen gemacht und Konzertreisen unternommen hatte. «Ich konnte als 12-jähriges Mädchen einmal eine Konzertreise nach Amsterdam machen, was für mich natürlich absolut beeindruckend war», meint sie munter.
Nach einigen Jahren des Klavierunterrichts, sei der Wunsch entstanden, Pianistin zu werden. «Ich kam in grossen Schritten voran und lernte schnell», sagt sie. So kam es, dass sie Heinrich Gurtner, dem Organisten des Berner Münster, der auch in Wattenwil aufgewachsen war, vorspielen durfte. Dieser empfahl ihr ein Klavierstudium am Konservatorium in Bern. «Ich wusste, dass man damit früh beginnen sollte und entschied mich dafür. Meine Lehrer waren etwas enttäuscht, dass ich als gute Schülerin nicht an die Universität gehe», schmunzelt Kilcher. Nach dem Abschluss mit dem Diplom als Klavierlehrerin am Konservatorium in Bern folgte ein Studium in Paris am «Conservatoire National Supérieur de Musique», in dem damals pro Klasse nur zwei ausländische Studierende aufgenommen wurden. Dies schloss sie mit der Spezialauszeichnung der Jury «Premier Prix» ab.
«Nach einer kurzen Zeit in der Schweiz zog ich nach Deutschland und studierte noch an der Musikhochschule in Hannover», ergänzt sie. Dabei lernte sie auch die bekannte Musikhochschule in Detmold kennen und konnte dort mit Kollegen mehrmals auftreten. «In der Folge wurde mir später, im Jahr 1972, an dieser Hochschule eine Professur für Klavierkammermusik angeboten, die ich natürlich gerne annahm und bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2010 auslebte», fügt die Pianistin an. «Das Schöne an diesem Beruf ist, dass du im Ruhestand trotzdem noch die Möglichkeit zum Spielen hast und nicht vom einen auf den anderen Tag plötzlich nichts mehr machen kannst», zeigt sie sich zufrieden über die Zeit danach. Kilcher blickt gerne zurück. Insbesondere, wenn es um Geschichten aus dem Ausland geht, wo sie als Pianistin Konzerte gab. «Ich spreche natürlich oft über das Klavierspielen. Noch lieber rede ich aber darüber, was ich dadurch alles erleben konnte», lacht Kilcher. «Viel Zeit blieb natürlich nicht, um viel von einem Ort mitzubekommen, aber ich sah viele Dinge; amüsante sowie erschütternde.» So war sie oft im Libanon oder in Israel, wo sie zusammen mit ihrem Ensemble auftrat. «Einmal spielte ich an einem Hauskonzert von ‹wichtigen Leuten› in Israel auf einem alten Flügel, der von einer geflüchteten jüdischen Familie aus Deutschland stammte», erinnert sie sich. «Das war speziell und berührend für mich.» Oder in Ohrid habe sie auf einem in den Ostblockländern berühmten Festival gespielt, an dem kaum westliche Künstler auftraten. Weiter hatte sie Auftritte in anderen Ländern Europas, in Chile, den USA und Korea. Je länger Kilcher erzählt, desto mehr Erinnerungen erwachen. «Im damaligen Jugoslawien erlebte ich ein heftiges Erdbeben, bei welchem die ganze Stadtmauer zusammenbrach. Oder im Libanon seien sie während einer angespannten Lage im Land spät in der Nacht gelandet und hofften, heil in der Unterkunft anzukommen. «Ich kenne nicht die ganze Welt, aber einige Orte, dank derer ich es noch mehr schätze, in der Schweiz leben zu dürfen», zeigt sie sich dankbar. Neben einschneidenden Ereignissen, erlebte Kilcher auch viele lustige Momente. «Ein Musikerkollege wohnte damals beim Pepsi-Chef in den USA. Als dieser ein Konzert für die New Yorker High Society organisierte und dafür extra einen Flügel kaufte, lud er den amerikanischen Aussenminister Henry Kissinger als Ehrengast ein. Zum Übernachten im Privathaus des Pepsi-Chefs musste ich mein Schlafzimmer – das schönste im Haus – tauschen, damit Kissinger sein Zimmer direkt neben seinem Bodyguard hatte», lacht sie herzhaft.
Es ist das Klavierspielen, das Erika Kilcher an verschiedene Flecken der Welt und immer wieder zurück nach Wattenwil gebracht hat. Und es ist die Freude daran und die Erinnerungen an diese Orte, die sie bis heute strahlen lassen. Ganz unabhängig davon, ob sie aus dem Libanon, Paris oder ihrem Heimatdorf Wattenwil stammen.
Nadia Berger