«Keinen schöneren Beruf!»

«Keinen schöneren Beruf!»

Knapp 41 Jahre lang unterrichtete Johannes Josi an den Guggisberger Schulen Riedstätt und Hirschmatt. Seine Erinnerungen geben einen Einblick in die Schulwelt von früher.

«Geh einfach nicht wieder fort!», bat das zuständige Mitglied der Schulkommission den 19-jährigen Johannes Josi. Soeben hatte der junge Lehrer – noch nicht mal diplomiert – seine erste Stelle im Schulhaus Riedstätt angetreten. «Von den 15 Klassen in Guggisberg hatten fünf keinen Klassenlehrer, und in Riedstätt war ich der 18. Lehrer innert sieben Jahren», beschreibt Josi die Lage, die er in diesem Oktober 1963 antraf. Zu jener Zeit lag die Lehrerbesoldung im Ermessen der Gemeinden – oder wohl eher an deren finanziellen Möglichkeiten. Guggisberg verfügte über ein kleines Budget und hatte zudem den Nachteil von abgelegenen Schulhäusern mit schlechten Verbindungen in die Stadt. Doch nichts von dem schreckte den jungen Johannes Josi ab.

«Der Chef sind die Kinder»
Der musikbegeisterte Lehrer bezog die Lehrerwohnung oben im kleinen Schulhaus und empfing bald seine 27 Schülerinnen und Schüler. Von der 1. bis zur 9. Klasse – alle waren sie zusammen in einer Klasse, in einem Zimmer, damals noch an sechs Tagen pro Woche. «Ich war nur vier Jahre älter als die ältesten Schüler», blickt Josi zurück. Doch dies sei nie ein Problem für die Disziplin gewesen: «Man war aufeinander angewiesen.» Ihm sei von Anfang an klar gewesen: «Der Chef sind die Kinder.» Denn: «Nur mit ihnen zusammen kann man Schule haben.» Die älteren Schülerinnen und Schüler nahmen die jüngeren gern unter ihre Fittiche, trösteten sie bei Heimweh, trugen ihnen den Rucksack und halfen bei Übungen, wenn der Lehrer keine Zeit hatte. «Ich erlebte die Gesamtschule als Familienbetrieb», beschreibt er dieses Modell, das es so heute nicht mehr gibt.

Etwa einen Drittel seiner Aufmerksamkeit widmete der junge Lehrer den Erstklässlern, «die anderen zwei Drittel mussten sich die 2.- bis 9.-Klässler teilen». Das erste halbe Jahr war besonders streng: «Bis spät in die Nacht bereitete ich mich auf den nächsten Tag vor, dann schlief ich ein wenig und am Morgen stand ich früh auf, um die Wandtafel anzuschreiben.» Nichtsdestotrotz erinnert sich Josi heute noch, fast 60 Jahre später, an jeden einzelnen Namen seiner ersten Schülerinnen und Schüler.

Neue Heimat trotz kalten Wintern
Zum Kaltstart passten die kalten Winter im sanierungsbedürftigen Schulhaus. «Mir gefror alles, das Brot, die Butter, die Milch», erzählt Josi, «und einmal war der Küchenboden eine ganze Woche lang eine Eisfläche.»

Eine der schönsten Erinnerungen bringt die Augen des pensionierten und passionierten Lehrers zum Leuchten: «Wir machten immer viel Musik zusammen.» In den ersten Monaten wurde jeden Tag eine Stunde lang gesungen. Zu Weihnachten gab es stets ein Theater oder ein Musical.

Man ahnt es: Johannes Josi ging nicht wieder fort. 29 Jahre lang blieb er der Lehrer der Gesamtschule Riedstätt, wo alle, von der 1. bis zur 9. Klasse, zusammen waren. Nicht immer waren die Klassen so gross – einmal waren bloss neun Kinder auf die neun Schuljahre verteilt. «Mir waren aber grössere Klassen lieber», schmunzelt er. Nach der Neuorganisation der Oberschule blieb er weitere sechs Jahre mit der 1. bis 6. Klasse vor Ort – dann, 1998, musste das Schulhaus geschlossen werden. In den 35 Riedstätter Jahren besuchten 119 Kinder den Unterricht bei Lehrer Josi. Die fünf letzten Jahre vor der Pension wirkte er im Schulhaus Hirschmatt an der Mittelstufe.

Grosse Verbundenheit der Bevölkerung
1975 wurde das Schulhaus umgebaut, isoliert und mit einer Zentralheizung ausgestattet. Dass die Schule trotz knapper Gemeindefinanzen bald einmal über ein Kopiergerät, Tonband- oder Turngeräte verfügte, war der Verbundenheit der Bevölkerung mit ihrer Schule zu verdanken. «Es wurde ein Schulhausbasar durchgeführt und das Basarkomitee rüstete die Schule über 20 Jahre lang nach meinen Wünschen aus», zeigt er sich noch Jahrzehnte später dankbar.

Überhaupt sei ihm sehr viel «Goodwill» von den Eltern entgegengekommen. «Kam ein Kind von der Schule nach Hause, wurde es von der Mutter gefragt, was es heute Schönes gelernt habe», beschreibt Josi die vorherrschende Grundhaltung. Von den heutigen Lehrpersonen hingegen hört er immer wieder, dass sie unter Druck seien, ja keine Fehler zu machen. Natürlich habe sich die Schule auch im Guten entwickelt. Dennoch: «Ich bewundere die heutigen Lehrkräfte – was die alles leisten müssen!»

Ein Emmentaler Bauernsohn wird Lehrer
Heute ist Johannes Josi aus Guggisberg nicht wegzudenken. Der gebürtige Emmentaler – er wuchs auf der Schonegg bei Sumiswald auf – hatte eigentlich bereits eine Lehrstelle als Hochbauzeichner. Doch ein gutes halbes Jahr vor Lehrbeginn besuchte die Tante, selbst Lehrerin, die Familie und sprach eindringlich mit dem Vater. Es wurde dem Sohn am Abend beschieden, dass er ab Herbst die Musterschule im Muristalden in Bern besuchen werde, um so den Eintritt ins Lehrerseminar zu ermöglichen. «Der Semer war eine ungeheure Chance, eine sehr vielfältige Ausbildung», schwärmt Josi. Besonders angetan war er vom Musischen – er studierte Gesang, Musiktheorie, Klavier und Geige. Nur dank einem Darlehen konnte die Bauernfamilie ihrem Sohn die Lehrerausbildung ermöglichen. Jahre später eröffnete ein Notar dem Vater: «Herr Josi, sie haben ‹hingertsi› gemacht». Worauf die Tochter entgegnete: «Ja, aber er liess zwei Kinder studieren.»

Für Johannes Josi, der in Guggisberg nicht nur eine neue Heimat, eine liebe Frau und eine grosse «Schülerfamilie» fand, hat sich der Entscheid der Tante und des Vaters mehr als gelohnt: «Ich ging voll auf in der Schule und hätte mir keinen schöneren Beruf vorstellen können.»

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«Keinen schöneren Beruf!»

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