Jets, Beeren und Strom

Jets, Beeren und Strom

In den nächsten Jahren soll der Flughafen Bern-Belp nicht nur Ferienreisende – frei nach Patent Ochsner – «furt vo hie spicken» oder Businesspeople willkommen heissen, sondern auch Strom für die umliegenden Gemeinden produzieren und Familien über die Zukunft der Luftfahrt informieren. Kritik gibt es aufgrund der bedeutenden Magerwiese oder von den durch das Projekt im Standort bedrohten Segelflugpiloten.

Solarpanels auf einer Fläche von 35 Fussballfeldern, die genug Strom für 15’000 Haushalte produzieren: Das Projekt «BelpmoosSolar» spart nicht an Superlativen. Flughafen und BKW wollen die grösste Freiflächen-Solaranlage der Schweiz aufstellen. «Die Idee dazu hatten wir vor etwa einem Jahr», erzählt Flughafen-CEO Urs Ryf. Damals wurden die kürzlich montierten Photovoltaik-Anlagen auf allen neueren Dachflächen des Flughafens geplant. 

«Wir wollen CO2-neutral sein»

Der Grund: «Als Infrastrukturbetreiber wollen wir mit unseren Gebäuden und Fahrzeugen bis 2035 CO2-neutral sein.» Im Verlauf der Suche nach weiteren Flächen für PV-Anlagen habe sich das Projektteam Flughafen und BKW die Frage gestellt, ob das viele Land auf der anderen Seite der Piste nicht eine Option sein könnte. «Dann ging es schnell», berichtet er. Nach einer ersten Vorabklärung beim Bundesamt für Zivilluftfahrt zeigte eine kurze Recherche, dass bereits andere Airports ihre Flächen zur Energieproduktion nutzten, etwa der internationale Flughafen von Wien mit einer ähnlich grossen Anlage, wie sie im unteren Gürbetal entstehen soll.

Landwirtschafts-Alternativen

Ende Juni gaben auch der Verwaltungsrat der Flughafen Bern AG und die Konzernleitung der BKW grünes Licht für eine Machbarkeitsstudie: «Es ist eine grosse Chance für verschiedene Bereiche. Wir können Gemeinden mit Strom versorgen und dabei die Ökologie sowie die Landwirtschaft berücksichtigen.» Ryf geht damit auf Kritik ein, die sich gegen die Umnutzung der Wiese richtet. Aktuell ist das Land – es ist keine Fruchtfolgenfläche – an zwei Landwirte verpachtet, die die Wiesen zweimal jährlich mähen und daneben Ackerbau betreiben. Die BelpmoosSolar-Verantwortlichen möchten auch zukünftig eine landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen. «Heuwirtschaft wird weiterhin möglich sein. Denkbar wäre aber auch der Anbau von Beeren oder die Schafhaltung», sinniert der Mitinitiant. Zwischen den Panelreihen sei mit jeweils dreieinhalb Metern Abstand einiges an Platz dafür vorgesehen und sie stünden auf Pfeilern, sodass der Boden zwar teilweise beschattet werde, aber nicht abgedeckt sei. Die Profile werden zudem nur in den Boden gerammt – ganz ohne Beton. Studien hätten gezeigt, dass die Biodiversität in einem solchen Kontext sogar gesteigert werden könnte. Entlang der eingezäunten Anlage sind etwa mehrere Kilometer lange Hecken vorgesehen.

Magerwiese und Planungsrecht

Grössere Fragen als die Landwirtschaft wirft hingegen die Tatsache auf, dass die Magerwiese ein sogenanntes Biotop von regionaler Bedeutung ist. Sie gilt sogar als eine der grössten solcher Wiesen des Mittellandes und damit als eine besonders artenreiche Fläche. Würde sie ins Bundesinventar der Magerwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung aufgenommen, wäre die Solaranlage kaum bewilligungsfähig. Das Projektteam wies anlässlich der Medienkonferenz darauf hin, dass es für gewisse Flächen einen ökologischen Ausgleich brauchen wird. Ryf ist zuversichtlich, dass man im Dialog mit den Naturschutzorganisationen gute Lösungen finden werde. Man wolle letztlich zeigen, dass die Realisierung eines Solarparks auch im Einklang mit der Ökologie möglich sei. Vorerst laufen aber planungsrechtliche Verfahren. So muss der Kanton etwa den Richtplan anpassen, zudem muss die Überbauungsordnung geregelt werden. Bis das Projekt alle Ämter passiert hat, können gut und gerne anderthalb Jahre vergehen, bis zur Realisierung im optimistischsten Fall deren zweieinhalb. 

«Wir brauchen Strom»

Für Urs Ryf ist klar: «Wir brauchen mehr erneuerbaren Strom.» Er meint dabei nicht in erster Linie den Flughafen, sondern die Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes. Klar sei eine solche Fläche ein Eingriff ins Landschaftsbild. Doch schaue man das Ganze aus der Vogelperspektive an, würden die Dimensionen bald relativiert, sagt er. Zudem gäbe es hier im Vergleich zu Windanlagen keine Lärmemissionen. Und wie ist es mit dem Blenden, etwa für die Belper, Kehrsatzer oder Muriger Bevölkerung an den Hängen links und rechts des Belpmoos sowie für die startenden und landenden Pilotinnen und Piloten? Ryf beschwichtigt: «Die heutigen Panels sind entspiegelt.» In Wien etwa habe es keine einzige negative Rückmeldung der Flugzeugbesatzungen gegeben und da die Anlage nach Süden ausgerichtet sei, hätten nur wenige Anwohnende direkte Sicht auf die Oberfläche der Solarmodule.

Keine Freude an den Solarplänen haben die Segelflieger. Sie müssen dem Projekt weichen und sich neue Flugplätze suchen. Ryf kann die Enttäuschung der Berner Segelfluggruppe verstehen. «Es ist ein bitterer Entscheid für sie. Doch wir fällten den Entscheid zugunsten der Energiewende sowie als neue Ertragsquelle für den Flughafen. Segelflug wird in reduziertem Umfang auf der Hartbelagpiste zudem weiterhin möglich sein.» 

Zukunft E-Luftfahrt

Urs Ryf bedauert, dass grosse Ideen oft wieder versanden: «Ich möchte zeigen, dass wir gemeinsam etwas realisieren können.» Er spricht sogar von einem Besucherpavillon, der das Thema Energie aufgreifen wird, die bald hundertjährige Geschichte des Flughafens erzählen sowie einen Blick nach vorne bieten wird, wohin sich die Luftfahrt entwickeln könnte. «Ein kleines Technorama für die Region.» Auch im Hauptgeschäft, der Fliegerei, möchte der Belper Flughafen eine Pionierrolle einnehmen. Bereits heute gibt es dort eine E-Ladestation für das erste zertifizierte E-Flugzeug, die zweiplätzige Pipistrel Velis Electro. Bloss um die 15 Stück fliegen derzeit in der Schweiz herum, «sie kommen regelmässig nach Bern». Ryf, der privat ein mit eigenem Strom betriebenes E-Auto fährt, schätzt, dass in rund zehn Jahren die ersten Elektro- oder zumindest Hybridflugzeuge mit 20 Plätzen zum Einsatz kommen. «CO2-neutral von Belp nach Paris, München oder Frankfurt fliegen? Das ist eine grosse Chance für uns.» 

Vorerst ist das Zukunftsmusik. Die aber hinter den Kulissen bereits komponiert wird. Ob im Gürbetal in wenigen Jahren die grösste Solaranlage der Schweiz steht, wird sich zeigen. Behörden und schlussendlich auch die Stimmberechtigten werden abwägen müssen, was mehr Wert hat: eine artenreiche Magerwiese oder erneuerbare Stromproduktion, Segelfliegerei oder Agri-PV? Etwas jedoch steht fest: Für unseren Lebensstil brauchen wir Strom. Und innovative Ideen, woher wir diesen nehmen.

INFO:

www.belpmoossolar.ch

 

Trägerschaft und Panels

Die Trägerschaft von BelpmoosSolar besteht zu 49 % aus dem Flughafen Bern und zu 51 % aus der BKW. Der grösste Teil des Stroms soll an regionale Energieanbieter oder grosse Unternehmen verkauft werden. Für die geplanten 64’000 Solarmodule wird es eine internationale Ausschreibung geben. Solarmodule bestehen hauptsächlich aus Glas, Aluminium und Silizium, einem Quarzsand. Letzteres ist das zweithäufigste Element der Erde. Die Panels können am Ende ihrer Nutzungsdauer von mehr als 30 Jahren einfach zerlegt und recycelt werden.

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Jets, Beeren und Strom

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