Ist Jobsharing die Lösung?

Ist Jobsharing die Lösung?

Freiwillige vor für den Gemeinderat! Viele Gemeinden im Verteilgebiet dieser Zeitung sind froh um jeden, der ein politisches Amt übernimmt. Während sich in der Wirtschaft und Verwaltung Jobsharing bereits etabliert hat, scheint die Politik in ihren Strukturen gefangen. Doch wäre geteilte Verantwortung in der kommunalen Exekutive überhaupt eine Lösung?

In bevölkerungsreicheren Gemeinden in der Region Gantrisch, wie in Schwarzenburg oder Belp, gibt es vor Wahlen sogar Wahlkampf zu beobachten, bei Rücktritten können Nachfolgerinnen direkt nachrutschen. Gleichzeitig bangen manche ländlichere Gemeinden im schlimmsten Fall um ihre Eigenständigkeit. Rüeggisberg konnte nach ergebnisloser Kandidatensuche den vakanten Gemeinderatssitz erst nach offenen Wahlen besetzen. Oberbalm fand eine Nachfolgelösung per Flugblatt. In Niedermuhlern müssen Ende 2024 aufgrund der Amtszeitbeschränkung gleich drei neue Gemeinderatsmitglieder her – noch zeichnet sich keine Lösung ab. In Rüschegg wendet sich Gemeindepräsident Markus Hirschi im aktuellen «Rüschegger» an seine Mitbürger: «Ich stelle fest, dass das gemeinsame Tun für ein intaktes Gemeindeleben schwindet.» Warum ist dies so? Und wären neuere Modelle Lösungen für die Zukunft?

Komplexer und zeitintensiver 

Dass immer weniger Bürger Verantwortung übernehmen wollen, sei ein gesellschaftliches Phänomen, das sich insbesondere bei den Vereinen zeige, schreibt Markus Hirschi. In einem Jahr stünde die Wahlfindungsphase für die nächste Legislatur an, schreibt er. Er möchte Fremdbestimmung – eine Fusion – möglichst vermeiden. Darum ruft er auf: «Habt Mut zur Verantwortung.» Dieser Mut scheint zu fehlen. Oder ist es der Mangel an zeitlicher Kapazität? Hirschi gibt selbst zu, dass er dieses Pensum kaum schaffen würde, wäre er nicht frühpensioniert. Die Präsenzzeit sei viel grösser als noch früher. Jegliche Interaktion mit kantonalen Behörden finde tagsüber statt – wie lasse sich das mit einer Vollzeitstelle vereinen? Sein Amtskollege Peter Scheurer aus Forst-Längenbühl etwa erhält von seinem Arbeitgeber, Möbel Ryter, täglich bis zu einer halben Stunde Arbeitszeit für Gemeindeangelegenheiten zur Verfügung gestellt. Doch diese Kulanz ist längst nicht überall möglich. Dennoch ist Scheurer bis zu drei Abende pro Woche für sein Amt besetzt. Hansruedi Schweizer, Gemeindepräsident von Niedermuhlern, schlägt in dieselbe Kerbe: «Der zeitliche Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Vor meiner Pensionierung hätte ich das kaum stemmen können.» Zudem, bringt er einen weiteren Aspekt ein, seien die Ansprüche viel komplexer geworden. «Vor 20 Jahren besprach man sich mündlich, und das galt.» Heute hingegen verlange der Kanton für vieles zahlreiche Formulare. 

Andere Werte

Dennoch mag Schweizer nicht nur dem System den schwarzen Peter zuschieben. Denn die Einstellung, dass man seiner Wohngemeinde auch etwas zurückgeben möchte, gehe immer mehr verloren. Man profitiere gerne, solange es gut laufe, sei aber immer weniger bereit, mitzuziehen. Vielleicht haben sich auch die Werte verschoben. Für seine Generation sei die Eigenständigkeit als Gemeinde wichtig. «Die Jungen hingegen leben viel vernetzter, erledigen vieles vom Computer oder Handy aus.» Da spiele es kaum mehr eine Rolle, ob die Gemeindeverwaltung noch vor Ort sei oder im grösseren Nachbarsdorf. Auch Ruedi Anken musste schmerzlich merken: «Etwas für die Allgemeinheit tun ist nicht mehr ‹in›. Die Jungen haben meist andere Ziele, sind anders engagiert.» Die Zeiten hätten sich geändert: «Früher vernahm man die interessanten Neuigkeiten aus der Umgebung während des geselligen Teils der Vereine. Heute ist man stattdessen digital vernetzt.» Diese Distanziertheit schmerze manchmal. Etwa dann, wenn sich die Gemeinderäte für etwas ins Zeug legen und anschliessend eine kritische, respektlose E-Mail erhalten. So etwas spreche sich herum und schrecke mögliche Gemeinderatskandidaturen ab. Er wünscht sich, dass die Gesellschaft die Arbeit der Volksvertreter grundsätzlich wieder mehr schätzt. «Dass man wenigstens versucht, zu verstehen, warum manche Entscheide gefällt werden, anstatt direkt zu reklamieren und es besser zu wissen.» Denn gerade auf dem Land spielten Parteiprogramme eine untergeordnete Rolle. Im Oberbalmer Gemeinderat zumindest gehe es allen um die Sache – und für diese setzten sich die Milizpolitisierenden trotz zeitlicher Mehrbelastung ein. Denn: «Wenn man will, dann ist der Aufwand machbar.» 

Lösung Jobsharing?

Dies sehen nicht alle so. Obwohl es in grösseren Gemeinden oder Städten nicht an politisch Engagierten mangelt, ist die Belastung eines Amtes auch dort ein Thema. 2018 etwa reichte die Fraktion GLP/JGLP im Berner Stadtrat ein: Jobsharing solle für Kadermitarbeitende, aber auch für Gemeinderätinnen und Gemeinderäte möglich sein. Flexible Arbeitsmodelle würden Know-how sichern, Fachkräftemangel reduzieren, Talente in unterschiedlichen Lebenssituationen anziehen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, heisst es im Vortrag. In der Wirtschaft kennt man Jobsharing bereits gut. Zahlreiche – meist grosse – Firmen funktionieren auch mit geteilten Kaderstellen sehr gut. Die Postulanten forderten dies auch für politische Exekutivämter. «Es geht um weit mehr als um die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. Mit dem neuen Modell wird ein Generationenmix gefördert», schreiben sie. Denn solche Ämter können so Personen zugänglich gemacht werden, die nicht die Kapazität haben, mehr als Vollzeit zu arbeiten. Bereits 2015 hatte die Fraktion SP verlangt, dass Teamkandidaturen für den Gemeinderat möglich werden. Sie weisen explizit auf Personen hin, die aufgrund von Betreuungsaufgaben in der Familie kein Vollzeitamt ausüben können oder wollen. Die Vorteile eines «gut funktionierenden Tandems, welches sich inhaltlich und fachlich ergänzt», würden überwiegen, so die beiden Postulanten.

Doppelte Kompetenz, halbe Belastung

Jobsharing bedeutet, dass sich mehrere Personen eine Funktion bzw. Arbeitsstelle teilen. Beide sind im Bild über die laufenden Geschäfte, beide sind gleichwertige Ansprechpersonen. Das Modell bedingt eine starke gemeinsame Wertebasis und gute Absprachen. Beispiele aus der Wirtschaft zeigen aber, dass dies nicht nur möglich ist, sondern sogar Vorteile mit sich bringen kann. Der Verein «Part Time Optimierung PTO» fasst diese so zusammen: «Zwei Kompetenzen zum Preis von einer.» So würden durch den kontinuierlichen Austausch der Partnerinnen und Partner Entscheidungen effizienter gefällt werden, man verfüge über insgesamt mehr Fachwissen und über ein grösseres Netzwerk, habe ein reduziertes Burnout-Risiko und motiviertere Mitarbeitende. Unternehmensberaterin Nina Prochazka, Coach bei PTO, weiss aus Erfahrung: «Reglemente kann man in der Regel unkompliziert anpassen, und wenn man will, geht es sehr gut.» Sie wirft die Frage auf: «Wie können Gemeinden die Bedingungen für ein politisches Amt möglichst attraktiv gestalten? Jobsharing ist ein zukunftsorientiertes Arbeitsmodell, das zudem für Gemeinden die Möglichkeit bietet, sich in Bezug auf Diversität zu verbessern.» 

Ein wichtiger Punkt. Denn heutzutage wünschen sich viele Väter Teilzeitarbeit sie möchten daheim präsenter sein, als die Vätergeneration vor ihnen war. Gerade auf Führungsebene ist dies unter anderem dank flexiblen Modellen wie Jobsharing möglich. Gleichzeitig arbeiten die meisten Mütter Teilzeit, wodurch ihnen in den herkömmlichen Arbeitsmodellen Kaderstellen verwehrt bleiben. Auf die politische Ebene gebracht kann dies bedeuten, dass sowohl Väter wie auch Mütter von jüngeren Kindern kein zusätzliches Engagement annehmen, weil dies ihnen einen grossen Teil der Familienzeit wegnehmen würde. Wäre nun das Amt geteilt, dann bedeutete dies unter Umständen eine deutlich geringere Belastung, etwa nur eine Sitzung pro Woche anstatt zwei bis drei. Für den dafür erforderlichen intensiven Austausch sind unter anderem zahlreiche digitale Möglichkeiten vorhanden, womit besonders die jüngere Generation spielend umgehen kann. 

Beispiele zu geteilter Verantwortung in der Politik gibt es aber vorerst nur auf Verwaltungsebene oder in der Parteiführung. Siehe etwa die ehemaligen Co-Präsidentinnen der Grünen Schweiz, Adèle Thorens Goumaz und Regula Rytz, oder die aktuelle SP Schweiz-Spitze Mattea Meyer und Cédric Wermuth. 

Rechtlich noch nicht möglich

Auf Ebene Exekutive oder Legislative kam das Thema wie oben erwähnt durchaus aufs Parkett – aber noch nie in die Praxis. Denn ein Rechtsgutachten im Auftrag der Basler Staatskanzlei oder die Antworten der Stadtberner Exekutive auf die oben erwähnten Anfragen kommen zum Schluss, dass ein Jobsharing in den kommunalen Exekutiven aktuell nicht möglich ist – es fehlt die rechtliche Grundlage für Doppelkandidaturen. Dann, so erklärt der Direktor des Schweizer Gemeindeverbands, Christoph Niederberger, könne die politische Verantwortung für ein Amt nicht geteilt werden. «Es ist unklar, ob Teamkandidaturen mit der von der Bundesverfassung garantierten Wahlfreiheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger vereinbar wären.» Etwa dann, wenn sie ihre Stimme eigentlich nur einer der beiden Personen im Tandem geben möchten, aber gezwungen sind, beide zu wählen. Hinzu kommt, dass eine Gemeinde zuerst ihr Gemeindereglement ändern müsse. Wenn es zum Beispiel vorsehe, dass jedem Ressort ein Exekutivmitglied zugeteilt ist, dann können nicht plötzlich zwei Personen dafür zuständig sein. Weitere Fragen müssten auch zuerst rechtlich geklärt werden: Was geschieht, wenn eine der beiden Amtsinhaberinnen im Jobsharing zurücktritt oder verstirbt? «Oder was, wenn sich die beiden Ressortleitenden in einer Frage uneins sind?», fügt Niederberger an. 

Gemeindeverband schliesst es nicht aus

Dennoch schliesst er nicht aus, sich zukünftig als Verband für ein solches Modell auszusprechen: «Die Stärkung der Milizarbeit ist dem Schweizerischen Gemeindeverband ein starkes Anliegen. Und wir sind uns der Problematik vor allem kleinerer Gemeinden bewusst, welche teilweise lange nach Kandidatinnen und Kandidaten suchen müssen. Die Möglichkeit des Jobsharings könnte diese Problematik gegebenenfalls zu einem gewissen Grad entschärfen. Sollte sich zeigen, dass sich die Gemeinden vermehrt die Einführung eines solchen Modells wünschen, würde sich der SGV in seiner Rolle als ‹Anwalt der Gemeinden› vertieft mit der Thematik auseinandersetzen.» Doch: Ohne konkreten Gesetzesentwurf sähen sie davon ab, sich zum heutigen Zeitpunkt für oder gegen ein Jobsharing in den kommunalen Exekutiven auszusprechen.

Ein Beispiel für eine Art Kompromisslösung erwähnt Niederberger hingegen: In Yverdon-les-Bains im Waadtland bezeichnen sich der Stadtpräsident und die Vizepräsidentin als «Co-Präsidenten». Ebenfalls haben sie das dort bis anhin normale 100 %-Pensum des Präsidenten und das 60 %-Pensum der Vizepräsidentin in zwei 80 %-Pensen aufgeteilt. Dennoch existiert das Co-Präsidium nur inoffiziell. Rechtlich sowie offiziell gibt es nur einen Stadtpräsidenten und nur eine Vizepräsidentin.

Rolf Widmer, Abteilungsleiter Gemeinden und stellvertretender Vorsteher des Amts für Gemeinden und Raumordnung AGR, sieht das Jobsharing als Lösung für das Rekrutierungsproblem kleinerer Gemeinden kritisch: «Ja, es kann zwar sein, dass Absagen für Kandidaturen daran liegen, dass jemand nicht die volle Verantwortung übernehmen will. Aber meist ist die Schwierigkeit, dass sich niemand überhaupt Zeit nehmen will.» Also – wenn es schon schwierig ist, eine Person für ein Amt zu finden, dann sei es nicht unbedingt leichter, zwei Leute dafür zu begeistern. «Ich stelle infrage, ob die Leute eher Ja sagen, wenn die gesetzlichen Grundlagen geändert würden.»  

«Es ist schön, mitzugestalten»

Diese Frage ist schwierig zu beantworten. In Rüeggisberg waren es nicht die attraktiveren Bedingungen, die Simon Nussbaum dazu bewogen, vor den freien Wahlen seine Bereitschaft für das Amt bekanntzugeben: «Ich fand, dass es durchaus eine Rolle spielt, wer schlussendlich in der Politik mitmacht. Es sollen Leute sein, die sinnvoll sind für die Gemeinde.» Obwohl auch er beruflich stark eingespannt ist und eigentlich keine übrige Zeit hat, nahm er die Wahl an. Seine Partnerin unterstützte ihn dabei von Anfang an. Der 43-Jährige betont: «Wir alle leben mit der Politik. Viele reklamieren darüber, aber tun nichts für die Sache. Es wäre schön, wenn mehr Leute mithelfen und mitbestimmen würden.»

Ähnlich denkt die Niedermuhlener Gemeinderätin Marina Hänni: «Wenn man Veränderung möchte, muss man etwas dafür tun.» Dies könne auch bedeuten, sich in alte Strukturen hineinzuleben, denn sie glaube, Wandel komme eher von innen als von aussen. Als Juristin interessierte sie das gesellschaftliche Leben schon immer. Zudem sei sie in Niedermuhlern aufgewachsen und fühle sich mit der Gemeinde eng verbunden, sei vernetzt, kenne die Leute. Die heute 27-Jährige wurde mit 23 in den Gemeinderat gewählt: «Es ist schön, mitgestalten zu können.»

In Rüeggisberg stellt sich auch Gemeindepräsidentin Therese Ryser zum Milizsystem: «Dadurch können wir einander als Gesellschaft immer wieder etwas zurückgeben.» Sie wirkte bereits in der Schulkommission mit, als ihre Kinder noch jünger waren, und wechselte in den Gemeinderat, als ihre jüngste Tochter im letzten Schuljahr war. Belastend findet sie weniger den Zeitaufwand als den starken Gegenwind, der einem aus der Bevölkerung entgegenwehe. «Viele Leute haben den Anstand, die Wertschätzung und den Respekt verloren», weiss sie aus Erfahrung. An Gemeindeversammlungen kämen oft kritische Voten, ohne dass sich die Leute vorher bei den Verantwortlichen informierten. Auf der Suche nach neuen Kandidierenden für den Gemeinderat bekam Ryser darum immer wieder zu hören, dass grundsätzlich Interessierte sich den vielen negativen Reaktionen nicht aussetzen möchten. Sie betont: «Wir sollten einander mehr wertschätzen.» Als Gemeinderat seien sie aber intensiv am Abklären, wie sie das Amt attraktiver machen und auch die Verwaltung entlasten können. «Es muss Lösungen geben, um neue Leute nachziehen zu können», zeigt sie sich zuversichtlich.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Milizmodell Gemeinderat insbesondere im weniger dicht besiedelten Gebiet und für kleinere Gemeinden die Tendenz haben kann, ein Auslaufmodell zu sein. Ob die Bürgerinnen und Bürger weniger für die Allgemeinheit leisten wollen als früher, ist möglich, lässt sich aber nicht eindeutig feststellen. Möglich ist auch, dass heute vermehrt beide Partner arbeiten, Kinderbetreuung von beiden übernommen wird und unter dem Strich weniger Zeit da ist für anderes. Gleichzeitig muss die Gesellschaft sich wieder viel stärker bewusst sein, dass Politik bedeutet, unser Zusammenleben zu organisieren, und damit alle betrifft. Wer sich dafür ins Zeug legt, verdient auch bei anderen Ansichten zuerst einmal Wertschätzung. Trotz allem Wünschen und Fordern bleibt die Tatsache, dass es in den letzten Jahren in der Region Gantrisch zu mehreren Gemeindefusionen kam – auch, und zum Teil hauptsächlich, wegen fehlender Behördenmitglieder. Jobsharing wird nicht die alleinige Rettung sein. Doch wenn die Lösung der Zukunft nur noch der immer weiter greifende Zusammenschluss von Gemeinden ist, wäre es zumindest angebracht, über modernere Modelle nachzudenken. Die jüngere Generation agiert häufig vernetzter und flexibler. Vielleicht fällt es ihr leichter, die Hürden zu überspringen, die ein Jobsharing gemäss seiner Kritiker mit sich bringt. Denn, wie es von allen Seiten heisst: Wenn man will, dann geht es.

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