Der Januar ist jetzt vielleicht nicht gerade der Monat, in dem Menschen in Scharen in den Wald pilgern, um sich darin stundenlang aufzuhalten. Nur einige Tannenlängen von der Kirche Wahlern entfernt, verraten sich überlagernde Kinderstimmen, dass sich hier eine Gruppe amüsiert, ohne von solchen Begebenheiten Notiz zu nehmen. «Wir verbringen so viel Zeit wie wettertechnisch möglich im Wald», sagt Nuria Bütikofer so selbstverständlich, wie sie gleichzeitig einem Jungen hilft, in den Rucksack zu schlüpfen.
Das Zentrum des Waldkindergartens bildet ein aus Ästen konstruiertes Oval mit Sitzmöglichkeiten, Feuerstelle und jeder Menge Proviant. Rundherum bilden Baumstrünke, Äste, Steine und Hügel ein Kleinod, in dem der Fantasie der Kinder keine Grenzen gesetzt sind. Hier schwingt sich ein Mädchen am Seil gekonnt über die Falle zweier Jungs hinweg, die ihr Erdloch mit reichlich Ästen gut tarnen. Dort füllt ein kleiner Junge ein Säckchen mit Erde. «Das wird ein Kopfkissen», verrät er dem Gast fast schon nebenbei. «Freies Spielen und dabei die Eigeninitiative der Kinder zuzulassen, ist ein wichtiger Teil», erklärt Eliane Kalasz. «Wir arbeiten mit ihrer Initiative und schauen was sie brauchen, ganz individuell», ergänzt Waldorfkindergärtnerin Bütikofer. Kreativ-Werkangebotspläne haben die beiden für jeden Tag, aber sie sind da, um verschoben zu werden, wenn es der Tag mit sich bringt. Was jedoch als wiederkehrendes Ritual zum Tagesablauf gehört, ist ein Zusammenkommen im Kreis, um gemeinsam in die Welt der Geschichten und Märchen einzutauchen. Plötzlich klingt eine Stimme deutlich lauter als sonst. Ein kleiner Streit entfacht. Naturpädagogin Kalasz bietet etwas Kommunikationshilfe und schenkt viel Vertrauen in die Streithähne. Das Resultat stellt sich Sekunden später ein. Der entwendete Handschuh ist vergessene Sache und das nächste gemeinsame Abenteuer weitaus bedeutsamer. «Wir arbeiten prozessorientiert», lautet die kurze Erklärung der Kindergärtnerin, die inzwischen das Geschirr abtrocknet.
Seit vier Jahren gibt es dieses Angebot für Kinder von drei- bis siebenjährig. Wobei selbst diese Zahlen relativ sind. «Wir schauen anfänglich erst einmal, wie es geht und wie wohl sich der neue Gast fühlt, dann sehen wir weiter», sagt Kalasz. Inzwischen macht sich die ganze Horde auf den Weg zurück Richtung Parkplatz. Das Feuer wird gelöscht, das Geschirr bis zum nächsten Tag verstaut und los geht der Tross scheinbar wie aus einer Traumwelt zurück in die Realität. Ein kurzes Ritual unterbricht die Karawane: «Tanne, Buche, Eiche», mit einem kleinen Lied verabschieden sich alle vom Wald. Die Selbstverständlichkeit darin ist Programm. «Erlebnisse schaffen eine Verbundenheit mit der Natur», fasst Bütikofer dieses Ritual zusammen.
Längst ist der Waldkindergarten kein Einzelangebot mehr. Die beiden Frauen haben den Verein «Natur Kinder Gantrisch» gegründet. «Sensetage», Spielgruppe, Ferienangebote und schulergänzende Möglichkeiten für Homeschool-Kinder. Der Verein wächst in die Breite wie die Krone einer wuchtigen Linde. Einen Traum hegen sie in diesem Zusammenhang aber noch: eine Naturschule. Die beiden wünschen sich, dass es in Zukunft möglich wäre, im Kanton Bern als öffentlich/subventionierter Naturkindergarten/Waldschule funktionnieren zu können. Als die Kinder von ihren Vätern und Müttern wieder in Empfang genommen werden und lautmalerisch die wichtigsten Abenteuer des Tages zu Protokoll geben, ist der Gedanke nicht weit: Vielleicht werden einzelne aus genau dieser farbenfrohen Horde auch die ersten sein, die der Naturschule beiwohnen könnten. Eines werden sie dann sicherlich schon kennen: spielerisch mit der Natur verbunden zu sein.
INFO
www.naturkindergantrisch.ch