Hoffnung in der Krise

Hoffnung in der Krise

Oft trügt die Idylle vom heimeligen Bauernhof: Mehrere Generationen unter einem Dach und Druck von aussen können Landwirte zur Verzweiflung treiben. Umso wichtiger, dass sie sich rechtzeitig Hilfe bei einer Vertrauens- oder Fachperson holen.

Ein Jungbauer übernimmt den elterlichen Hof, die Senioren ziehen ins Stöckli, sind aber noch rüstig genug, um im täglichen Betrieb mitzuhelfen. Bald jedoch zeigen sich erste Spannungen. Die Schwiegertochter macht vieles anders, als es die Schwiegereltern kennen und erwarten. Ein piekfein gejäteter Garten und stets sauber gewischter Vorplatz? Sie setzt andere Prioritäten. Der Sohn gerät in einen Loyalitätskonflikt, stellt sich aber dann an die Seite seiner Frau. Die Eltern fühlen sich und ihre jahrzehntelange Hingabe an den Hof nicht genügend wertgeschätzt. Bald redet man kaum mehr miteinander.

Hoher Druck auf Landwirten
Hier ein fiktives Beispiel, das so oder ähnlich in der Schweiz immer wieder vorkommt. Zusätzlich zur häuslichen Situation – mehrere Generationen unter einem Dach und wenig Privatsphäre – lastet immer mehr Druck auf den Landwirtinnen und Landwirten: Die Konsumentenstimmung ist kritisch. Der Einsatz von Pestiziden wird hinterfragt, man will mehr Platz für Tiere, bei gleich tiefen Preisen im Verkaufsregal.

Auch auf globaler Ebene hat der Druck zugenommen: Schutzzölle fallen weg; plötzlich sind Landwirte aus fernen Ländern zu Konkurrenten geworden. Weiter wirft die Klimakrise Fragen auf: Machen Monokulturen noch Sinn? Funktioniert Gewohntes nicht mehr? Dazu kommen eine neue Regeldichte und ein hoher administrativer Aufwand sowie die Technisierung und Digitalisierung.

Hohes Suizidrisiko
«Das Krisenpotential in der Landwirtschaft ist sehr hoch», weiss Benno Winkler. Der Mediator aus Kehrsatz hat hinter viele mit Geranien geschmückte Fassaden schauen können und tragische Geschichten, verhärtete Fronten und allgemeine Überforderung gesehen. Das seit sieben Jahren aktive «Netzwerk Mediation im ländlichen Raum», dessen Gründungsmitglied er ist, setzt darum dort an, wo die Möglichkeiten der Betroffenen aufhören. Die Schwelle, sich von aussen Hilfe zu holen, sei aber gerade in der Landwirtschaft meistens sehr hoch, erlebt Winkler.

Ein trauriges Indiz dafür ist die überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate unter Landwirten. Eine vom Nationalfonds unterstützte Studie der Universität Bern stellte fest, dass Bauern ein um 37% höheres Suizidrisiko haben als andere Schweizer Männer. Während schweizweit die Selbstmorde kontinuierlich abgenommen haben, häuften sie sich in der Landwirtschaft in den vergangenen zwanzig Jahren. Umso wichtiger ist darum die Arbeit von Initiativen wie dem Bäuerlichen Sorgentelefon oder dem «Netzwerk Mediation im ländlichen Raum».

Zwiebeln schälen
Der erste Schritt in Richtung externe Hilfe ist meist ein Anruf im Sekretariat des Netzwerks. Ziel ist, alle Involvierten an einen Tisch zu bringen. Benno Winkler ist es wichtig, dass sich jede und jeder angehört fühlt: «Wir sind allparteilich und lösungsneutral.» Konflikte seien nicht per se ein Problem, so Winkler: «Es kann immer etwas Kreatives aus ihnen entstehen.» Damit dies geschehen kann und eine «Win-win-Lösung» oder wenigstens eine Teillösung herauskommt, müssen alle Parteien die Bereitschaft aufbringen, Veränderungen auszuprobieren.

Meist reichen zwei bis fünf Sitzungen aus, damit sich Knoten öffnen. «Landwirte wollen nicht plaudern, sondern wollen Nägel mit Köpfen machen», ist Winklers Erfahrung. Eine Mediation ist keine Therapie. «Aber manchmal muss man ‹Zwiebeln schälen›, frühere seelische Verletzungen sichtbar machen und einer Heilung zuführen.» Selbst wenn sich nachher nicht alle in die Arme fallen: «Es ist bereits ein Erfolg, wenn man ein Gespräch führen konnte.» Streitereien seien natürlich und bei mehreren Generationen unter einem Dach sind Krisen fast vorprogrammiert, weiss Mediator Winkler. Ein Blick von aussen, wie er ihn einbringe, könne oft weiterhelfen.

Chancen packen
Ganz «von aussen» ist Benno Winkler aber nicht. «Mein Herz schlägt fürs Bäuerliche», erzählt er. So sieht er die Landwirtschaft keineswegs als Krisenherd, sondern sieht viele Chancen für die Zukunft: Die Schweiz könne in Sachen Nachhaltigkeit und Biodiversität eine Vorbildfunktion übernehmen.

Den bäuerlichen Gemeinschaften in der Schweiz rät er, gegenseitig die Privatsphäre der andern zu wahren und klare Vereinbarungen zu treffen. Die Jungen können Wege finden, den Seniorbauern Wertschätzung zu zeigen, und umgekehrt «sollen die Alten vertrauen, dass die Jungen das schon recht machen werden». Steht man an, gibt es Hilfe – und die darf man sich ruhig holen!

INFO
Netzwerk Mediation im ländlichen Raum:
www.hofkonflikt.ch (mit Videomaterial über den Ablauf einer Mediation) / T 031 941 01 01
Bäuerliches Sorgentelefon: T 041 820 02 15
(Mo 8.15-12 Uhr, Di 13-17 Uhr, Do 18-22 Uhr)
Die Dargebotene Hand: www.143.ch / T 143 (24/7)

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