«Um ein gutes Portrait zu machen, spricht man mit den Menschen, man beobachtet sie und entdeckt ihre ureigene Art, die gilt es dann auf das Bild zu bekommen», erklärt Peter Zbinden und sieht zu seinem Gegenüber. Die Lebendigkeit erwacht, die tiefblauen Augen des 82-Jährigen funkeln. Es ist der Ausdruck von Lebensfreude, die sämtliche Falten glättet und einen Moment der Freude kreiert. Durch seine Augen die verschiedenen Generationen zu sehen, das ist wie ein Fotoalbum voller Beobachtungen zu durchblättern. Gleichsam regen seine Gedanken an und widerspiegeln die Gesellschaft.
Das Stöckli als Symbol
Es ist noch nicht allzu lange her, da wohnten mehrere Generationen unter einem Dach. Idealtypisch im ländlichen Raum. Stolz thront das Stöckli neben dem Bauernhaus und bietet der älteren Generation ein Obdach im Bund der Familie. «Es gibt nicht mehr viele Stöckli», meint Zbinden doppelbödig. Es gibt nicht mehr so viele Familien, in denen drei oder vier Generationen zusammenleben. Dann plötzlich erhellt sich seine Miene und er ergänzt: «Und die Stöckli, die es noch gibt, sind heute oft an junge Pärchen vermietet. Es ist also genau umgekehrt zu früher.» Ausziehen, weiterziehen, umherziehen, die Lebensreise beginnt für junge Menschen ganz unterschiedlich. Die Jungen ziehen nicht unbedingt früher weg. Manche bleiben aus wirtschaftlichen Gründen gar länger zuhause. «Aber wenn sie wegziehen, zieht auch die Nähe mit um, sie sind nicht mehr so nah an der älteren Generation», fügt er an. Da schwingt keine Wehmut mit, nein, es sind Beobachtungen, die Zbinden wertfrei wiedergibt. Mehr noch: «Ich habe selbst lange gebraucht, um wegzuziehen. Doch dann war es gleich Basel und später das Ausland. Ich glaube, heute ist der Wegzug eher räumlich näher, dafür familiär etwas distanzierter.»
Die Mehrheit der Alten
Leben wir demnach heute aneinander vorbei? «Ja, dieses Gefühl habe ich manchmal», gibt er zu, um die Aussage im nächsten Moment zu relativieren: «Doch das ist Nostalgie. Der Spruch, wonach früher alles besser gewesen sei, kommt ja aus der menschlichen Konstante, dass man aus längst vergangenen Tagen vor allem die guten Erinnerungen behält. Es ist also nur ein Gefühl. Wie es wirklich ist, scheint mir doch schwer zu sagen.» Doch das Nebeneinander findet sich im Alltag. Auch an Orten, an denen ungleiche Kräfte und Verhältnisse entstehen: «Gemeindeversammlungen sind wichtig. Doch es gehen vor allem die älteren Semester hin, das führt bei Abstimmungen zu einem Ungleichgewicht der Generationen und das ist schade. Ich glaube, dass dies oft auch bei Wahlen und Abstimmungen so ist. Solche Entscheidungen betreffen aber immer die Zukunft und damit die nächsten Generationen. Das kann manchmal widersprüchlich sein, weil bei vielen älteren Menschen die Tendenz überwiegt, eher zu erhalten, wie es war.»
Die verpasste Chance
Wieso nehmen jüngere Menschen weniger oft teil oder begegnen den Älteren seltener? Eine Beobachtung des Schwarzenburgers weckt ein Gedanke aus der Wirtschaftswelt: «Früher kannte man noch Patrons in den Geschäften, die nicht selten mit 80-jährig noch alles im Griff hatten. Das gibt es heute kaum mehr. Sie sind weg, man rückt schneller nach, die Alten werden aus dem Arbeitsprozess rausgedrängt.» Nun kehren die Falten zurück in seine Gesichtszüge. Es sind Sorgenfalten. «Sollte man nicht einfach so lange arbeiten dürfen, wie man mag und Freude daran hat? Ich kenne viele ältere Menschen, die seit der Pension einfach vor sich hinleben. Die Jungen sollten die Älteren nicht einfach loswerden. Es würde beiden helfen. Die Möglichkeit, etwas zu lernen, entstünde. So aber verschwinden viele Fähigkeiten und Erfahrungen.» Am Nebentisch im Gasthof Bühl zu Schwarzenburg lauschen ein paar Ohren mit. Nun steht ein Herr auf, kommt an den runden Tisch, an dem Peter Zbinden sitzt und meint: «Länger arbeiten und länger Steuern bezahlen.» Er quittiert diese Aussage mit einem Lächeln. Wörter wie Fachkräftemangel, Alterseinsamkeit, Finanzen der Schweizer Eidgenossenschaft huschen durch die Gedanken. Hat er da gerade einen Lösungsansatz präsentiert? Oder war diese Aussage kritisch gemeint? Antwort gibt es keine, der Herr überlässt Zbinden wieder seinem Gespräch und will nicht weiter stören.
Angst als schlechter Ratgeber
Doch der Einwurf des Gastes transportiert die Generationengedanken in Richtung Alters- und Pflegezentren. In der alten Umgangssprache im Gantrischgebiet hört man noch lange den Begriff «Leichentuch» als wenig schmeichelhafte Umschreibung dieser Häuser. Peter Zbinden lacht, als er diesen Begriff hört: «Ja, da will man nicht hin, weil es die letzte Station ist. Ich glaube, das hat nicht mit den Häusern selbst zu tun, sondern mit dem Umstand, dass man unsterblich sein will und sich leider viel zu wenig mit dem Tod beschäftigt.» Angst ist ein schlechter Ratgeber, drängt sich die nächste Floskel auf. Hat der Fotograf gar ein Rezept dagegen? Nun beginnen seine Augen wieder zu strahlen: «Ich habe mehr Projekte als Lebenszeit, das hält mich vorwärtsgerichtet und schenkt Lebensfreude. Wieso soll man im Alter weniger davon haben?» Nein, er würde das nicht als Patentrezept verkaufen wollen; bescheiden erzählt der 82-Jährige einfach, wie er es mit dem Altsein hält. Die Alters- und Pflegezentren aber, die bleiben dennoch ein Symbol für das Wegstellen der ältesten Generation, wenngleich Cafés, Besuche und Aktivitäten dagegen ankämpfen, wenngleich diese Häuser alles unternehmen, um ihren Bewohnenden das Leben zu vereinfachen, zu verbessern und zu versüssen. Die übrige Gesellschaft lässt sich dennoch viel zu selten in diesen Häusern blicken. Schade, denn eigentlich sind es Schätze voller Lebenserfahrung, Juwelen der Region.
Der Blick schweift bei diesem Gedanken durch die Gaststube. Alte Bilder in ovalen Umrandungen zieren die Holzwände. Selbstverständlich Aufnahmen von Peter Zbinden. Auch darauf wird er angesprochen während des Gesprächs. «Ja, das ist schön geworden», freut er sich. Allesamt wirken sie wie Gucklöcher in die Vergangenheit. Momente, die Wärme ausstrahlen, Nostalgie und Bewusstsein. Auch «wenn vieles heute besser ist», will der Fotograf unterstrichen haben. Einst, als die Menschen aufgrund der langen Belichtungszeit der Fotokameras nicht lächeln durften, «und eine Nackenstütze tragen mussten», ergänzt Zbinden, war es ein wenig wie heute, wo man auf den Passfotos unter keinen Umständen lächeln darf. In der Zeit dazwischen haben Zbindens unzählige Passfotos gemacht – mit lächelnden Personen. «Die hingen dann auch im Schaufenster, das war ein Magnet, ein jeder wollte schauen, wer sich hat abbilden lassen», erzählt er und fügt lachend an: «Und wer neben wem aufgehängt war.» In diese Zeit fallen auch die vielen Familienfotos, die man im Studio in Schwarzenburg gemacht hat. Das Miteinander wird zelebriert. Heute warten tausende von Aufnahmen im Handy darauf, geteilt und gelikt zu werden. «Mich nimmt manchmal Wunder, was man mit all diesen Schnappschüssen eigentlich bezwecken will?», wundert sich Peter Zbinden. Die Symbolik ist perfekt. Aus dem Miteinander ist heute viel zu oft ein Nebeneinander geworden. Es ist der Moment, das Gespräch zu beenden und die Menschen den Gedanken zu überlassen. Solchen von verpassten Chancen des Miteinanders, der unbegründeten Angst vor dem Altwerden und dem Symbol all dieser Veränderungen: dem Stöckli.