Das klingt schon besser. Wie wäre es einfach mit: «Gut älter werden»? Das heisst für mich unter anderem, dass ich älter werden als etwas Normales akzeptiere. Ich erlaube mir jedenfalls, darüber nachzudenken, was «Gut alt werden» für mich heissen mag.
Im Sommer hatte ich ein anregendes Gespräch mit der Journalistin und Buchautorin Meike Winnemuth. Sie «erlaubt» sich immer wieder neue Dinge, wagt Experimente und spricht mit einem schönen Bild vom Alter: «Ich reite in den Sonnenuntergang». Obwohl erst 60, zieht sie bewusst Zwischenbilanz: Welche Talente habe ich, wie will ich sie einsetzen, welche Talente will ich weiterentwickeln oder sogar neu entwickeln?
Dieser Blick auf die eigenen Talente und Stärken gefällt mir. Auch das verbinde ich mit «Gut alt werden»: dass ich mich eben nicht an den paar Fältchen mehr im Gesicht störe, sondern auf das fokussiere, was an Erfreulichem neu hinzukommt. Zum Beispiel zunehmende Ruhe und Gelassenheit, vielleicht auch Unabhängigkeit von der Meinung anderer, Enkelkinder usw.
Prof. Pasqualina Perrig-Chiello von der Seniorenuniversität Bern sagt, dass gutes Altern nicht nur soziales Schicksal ist, sondern auch von der Selbstverantwortung des Einzelnen abhängt. Anhand einer Studie mit Hundertjährigen zeigt sie, worauf es u.a. ankommt: Aktivität, Neugier, soziale Kontakte, der Glaube an sich selbst, im Einklang mit sich selbst und mit der Umwelt sein.
Im Einklang mit sich sein heisst für mich: akzeptieren, was ist, dankbar und zufrieden sein. «Zufriedenheit ist der Stein der Weisen, denn sie verwandelt in Gold, was immer sie berührt» (Benjamin Franklin). Das ist natürlich an guten Tagen einfacher. Und die weniger guten Tage lassen sich mit dieser Erkenntnis vielleicht ein bisschen besser ertragen.
Lebens-Erwartung hat meines Erachtens etwas damit zu tun, was ich noch vom Leben erwarte. Im Mai ist mein Vater gestorben. Seither lebt meine Mutter sehr zurückgezogen. Ich hoffe und wünsche ihr, dass sie wieder zu der «Neugier aufs Leben» zurückfindet, die sie zeitlebens begleitet und immer wieder zu schönen Erlebnissen geführt hat.
Eine der Grundlagen für «gutes Altwerden» können wir mit der Pflege von Hobbies und Interessen, Engagement in Vereinen, Pflege von Freundschaften usw. im Laufe des Lebens selbst legen: Wenn wir eines Tages selbst nicht mehr so aktiv sind, können wir hoffentlich auf ein gewachsenes Netzwerk zählen, das nach uns schaut.
«Im Grunde sind es die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben» (Wilhelm von Humboldt).
Julia Kalenberg
Julia Kalenberg begleitet seit 23 Jahren Teams und Einzelpersonen auf dem Weg. Jetzt besonders aktuell: Lösungsspaziergänge draussen, «Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team» und «Mental stark in der Krise» als knackige und sehr interaktive Onlineformate.
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