Bären, Wölfe, Luchse – alle sind eigentlich einheimische Grossraubtiere, die aber im 20. Jahrhundert in der Schweiz ausgerottet wurden. In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene Bemühungen unternommen, namentlich Luchse wiederanzusiedeln und die andern zumindest gewähren zu lassen, wenn sie den Weg hierher finden.
Gefleckte Raubkatze – der Luchs
Seit rund 40 Jahren leben wieder Luchse bei uns, mit zwei inzwischen stabilen Populationen hauptsächlich im Jurabogen mit aktuell etwa 100 Tieren sowie in den Alpen, wo um die 200 Exemplare heimisch sind. Zur Letzteren zählen auch die Luchse in der Region Gantrisch: Wie viele unsere Wälder durchstreifen, lässt sich nicht genau beziffern. Regelmässige Sichtungen sowie Schätzungen anhand der durchschnittlichen Reviergrösse lassen aber auf mindestens eine Handvoll der Grosskatzen schliessen.
Der Luchs ist die grösste europäische Katzenart. Er wird bis zu 53 Zentimeter hoch und bis 26 Kilogramm (Männchen) schwer und lebt vorwiegend als Einzelgänger in Revieren zwischen 40 und 400 km². Am liebsten ist er in der Dämmerung oder nachts unterwegs, zu seiner Nahrung zählen vor allem Rehe und Gämsen, von denen er etwa eines pro Woche verspeist. Somit spielen die Raubkatzen eine nicht unwichtige Rolle bei der Regulierung der Paarhufer und damit auch dem Schutz von Jungtannen. Schweizweit kommt es nur selten zu Rissen von Schafen oder Ziegen – etwa 20 bis 50 sind es jedes Jahr.
Seit 30 Jahren im Gantrisch heimisch
Seit Anfang der 1990er Jahre werden in der Region Gantrisch Luchse beobachtet. Auch Wildhüter Yves Portmann hat sie schon mehrmals gesichtet – hauptsächlich bei nächtlichen Wildtierzählungen, aber sogar einmal tagsüber, «als vor mir einer übers Feld spazierte». Auch vor die Linse seiner Wildtierkameras kamen ihm bereits mehrere Exemplare. Rund einmal pro Jahr kommt es vor, dass ein verwaistes Jungtier gefunden wird, welches so verwahrlost ist, dass er es erlösen muss.
Neu auch im Unterland
«Auf 100 km² kommen etwa zwei Luchse», erklärt er. Wie viele Säugetiere markieren sie ihr Revier mit Duftsekreten. So riechen neu heranwandernde Artgenossen bald einmal, dass sie hier nicht erwünscht sind. Aufgrund der bisherigen Beobachtungen kann davon ausgegangen werden, dass der Naturpark Gantrisch «voll besetzt ist». Die überlebenden Jungtiere wandern ab, um ihr Revier zu etablieren. So breiten sich die Wildkatzen vermehrt in Richtung Köniz/Gurten, Sense, Schwarzwasser oder im Gürbetal aus.
Unfälle und Wilderei
Die hohe Sterblichkeit der Jungkatzen sorgt für eine langsame Zunahme der Population – nur rund ein Viertel überleben die ersten zwei Jahre. Die Hauptbedrohung für die Luchse sind Verkehrsunfälle, aber auch Wilderei, wie die Stiftung KORA aus früheren Studien mit Halsbandsendern weiss. Auch Krankheiten wie die Räude können Tiere töten, und vereinzelt Abstürze oder Lawinen. Aufgrund von Nutztierrissen legal abgeschossen werden musste übrigens seit 2003 kein Luchs mehr. Damals war dieser Eingriff in den Alpen nötig.
Der Wolf – bis jetzt nur Einzeltiere
Nebst den Wildkatzen haben auch Wölfe wieder den Weg in die Schweiz gefunden. «Die Entwicklung ist im Moment sehr dynamisch», erzählt Manuela von Arx von der Stifung KORA. Dass bis jetzt nur vereinzelt Wölfe im Kanton Bern auftauchen, kann sich jederzeit ändern.
Auch Wildhüter Portmann ist keineswegs beunruhigt: «Wenn der Hirsch kommt, kommt früher oder später auch der Wolf nach – das ist der natürliche Beutekreislauf.»
Vor drei Jahren war es gar ein Männchen zusammen mit einem Weibchen, die sich am Jaunpass wohlfühlten. Wäre das Weibchen nicht vergiftet worden (und das Männchen danach nie mehr gesehen), gäbe es dort heute wahrscheinlich ein Rudel.
So sind es nach wie vor einzelne Tiere, die sich hauptsächlich aus Frankreich oder Italien, aber auch von bestehenden Schweizer Rudeln her auf Wanderschaft befinden, um sich ein Territorium zu suchen. Aktuell bei uns: das Weibchen F78. Auf der anderen Seite der Aare streift seit rund drei Jahren das Männchen M76 umher, vor allem im Eriz und im Justistal.
Häufiger kommen Wölfe in Graubünden vor, etwa das bekannte Calanda-Rudel. Dies kommt daher, dass es in den grenznahen Regionen von Frankreich und Italien eine stabile Wolfspopulation gibt. Jungtiere suchen sich ein eigenes Revier und wandern immer wieder in die Schweiz ein: meist den Haupttälern entlang ins Wallis. Und von dort in den Kanton Graubünden oder ins Tessin. Nur ab und zu hat es bis anhin ein Tier nördlich über die Berge zu uns gezogen.
Im Winter bemerkt man die Wölfe eher als im Sommer: Zum einen sind dann ihre Lieblingsnahrung, die Hirsche, weiter unten im Tal, und zum andern hinterlassen sie Spuren im Schnee.
Gürbetal, Längenberg, Schwarzenburgerland: F78
Im Oktober 2020 wurden in Kaufdorf vier Schafe gerissen. Ob es ein Hund oder ein Wolf war, konnte lange nicht definitiv bestimmt werden. Doch bereits wenige Tage später kam es in Vorder Ried, Gemeinde Rüeggisberg, in den Tagen darauf in Helgisried, in Riggisberg und auch in Schwarzenburg zu bestätigten Rissen durch einen Wolf. Alle paar Tage folgte wieder eine Meldung, und nach DNA-Analysen war klar, dass es sich um die Wölfin F78 handelt. Sie schien sich bei uns nicht unwohl zu fühlen.
Bald wurden Stimmen laut, dass sie ein «Problemwolf» sei und dass etwas gegen die Risse unternommen werden müsse. Doch die Vorgaben sind klar: Solange die Nutztiere nicht ausreichend geschützt sind, kann man dem Wildtier nichts vorwerfen – es bedient sich am «Buffet», das es vorfindet: wenn die Weidezäune etwa nicht hoch genug sind oder der Abstand zum Boden zu gross ist, sodass unten durchgeschlüpft werden kann, oder wenn sie nicht durchgehend und genügend unter Strom gesetzt sind (siehe auch Artikel auf S. 4-6: «Eine Frage der Achtung»). F78 ist zwar eine noch eher unerfahrene Wölfin, sie verhielt sich aber bis jetzt nicht besonders auffällig: Weder begab sie sich zu nah an Menschen noch tötete sie (bis Redaktionsschluss) genug Nutztiere, um einen Abschuss zu rechtfertigen.
Vergrämung?
Hingegen wollte man versuchen, sie mit Gummischrot zu vergrämen: Ihr also zu zeigen, dass es in der Nähe von Siedlungen und Schafherden nicht angenehm ist. Dafür müsste man sie aber quasi auf frischer Tat ertappen. Einer, der dafür ausgerüstet und ausgebildet ist, ist Wildhüter Yves Portmann: «Wenn sich die Situation ergeben würde, dann würde ich eine Vergrämung mit Gummischrot sicher probieren. Aber bis jetzt kamen wir immer zu spät.» Zudem seien jetzt, im Winter, nicht mehr viele Schafe draussen, und ein Wolf sei sehr scheu: «Wir können nicht etliche Stunden damit verbringen, ihr nachzuspüren. Wir haben noch andere Arbeiten aus unserem Pflichtenheft zu erledigen.»
Sichtbeobachtungen
Gesehen hat Portmann sie allerdings schon: In Oberbütschel gelang es ihm sogar, sie zu filmen. Seither gab es vereinzelt Sichtungen, etwa von seinem Wildhutkollegen Marco Catocchia, einer Könizer Autofahrerin, der die Wölfin vors Auto rannte, oder Christof Wieland aus der oberen Gemeinde Köniz. Der Familienvater ist mit seiner Hündin oft auf Feldwegen oder in Wäldern unterwegs. Eines Tages wurde sie auf einmal äusserst nervös, und plötzlich sah Wieland die Wölfin in der Nähe «abhuschen», wie er es beschreibt. «Vor allem roch ich sie», erzählt er beeindruckt. Seither hat er bereits mehrmals Spuren von ihr im Schnee gefunden – Pfotenabdrücke, die vom Wildhüter als Wolfsspuren bestätigt wurden. «Wenn die Wölfin im Trab und im Schnee unterwegs ist, setzt sie ihre Hinterläufe genau in den Abdruck der Vorderpfoten, um Energie zu sparen», erklärt er fasziniert. Mit seinen Kindern hat er nun eine Wildtierkamera installiert. Bis jetzt schoss sie tolle Fuchsbilder. Wer weiss, vielleicht läuft ihm bald F78 vor die Linse?
Yves Portmann sieht es pragmatisch: «Sollte F78 weiterziehen, würde bestimmt irgendwann ein anderer Wolf den Weg hierher finden.» Auch eine Rudelbildung zieht er als zukünftige Möglichkeit in Betracht. Für die Landwirte bedeutet das mehr Aufwand. Portmann beschreibt es so: «Bisher mussten die Schafhalter mit den Zäunen dafür sorgen, dass kein Tier rausgeht. Nun müssen sie auch sicherstellen, dass nichts hineinkommt.»
Rolle des Naturparks
Fabian Reichenbach, Bereichsleiter Natur und Landschaft des Naturparks Gantrisch, wird immer wieder auf den Wolf angesprochen. «Zuständig ist klar der Kanton» sagt er, «doch wenn wir draussen unterwegs und in Kontakt mit Landwirten, Alpbewirtschaftern oder Touristen sind, können wir niederschwellig Hintergrundinformationen geben und der Bildung von Gerüchten entgegenwirken». Gerüchten etwa, der Naturpark füttere die Wölfe und locke sie so an.
Aneinander gewöhnen
Es sieht also ganz so aus, dass F78 nichts Aussergewöhnliches bleibt. Solange das Nahrungsangebot – vor allem Rotwild – in Genüge vorhanden ist, fühlen sich Wölfe hier wohl. In ein paar Jahren werden wir uns vermutlich aneinander gewöhnt haben: die Wölfe daran, dass sie besser nicht in Siedlungsnähe kommen und dass es bei Schafherden Stromschläge absetzt. Und für uns wird es immer normaler werden, dass diese Grossraubtiere zur heimischen Fauna gehören wie auch Marder, Füchse oder Luchse.
Stiftung KORA – Raubtierökologie und Wildtiermanagement
KORA, mit Sitz in Muri bei Bern, plant, leitet und koordiniert Forschungsprojekte, die sich mit der Ökologie der Raubtiere in der modernen Kulturlandschaft und mit der Koexistenz von Mensch und Raubtier befassen. Ziele der KORA-Projekte sind die Erhaltung und das Management der Raubtiere, um ihr langfristiges Überleben zu gewähren. Ihre lösungsorientierten Projekte tragen auch zur Konfliktregelung bei.
Wichtigster Auftraggeber von KORA ist das Bundesamt für Umwelt BAFU, das für die nach eidgenössischem Gesetz geschützten Grossraubtiere verantwortlich ist. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit den Jagdverwaltungen der Kantone und der Wildhut.
Monitoring
Alle Meldungen – Sichtungen von Wanderern oder Wildhütern, Fotos von Spuren oder Kot, Risse, … – kommen in die Datenbank von KORA, und zwar schweizweit. Auch Proben über genetische Nachweise wie Speichel- oder Kotproben gelangen zuerst an KORA. Deren Fachleute schicken diese, anonymisiert, an ein Labor. Dort wird festgestellt, um welche Tierart es sich handelt und bei einem Wolf, aus welcher Population er stammt. Bei genug gutem DNA-Material kann sogar Geschlecht und Individuum bestimmt werden. Die Resultate gehen wiederum an die Stiftung, welche danach die Kantone informiert.
Telemetrie und Fotofallen
Bei Telemetrie-Projekten werden Tiere mithilfe von Wildtierfallen eingefangen, betäubt und mit einem GPS-Halsband ausgestattet. Durch den grossen Aufwand geschieht dies aber nicht allzu häufig. Stattdessen werden vermehrt Fotofallen installiert. Gerade Luchse lassen sich anhand ihres Fellmusters gut voneinander unterscheiden, sodass die Bilder der Kameras wertvolle Anhaltspunkte zu den einzelnen Tieren liefern.
www.kora.ch
INFO
Whatsapp-Gruppe des Berner Bauern Verbands «Berner Grossraubtierinfo»
Hier werden Informationen vom Berner Jagdinspektorat über Grossraubtiersichtungen zeitnah weitergeleitet und auf einer Karte abgebildet. Anmeldung: Senden Sie eine Whatsapp-Nachricht mit Ihrem Vornamen und Namen an die Nummer 079 601 32 30.