Beispiel: Fondue. Es bestand aus Gruyère und Vacherin. Zwei Freiburger Käseköstlichkeiten, die zur vollendeten Harmonie verschmelzen wollen. Sämigkeit ist das Wort, das nur diese Kombination beschreibt. Dann kamen andere auf die Idee, ihre kläglichen Käsesorten in einen Topf zu kippen und zuzusehen, was passiert, wenn man diese schmilzt. Ich kann es Ihnen sagen: kein Fondue. Ein Fondue ist Gruyère und Vacherin und das ist und war gut. Seit Menschengedenken. Meine Güte, weshalb regt man sich hier in diesen Zeilen so über Auswüchse im Fondue-Caquelon auf? Was hat dieser Autor nur? Er hat recht. Mischungen verschiedenster Käsesorten, beigemischte Zutaten wie Tomaten, Trüffel. Wohin führt dieser Weg? Zu einem Fondue aus Edamer, verfeinert mit einigen Hechtstücklein und raffiniert gewürzt mit einer Handvoll Gummibärchen? Doch nun eilig zurück zur Feststellung, dass früher alles besser war. Oft ist das, was noch ist, nur darum geblieben, weil es eben gut ist. Sie ahnen es, zum Beispiel das Fondue mit Gruyère und Vacherin.
Das gewagt provokante Beispiel verdeutlicht, wie stark unsere Wahrnehmung von unserem Umfeld abhängt. Menschliche Erinnerungen können Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern miteinbeziehen. Runden wir auf:
Erinnerungen über ein Jahrhundert. Persönlich geprägt aus all jenen Ereignissen, die der Familie besonders in Erinnerung geblieben sind. Mir als Romand – Sie ahnen es – etwa die formvollendet perfekte Zusammenstellung eines Fondue Moitié-Moitié bestehend aus jungem, mittlerem und reifem Gruyère, jungem, mittlerem und reifem Vacherin. Die perfekte Mischung und der perfekte Käse? Familiengeheimnis.
Doch wechseln wir nun vom Tisch mit den dreizackigen Gabeln hinaus ins Freie. Auch Wetterextreme werden oft innerhalb dieses Jahrhunderts verglichen. Da humpelt der Vergleich, noch bevor er steht. Denn das Wetter bezeichnet den aktuellen Ist-Zustand, wohingegen das Klima eine Zeitspanne einschliesst. Hierzu ein Exkurs, der auf der Website der ESA, der European Space Agency, zu finden ist: «Bei unseren täglichen Wetterbetrachtungen beziehen wir das uns durch Eltern, Grosseltern und vielleicht noch Urgrosseltern übermittelte Klima mit ein. Menschliche Erinnerungen vollziehen sich also vor einem etwa einhundertjährigen Horizont. Natürlich war früher alles besser. Doch über Abweichungen kann man nur urteilen, wenn man den Normalzustand kennt. Für diesen Blick reichen jedoch selbst Jahrhunderte nicht aus. Die Erde existiert seit etwa 4,6 Milliarden Jahren. Die Klimageschichte unseres Planeten ist eine Geschichte der natürlichen Klimaschwankungen. Und in der langen Klimageschichte war das Warmklima das vorherrschende Klima, sozusagen der Normalzustand der Erde. Dieser Normalzustand mit Temperaturen um 20 bis 25 Grad Celsius zeichnete sich mit bis zu 10 Grad höheren Erdmitteltemperaturen aus. Heute liegt dieser Wert bei 15 Grad Celsius. Es ist also – gemessen am Normalzustand der Erde – gegenwärtig ziemlich kalt auf diesem Planeten.»
In einem Denkmodell setzen wir das Alter der Erde gleich einem Jahr. Die Klimageschichte unseres Planeten, die wir aus vielen Funden und Indizien kennen, füllt im Modelljahr dann den Abschnitt von Anfang März bis zum 31. Dezember.
Der Mensch erscheint auf dieser Zeitskala am 31. Dezember gegen 23.00 Uhr. Erst weit nach 23.59 Uhr – seit etwa 200 Jahren – übt er Einfluss auf das Klima des Planeten aus. Der Homo sapiens konnte also bislang nur wenige Sekunden Klimageschichte beeinflussen. Um diese letzten Sekunden aber richtig einordnen zu können, sollten wir mit der Klimageschichte unseres Planeten wenigstens ein paar Tage, wenn nicht Wochen zurückgehen. Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird kaum Gegenwart oder Zukunft verstehen können. Wenig bewusst ist uns die Tatsache, dass wir – trotz steigender Temperaturen – erdgeschichtlich gesehen in einem Eiszeitalter leben. Es ist nicht das erste und wird auch nicht das letzte Eiszeitalter sein. Das sind Abschnitte der Erdgeschichte, in denen die mittlere Temperatur so weit absank, dass gewaltige Flächen mit einem dicken Eispanzer überzogen wurden sowie Dauerfrostböden und Meereis auftraten.
Diese Eigenschaften treffen auch auf die heutige Erde zu: Gegenwärtig sind rund 16 Mio. km² der Landoberfläche unter Inlandeis und Gletschern begraben. Das sind fast 11 % des Festlandes. Wird der – teilweise bis weit über 1500 m mächtige – Dauerfrostboden in Eurasien und Nordamerika hinzugerechnet, so sind etwa 37 Mio. km² der Landflächen vereist. Das ist nahezu ein Viertel der Festlandsfläche.
Aus der Erdgeschichte ist bekannt, dass in den letzten 950 Millionen Jahren mindestens sechs bedeutende Eiszeitalter auftraten. Jede dieser Perioden ist durch einen wellenartigen Wechsel von Kaltzeiten (sehr grosse Gebiete der Erde sind vereist) und Warmzeiten (ein kleiner Teil der Erde ist vereist) gekennzeichnet. Das jüngste Eiszeitalter begann vor etwa zwei Millionen Jahren und dauert bis heute an.
Sind nun also all die Klimadaten nicht viel mehr als eine Knoblauchzehe im Fondue? Oh nein. All diese Daten sind der Forschung bekannt. Wenn also die Klimaerwärmung angesprochen wird, dann als Abweichung zum Normalzustand. Und das beschleunigt Entwicklungen. Wir haben es geschafft, in einer Sekunde alles ins Wanken zu bringen. Dabei sterben Arten aus. Wie die Dinosaurier einst – und, wer weiss, ich selbst auch bald, wenn ich mich nicht irgendwann den neuen Fondue-Varianten stelle. Ob nun früher alles besser war oder halt doch nur gut, spielt mit Blick auf die ganzen klimatischen Veränderungen aber dennoch eine Rolle. Vor der Industrialisierung war das Leben mühsam, der Hunger und die Armut vielerorts gross. Was man aber wusste, ist, wie man mit wenig viel herausholen kann. Wolle wärmt, es gibt Gemüsearten, die winterhart sind, und vieles mehr. Klimabewusstsein bedeutet so gesehen auch, sich an manches zurückzuerinnern, das früher eben schon gut war, und es nicht fraglos mit etwas Neuem zu ersetzen. Eine Zeitung statt ein Handydisplay, ein Gemüsegarten statt eine Steinwüste rund ums Haus und, Achtung, jetzt kommt das grosse Gabelklopfen auf dem Tisch: das gute alte Fondue Moitié-Moitié.