Um 8 Uhr am Morgen schöpft Daniela Teuscher gerade die letzten Ziegenkäsli aus der Molke. Seit drei Stunden sind sie und ihr Mann Fritz auf den Beinen. Melken, Misten, Milch verarbeiten – «es sind volle Tage», bestätigt sie. Oftmals ist erst gegen 21 Uhr Feierabend, auch wenn der Wecker schon wieder um 5 in der Früh klingelt. Schon seit 43 Jahren bestösst Fritz Teuscher mit seinen Eltern und mit Bruder Res zusammen die Alp Stierenmoos auf 1383 Meter über Meer, nordwestlich des Ochsen, dem mit 2188m höchsten Berg der Gantrischkette.
Familie Teuscher – geprägt vom Schicksal
Vor 16 Jahren, Anfang August 2006, besuchte Daniela Teuscher, damals noch ledig, ihre Freundin Kathrin Wüthrich. Diese bewirtschaftete gerade zum ersten Mal mit ihrem Mann die Alp Schwefelberg. Als Fritz Teuscher zu Wüthrichs hinüberkam, um Mist abzuladen, erblickte er die Besucherin. «Er kippte und kippte und schaute dabei nur mich an», erzählt seine Frau schmunzelnd. «Wir mussten danach alles wieder auf den Anhänger schaufeln.» Bald einmal besuchte die junge Frau nicht nur ihre Freundin im Schwefelberg, sondern bog immer öfters rechts ab – zu Fritz ins Stierenmoos. Zwei Jahre später heiratete das Paar. Es folgten harte Jahre und ein schwerer Schlag: Die drei Söhne Marcel, Tobias und Adrian kamen alle zu früh auf die Welt. Der Mittlere so früh, dass er die Geburt nicht überlebte. Seine beiden Brüder haben bis heute Mühe zu lernen und werden daheim im Tal durch Heilpädagogen, Ergotherapie und Psychomotorik gefördert. «Wir haben schon viel erlebt. Aber wir haben zwei wunderbare Buben, gesund und zwäg», betont Daniela Teuscher.
Alpschooling
Den Schulunterricht übernimmt die Familie in den Alpmonaten selbst. Auf der kleinen Terrasse steht das eigens aufgebaute «Schueuhüsi». Es bietet Platz für den 2.- und den 6.-Klässler sowie eine Lehrerin. Dieses Jahr unterrichtet Tonja Stöckli die beiden. Die junge Landwirtin ist eigentlich als landwirtschaftliche Angestellte mit Teuschers auf der Alp. «Mir gefällt das Schulische», sagt sie. Gerne übernahm sie darum das «Homeschooling» − oder in diesem Fall das «Alpschooling» − für die Familie. «Wir geniessen es, dass wir die Kinder den ganzen Sommer über bei uns haben», sagt Teuscher. Sie gingen hier lieber zur Schule als unten im Tal. Für die Eltern und Tonja Stöckli ist es aber ein zusätzlicher Aufwand: «Wir suchen jemanden, der Freude hätte, unsere Kinder zu unterrichten.» Dies könne auch eine pensionierte Lehrerin sein oder jemand ohne Diplom. Teuscher ist trotz allen Herausforderungen dankbar und positiv eingestellt: «Die Tage sind lang und streng, aber man kann es auch schön zusammen haben.» Und schon geht es weiter mit der Arbeit: Der Selbstbedienungskühlschrank beim Skilift Schwefelberg muss aufgefüllt werden, Kunden haben sich angemeldet, um Käse abzuholen. Derweil kommt Leben ins «Schueuhüsi» – Marcel und Adrian fliegen die Rutschbahn hinunter und setzen sich hinter die Hefte – mit schönster Aussicht über die Rüschegger Wälder.
Familie Wüthrich – eine seltene Krankheit
Auf der anderen Seite des Schwefelbergbads, beim Kieswerk, ist die Familie Wüth-rich zu finden. Seit 17 Jahren bestossen Kathrin und Daniel Wüthrich im Auftrag der Alpgenossenschaft Schwefelberg die Weiden am immer steiler werdenden Ochsen. Knapp 360 Gusti und Kühe aus 35 verschiedenen Betrieben weiden hier – nicht immer kehren alle wieder heil heim. Steinschlag, Absturz oder Blitze gehören zu den grössten Gefahren für die ihnen anvertrauten Rinder. «Es ist ein sehr strenger Job, aber es ist auch schön – wir sind dankbar», sagt Kathrin Wüthrich. Daniel ergänzt: «‹z Bärg› gehen ist eine Krankheit; wenn es einen erwischt, kann man nicht mehr aufhören damit.»
Lehrkraft ist Teil der Familie
Die drei Kinder Ueli, Martina und Markus packen fleissig mit an. Wie bei Teuschers gehört auch hier der Schulunterricht zum Alltag. «Die Kinder lernen sogar motivierter als daheim im Schangnau», erzählen die Eltern. Die Zusammenarbeit mit der heimischen Schule sei gut, die Unterstützung der Schulleitung und der Klassenlehrer gross. «Wir haben das Glück, dass wir in der Scheune drüben zwei Zimmer zur Schule und Turnhalle umfunktionieren konnten», so Daniel Wüthrich. Den Unterricht ihrer Kinder können die beiden zeitlich nicht selbst stemmen. «Die Schule ist uns aber wichtig», betonen sie. Darum stellt die Familie seit inzwischen neun Jahren jeden Sommer einen Lehrer oder eine Lehrerin an. Fünf Jahre lang in Zusammenarbeit mit Teuschers, danach wurde der Platz zu eng und der Betreuungsaufwand zu gross. Heuer ist der frisch diplomierte Lehrer Simon Dahinden aus Zürich angereist. Mit allen Lehrkräften der letzten Jahre steht die Familie immer noch in Kontakt. Kein Wunder: Sie wohnen, essen, schlafen mit den Wüthrichs unter einem Dach und werden schnell Teil der Familie. Dennoch: Es erfordert viel Organisation. «Wir brauchen noch viermal einen Lehrer, dann wäre das Thema abgehäkelt», kalkuliert «Danu» Wüthrich schmunzelnd. Der Jüngste ist in der 6., die Mittlere in der 7. und der Älteste in der 9. Klasse. Letzterer geht von hier aus schnuppern, mal in der Region Gantrisch, mal daheim im Schangnau, «wie es grad passt». «Der Weg zum gewünschten Ziel ist lang, aber wenn der Wille gross ist, dann geht es», sinniert die Mutter der drei Heranwachsenden und fügt an: «Hier oben braucht es Herzblut.» Auch das lernen die Kinder in ihrer Alpschule – die ebenso eine Lebensschule ist.