Der Bauer im Türstenzug

Der Bauer im Türstenzug

Ein Meisterbauer von der Granegg bei Mamishaus trug seinem treuen Knecht Hans einst an einem klirrend kalten Wintermorgen kurz nach Weihnachten auf, er möge den Braunen vor den Wagen spannen, denn er wolle mit seiner Familie einen Festtagsbesuch in Schwarzenburg machen. Da er wusste, dass die wilde Jagd in den Raunächten bisweilen Durchlass begehrte, ermahnte er seinen Dienstmann vor der Abfahrt: «Hans, wenn es heute Nacht an das Tenntor poltert, dann säume nicht. Spring hurtig auf und entriegle die Tore, so dass der Durchgang frei ist. Denn wenn der Türst freie Bahn begehrt, dann verstellt man ihm lieber nicht den Weg.»

Der Knecht nickte verständig und winkte seinem ziehenden Meister nach. Insgeheim belächelte er freilich das abergläubische Gehabe des alten Bauern. Er hielt nichts von dem Gerede der alten Leute über den wilden Jäger Türst und dessen winterliche Geisterzüge. Als er an diesem Abend den Stall besorgt hatte, brachte er alle Habe rund um den Hof unter Dach und Fach, denn am Himmel zeichnete sich das Herannahen eines Unwetters ab. Hans wärmte sich noch einen Augenblick an der glosenden Glut der Feuerstatt und kroch alsdann auf sein Lager.

Mitten in der Nacht schreckte er jedoch aus seinen Träumen hoch. Draussen fuhr der Sturmwind heulend um das Gebälk und rüttelte ungestüm an den Fensterläden. Das Schindeldach über dem Kopf des verschlafenen Knechtes knisterte unter den ungebärdigen Böen. Da krachte es unvermittelt am Tenntor, als hätte eine gewaltige Faust dagegen geschlagen. Die Warnung seines Meisters kam Hans sogleich in den Sinn. Aber der vierschrötige Mann schüttelte bloss missmutig den Kopf. Was sollte an diesem albernen Geschwätz schon dran sein? Ächzend wälzte er sich auf seinem Strohsack herum und versuchte, wieder in den Schlaf zu finden.

Abermals lärmte es von der Scheune her-auf. Irgendjemand schien mit aller Entschlossenheit gegen das schwere Tor zu poltern. Aber wieder ignorierte der Knecht das Zeichen. Doch als plötzlich eine dumpfe Stimme durch das Winseln des Sturmes erscholl, zuckte der Mann in seiner Schlafkammer unwillkürlich zusammen.

«Tue uf die Tür, tue uf die Tür. Dr Türscht u siys Gjeg müesse itz derdür.»

Der Knecht bekreuzigte sich. Hastig rappelte er sich hoch und wankte die Leiter hinab in das Tenn. Eisig fuhr der Wintersturm durch alle Spalten und Ritzen des alten Bauernhauses. Etwas unschlüssig, aber die gestrenge Stimme seines Meisters im Ohr, machte sich der Mann am schweren Sperrbalken des Tenntors zu schaffen. Kaum hatte er die Verriegelung gelöst, schwangen die wuchtigen Torflügel krachend auf. Hans taumelte zur Seite und gewahrte einen mächtigen Rappen, der soeben mit kräftigem Tritt über die Schwelle setzte. Ein unheimlicher Reiter in einem langen Mantel und mit einem ausladenden Federhut sass darauf und warf ihm einen lodernden Blick zu.

Ein stotterndes Gebet auf den Lippen sprang der Knecht zum hinteren Tor und riss es auf.

Keinen Augenblick zu spät, denn hinter ihm drängte bereits eine ganze Reiterschar in den Raum herein. Sie trugen allesamt rabenschwarze Kutten und ihre Totengesichter waren von weiten Kapuzen bedeckt. Die Augen der Pferde glühten wie geisterhafte Kohlen, und der Dampf, der stossweise aus ihren Nüstern fuhr, stank nach Pest und Schwefel. Keine der gespenstischen Gestalten würdigte den stummen Zuschauer auch nur eines Blickes – und darüber war dieser nicht unfroh. Im Gefolge der Berittenen hechelte eine Meute wilder Hunde daher. Zum Glück hielt sich dieser furchterregende Zug nicht lange auf. Der Anführer hatte das Tenn bereits wieder verlassen und seine Gefolgschaft folgte ihm dichtauf. Ungläubig behielt Hans die davonreitende Gruppe noch eine Weile im Auge, doch bald verschwand sie im Dunkel der Nacht.

Erleichtert wollte der Knecht daraufhin die Tore wieder schliessen, da kam noch eine Gestalt durch das Tenn getaumelt und mühte sich eifrig, mit der Nachhut der Wilden Jagd Schritt zu halten. Hans stockte abermals das Blut in den Adern. Wen er da vor sich durch die Dreschkammer wanken sah, war kein geringerer als sein guter Meister, den er am Vorabend mit Ross und Wagen hatte davonziehen sehen. Kreideweiss und mit erloschenen Augen plagte er sich vorwärts. Wie war es denn möglich, dass dieser unbescholtene Mann in dieser schrecklichen Nacht dem wilden Jäger und seiner geisterhaften Schar das Geleit geben musste? War er in dieser Nacht etwa von den Lebenden dahingeschieden?

Mit taubem Schädel und halb gelähmt vor Kummer erhob sich der Knecht am nächsten Morgen früh, um im Stall das Nötige zu besorgen. Da traf ihn beinahe der Schlag, als er von draussen unvermittelt das Knirschen von Wagenrädern im Schnee vernahm. Kurz darauf trat der Meisterbauer in den Stall. Matt und zerschlagen sah er zwar aus, aber keineswegs wie ein Gespenst.

«Was machst du für ein Gesicht, Hans?», schnarrte der Eingetretene.

«Verzeiht, Meister», stammelte Hans und rang immer noch um seine Haltung. «Ich freue mich, Euch wohlbehalten wieder zu sehen. Ich glaubte schon, ich…».

«Was ist los?», hielt der Meisterbauer unwirsch dagegen. «Mir geht es gut, habe nur grauenhaft schlecht geschlafen letzte Nacht.»

Hans nötigte sich ein Lächeln ab und wandte sich wieder der Kuh zu, die zu melken er gerade im Begriffe war. «Schlecht geschlafen, ja?», murmelte er verwirrt.

«Ja, es war eine seltsame Nacht», bestätigte der Bauer. «Als ich heute Morgen erwachte, hatte ich das Gefühl, ich sei die ganze Nacht draussen im Schnee herumgewandert. Meine alten Knochen ächzten und stöhnten, als ich mich erhob.»

Gemeinsam verrichteten sie die Stallarbeit und rüsteten den ganzen Tag lang Brennholz. Der Bauer schien sich wieder zu erholen und erheiterte seinen Dienstmann auf ungewohnte Weise immer wieder mit unbeschwerten Scherzworten.

Als sie das Nachtessen zu sich genommen hatten, legte sich der Bauer früh nieder. Mitten in der Nacht kam die Meisterin aufgebracht in die Knechtekammer gesprungen und forderte Hans auf, sich anzuziehen und nach Schwarzenburg zu reiten, um den Doktor herzubringen.

Drei Tage lang kämpfte der alte Bauer gegen den Tod an. Doch noch ehe die Neujahrsglocken läuteten, trug man ihn zu Wahlern auf den Kirchhof.

Hans wusste nun, dass er sich nicht getäuscht hatte, als er seinen Meister im Geisterzug des Türst hatte wandeln sehen.

Frei nacherzählt nach Karl Grunder

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Der Bauer im Türstenzug

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