Nichts ändert sich so schnell wie die Rahmenbedingungen der Schweizer Landwirtschaft. Kaum ist eine Agrarvorlage gültig, zückt das Parlament eine neue. Die Bauern kommen kaum nach, ihre Äcker anders zu bepflügen, ihre Stallungen umzubauen oder ihre Administration zu erweitern, schon gelten neue Regelungen. Um es mit einer etwas spitzen Mistgabel zu formulieren: Die Agrarpolitik ändert sich schneller als die digitale Welt. Doch die Natur kann das nicht. Sie wächst und gedeiht je nach Wetter, sie braucht Geduld und Fürsorge. Werte, die auf die schnelllebige Zeit prallen wie zwei Ehringerkühe im Kampfring. Die Landwirtschaft ist unter Dauerbeschuss geraten, ohne die Zeit zu erhalten, darauf reagieren zu können. Abwehr ist die Reaktion, Stillstand das Resultat.
Festgefahren
Und darin versteht sich der Bauernstand. Die Vielzahl an eidgenössischen Vorlagen der vergangenen drei Jahre haben die Landwirte allesamt mit Erfolg bekämpft. Unlängst hat Bauernpräsident Markus Ritter (die Mitte) den Berner Bauernverband an dessen Mitgliederversammlung auf die bevorstehenden Abstimmungen eingeschworen. Dieser Mann, der fast jede Vorlage gewinnt, versteht es, einen ganzen Saal in Ekstase zu bringen. Klare Worte und eine nicht minder spitze Mistgabel, mit der er auch schon mal umherfuchtelt. Wenn der Bauernstand zusammensteht, gibt es kein Vorbeikommen. Auf der einen Seite stehen die Steuerzahler, die sich als Auftraggeber der Landwirtschaft verstehen und Forderungen stellen. Auf der anderen Seite die Bauern als Versorger des Landes, die nichts mehr als die Existenz sichern wollen. Dazwischen klafft ein Schützengraben des gegenseitigen Unverständnisses. Darin fliesst der zähflüssige Frust und verhindert ein Vorwärtskommen sämtlicher Anliegen. Man darf mit Blick auf die letzten Jahre feststellen: Dieser Weg verebbt im Nirgendwo.
Gemeinsamer Nenner
Nun kann man ein allgemeines Umdenken fordern oder predigtgleich ein gegenseitiges Verständnis. Doch das wären Floskeln und Worthülsen mit dem Nährstoffgehalt einer Wassermelone. Die wahre Chance liegt im Klimawandel. Das mag erneut absurd klingen, birgt aber viel Potenzial. Die Bauern sind die landeseigene Ernährungsbranche. Sie haben schon ohne Agrarpolitik genug Hoffnungen und Ängste auszustehen. Wetterextreme bedrohen Ernten, das Wohl der Tiere oder die Futtermittelgrundlage. Es gibt wohl kaum einen Bauer, der nicht alles daran setzt, seine Scholle und seine Tiere so gesund wie möglich zu halten. Bauern lieben die Natur. Auf der anderen Seite fordert der Klimawandel Anpassungen, und zwar dringend. Der Natur zuliebe. Wenn es also einen gemeinsamen Nenner zwischen den beiden Seiten des Schützengrabens gibt, dann ist es jener, dass beide die Natur erhalten und die Umwelt schützen wollen. Aus diesem gemeinsamen Nenner können Lösungen entstehen. Jüngstes Beispiel: Der Berner Bauernverband will gemeinsam mit dem Kanton Bern Klima, Umwelt und Ernährung verbinden. Hier treffen linke Forderungen auf rechte Wünsche, bürgerliche Existenzängste auf grüne Lösungen. Kein Papiertiger für die Kravatten-Lobby in Bundesbern, sondern ein Projekt, das draussen auf der Weidefläche direkt vom Landwirt entwickelt werden darf. Konkrete Massnahmen draussen auf dem Land.
Punktuell statt pauschal
Statt von oben diktiert wird es von Bauern entwickelt. Ein Ansatz, der viele punktuelle Lösungen verspricht. Schritt für Schritt kann die Landwirtschaft ökologischer werden, ohne dass Massnahmen gefordert werden, deren Investitionsbedarf kaum je ein Bauer stemmen kann. Die Steuerzahler erkennen mit diesem Ansatz auch ihre Aufgaben. Sie sollten endlich begreifen, dass weder der südafrikanische Rotwein für drei Franken noch die Schweineplätzli aus Norddeutschland für vier Franken auch nur ansatzweise sinnvolle Investitionen sind. Sie konkurrieren mit ungleichlangen Mistgabeln die Schweizer Landwirtschaft und hinterlassen einen CO2-Fussabdruck der Grösse «Yeti». Regionale Produkte und ein klares Bekenntnis zu frischen Lebensmitteln ist Pflicht. Doch bevor die Moralapostelkeule weiter geschwungen wird, sollten die Konsequenzen verständlich werden. Ja, es wird teurer im Portemonnaie. Kein anderes Völklein gibt so wenig für Lebensmittel aus wie Frau und Herr Schweizer. Um es erneut mit der spitzen Mistgabel zu sagen: Den Franzosen ist gutes Essen einfach deutlich mehr wert als uns. Hier kann man umdenken, ganz gleich mit welchem Finanzplan man durchs Leben geht, es ist in der Schweiz für jedes Budget möglich, sich regional zu ernähren. Das wäre eine echte Hilfe für die Schweizer Landwirtschaft, gleich aus zwei Gründen: Erstens stärkt dies den Absatzmarkt und zweitens fördert das indirekt die ökologischen Verbesserungen im ganzen Agrarsektor.
Steuern steuern
Gelingt das nicht, wird die Politik eines Tages gefordert sein, CO2-intensive Importe zusätzlich zu besteuern und so die Landwirte zu schützen. Spätestens wenn das Jahr 2050 näher rückt und die CO2-Bilanz halbiert sein sollte. Der gegenwärtige Stillstand kommt uns teuer zu stehen. Es wird mehr Energie für Abstimmungen und Schützenkämpfe aufgebracht als für konkrete Massnahmen. Der einst sehr weitreichenden Agrarpolitik 2022 (AP22+) hat die Bauernlobby dermassen die Flügel gestutzt, dass sie kaum noch der Rede wert ist. Weshalb hat die Landwirtschaft das gemacht? Aus Angst, aus einer Opferhaltung heraus. Wenn man immer angegriffen wird, sieht man sich gezwungen, sich zu verteidigen. Das liegt in der Natur von uns Menschen. Es ist der Politik nicht gelungen, mit der Landwirtschaft an Lösungen zu arbeiten, sondern nur gegen sie. Klar ist das kein homogenes Segment und es gibt viele Bauern, die für die AP22+ gewesen wären und eine andere Form der Bewirtschaftung proklamieren. Sie wären nichts mehr und nichts weniger als die ersten, die nach dem neuen Prinzip, wie es der Berner Bauernverband handhaben will, bereits funktionieren. Sie können aufzeigen, wo man bereits heute biologische Mittel hat und welche Pestizide oder Fungizide ersetzen, sie können aufzeigen, wie Sojaanbau in der Schweiz funktionieren kann. Ihre Felder sind die konkreten Versuchslabore. Ihre Resultate sind die Mutmacher für viele Bauernfamilien, die es sich schlicht nicht leisten können, mal einfach so etwas auszuprobieren. Dazu leben etliche zu nah am Existenzminimum. Auch hier wäre die Agrarpolitik mit etwas Willen in der Lage, Anreize zu schaffen, wie etwa beim Heizungsersatz.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. In der Landwirtschaft aber leider auch viele Mistgabeln. Die Ängste überwiegen seit Jahren die Hoffnung. Notabene ausgerechnet, wenn es um unsere Nahrung und Natur geht. Im Schach nennt man das bewusste Hergeben der Spielfigur «Bauer» ein Bauernopfer. Genau das geschieht seit Langem in der Politik. Aufgrund der Direktzahlungssituation wird auf diesen Sektor unverhältnismässig mehr eingedroschen als auf viele andere, wie etwa den Finanzplatz. Was aber nützt ein volles Konto, wenn der Kühlschrank leer bleibt? Der Landwirtschaft wird zu wenig Wertschätzung entgegengebracht; zu wenig Vertrauen, sich entwickeln zu dürfen. Wenn die Politik endlich den Schützengraben zuschütten würde, würde man merken, dass die Liebe zur Natur das ist, was alle verbindet. Hier ist das fruchtbare Terrain für Lösungen. Bauernopfer haben noch nie ein Schachspiel entschieden.