Es ist ein verhangener, kühler Freitagnachmittag. Regen fällt in dicken Bindfäden vom Himmel. Schon wieder Regen, die ganze Woche schon, und die vorherige Woche auch. Das entspricht so gar nicht dem Wetter, bei welchem Leute normalerweise diesen Ort aufsuchen. Dieser Ort, so still, so anders, so speziell. So speziell, dass ihn einige gar als Kraftort bezeichnen.
«Anders» und «speziell» schien auch der Mensch zu sein, der sich hier vor 19 Jahren seine Existenz aufbaute. Während Misstrauen, verfestigte Stereotypen und Angst vor dem Unbekannten den Start erheblich erschwerten, sind Kanet und sein Restaurant heute gar nicht so weit davon entfernt, ein Kraftort für Menschen von nah und fern zu werden – oder sind sie es schon längst?
Leidenschaft ist alles
Das Restaurant Bütschelegg ist sehr gut besucht. In der Küche herrscht Hochbetrieb. Der Mittagsservice geht langsam zu Ende, die letzten à-la-carte-Menus huschen über den Pass – Cordon Bleu wechselt sich mit Curry ab. In der Gaststube wärmen sich Bauarbeiter, Familien mit Kindern sowie Seniorinnen und Senioren gleichermassen auf und geniessen ihr frisch zubereitetes Mittagessen. Am Stammtisch wird eifrig das aktuelle Dorfgeschehen diskutiert; hier ein bedächtiges Kopfschütteln, da ein herzhafter Lacher. Vom «Stübli» nebenan erklingt Ländler, ein Geburtstag wird in geselliger Runde gefeiert.
Hinter den Kulissen geht es zu und her wie im Bienenstock. Die Abwaschmaschine brummt und dampft vor sich hin, während Unmengen an Geschirr durch sie hindurch rattern. Einer behält trotz all dem den Überblick und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Für Kanet ist das hier alles seit vielen Jahren Alltag – sieben Tage die Woche; oft hat der Tag zwölf und mehr Arbeitsstunden. «Du musst dafür brennen», meint Kanet mit einem gütigen Lächeln, während er sich, kurz nachdem er Platz genommen hat, schon wieder erhebt, um der Autorin einen hausgemachten Eistee zu servieren. Mit den Worten «Den musst du probieren!» verschwindet er, vermutlich zum x-ten Mal an diesem Tag, hinter dem Tresen.
Der Eistee kommt in einer simplen Glasflasche daher, serviert auf Eis und Zitrone. Er schmeckt süss, aber nicht zu süss. Erfrischend, aber nicht zu kalt. Das Rezept? Bleibt geheim. Nur so viel verrät Kanet: «Einfach und unkompliziert.»
Gastgeber mit Herz – und Sonderstatus
Einfach und unkompliziert ist das Motto, welchem sich Kanet vor 19 Jahren verschrieben hat, als er und seine Frau das Restaurant Bütschelegg übernahmen. Auch wenn sein Weg bei Weitem nicht immer einfach und unkompliziert war.
Mit 15 Jahren kam Seevaratnam Thekalolibawan, wie Kanet eigentlich heisst, allein in die Schweiz – damals noch mit der Hoffnung, eines Tages wieder in die Heimat, nach Sri Lanka, zurückzukehren. Kanet fand Anschluss, bekam einen Ausbildungsplatz und absolvierte im damaligen Restaurant Schönau, welches zum Tierpark Dählhölzli gehörte, die Ausbildung zum Koch. Von da an war für ihn klar: Irgendwann wird er sich den Traum vom eigenen Restaurant erfüllen. So arbeitete Kanet lange Zeit in vielen Restaurants der Stadt Bern, unter anderem im Aarberger-hof und im Rosengarten. Nach und nach baute er sich sein eigenes Umfeld auf, und spätestens, als er seine eigene Familie gründete, sah er sich mit der Frage konfrontiert: Was bedeutet eigentlich Heimat? Ist Heimat untrennbar mit der Herkunft, dem Geburtsort, verknüpft oder ist Heimat nicht vielmehr ein Gefühl? Ein Gefühl des Nachhausekommens, ein Gefühl der Geborgenheit, ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Vor allem Letzteres musste sich Kanet mehrmals von Neuem aufbauen – auch damals, als er das Restaurant Bütschelegg übernahm. «Direkte Anfeindungen und Diskriminierung habe ich nicht erfahren», erinnert sich Kanet. «Aber ich erfuhr … naja, eine gewisse Sonderbehandlung.»
Eine tamilische Familie übernimmt die Bütschelegg; damals gab dies einiges zu reden im Dorf. Gross war das Misstrauen, und «der Fremde» musste sich erst einmal beweisen. «Damals starteten wir zu dritt, hinzu kamen einige wenige Aushilfen. Wir mussten jeden Rappen zweimal umdrehen – oft blieb das Restaurant leer, aber wir hatten trotzdem bis um zehn Uhr abends geöffnet.» Während es im Sommer mit dem Terrassenbetrieb langsam besser lief, fehlten im Winter nach wie vor die Gäste – denn nun stellte auch noch das Wetter die Familie auf eine harte Probe.
Dies gehört nun der Vergangenheit an. Das Restaurant Bütschelegg ist im Sommer wie Winter regelmässig ausgebucht. Trotz all den harten Erfahrungen blieb Kanet immer ein zugewandter Mensch, denn er ist Gastgeber aus vollem Herzen. Immer wieder unterbricht er unser Interview, um Gäste zu verabschieden und willkommen zu heissen, oder auch nur, um kurz mit einem Stammgast zu witzeln. «Tue Gutes und dir widerfährt Gutes» ist für ihn mehr als bloss ein schön klingendes Sprichwort. Und: «Gib niemals deinen Traum auf.»
Ein Fest fürs Volk
«Hätten unsere Gäste nicht an uns geglaubt, würden ich und meine Familie heute nicht da stehen, wo wir sind», betont Kanet. Aus diesem Grund sei es nun Zeit, etwas zurückzugeben. «2025 feiern wir unser 20-jähriges Bestehen. Das soll ein richtiges Volksfest werden!» Das Datum ist auch bereits dick im Kalender markiert: Während zwei Tagen wird am 8. und 9. August auf der Bütschelegg gefeiert. Es wird ein Zelt aufgestellt, in dem bis zu 1000 Personen Platz finden. Zum 20-Jährigen wird es ein Menu für 20 Franken geben und für musikalische Unterhaltung wird ein DJ sorgen. «Wir wollen an diesem Wochenende feiern und einfach geniessen, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Ich habe den Schritt, das Restaurant Bütschelegg übernommen zu haben, während der ganzen Zeit nie bereut – die Bütschelegg ist Teil meiner Heimat. Auf die nächsten 20 Jahre!»