Gegen den Kommerz

Gegen den Kommerz

Über 800 Schweizer Gemüse- und Wildpflanzensamen sind bei «Artha Samen» katalogisiert und werden sorgsam vermehrt. All jene, die noch sortenecht und unverändert sind. Ohne diese Arbeit, wären sie längst von den Massenproduktionen verdrängt worden und viele ausgestorben.

Ein beruhigendes Geräusch dringt aus dem grossen Gewächshaus auf der Schwand in Münsingen. Die Melodie erinnert an ein rhythmisches Schaben. Jürg Hädrich schüttelt behutsam an einem runden Sieb, damit sich die Borretsch-Samen vom toten Zellmaterial lösen. Eine stundenlange – ein klein wenig meditativ anmutende – Handarbeit, für ein paar Duzend Samen-Packungen.

Verändertes Saatgut
Der Inhalt aber ist weitaus kostbarer, als der aufgeklebte Preis von 5,70 Franken vermuten liesse. Sortenechte Samen aus der Region. «Das bedeutet, unsere Samen sind reporduzierbar und lassen damit eine Nachzucht zu», erklärt der Experte. Das mag auf den ersten Gedanken hin logisch und selbstverständlich klingen, aber dieser Eindruck täuscht gewaltig. «Samen werden in den grossen Produktionen so präpariert, dass sie sich nicht mehr vermehren können», lautet die erstaunliche Aussage. Sie werden hybridisiert, um Eigenschaften einzugrenzen und die Züchter zu schützen. Diese Produzenten betreiben ein cleveres Marketing mit einer fatalen Auswirkung für die Natur. Hädrich stellt sein Sieb beiseite, um den folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen: «Das ist ein heftiger Eingriff in die Pflanze selbst, dazu werden Techniken verwendet, die aus meiner Sicht kaum noch etwas mit einer normalen Fortpflanzung zu tun haben. Man greift in ein Zellgefüge ein und verändert dieses.» Anfänglich waren die Saatgutanpassungen noch deutlich harmloser und dienten lediglich dazu, die Landwirtschaft produktiver zu machen. Heute dominieren die grossen Produktionsstätten mit ausgefeilten Methoden den Markt. Die Ernährungssicherheit ist in den Händen weniger gelandet; weit weg vom natürlichen Nutzen aus den Bauerngärten der Region. Wären sortenechte Samen eine Tierart, sie wären längst auf der roten Liste der bedrohten Gattungen.

Wertvoller als Gold
Schon vor 20 Jahren erkannte er diese Bedrohung. «Das war die Motivation, den Erhalt sortenechter Samen zu meiner Lebensaufgabe zu machen», erinnert er sich. Seine Sammlung ist auf über 400 Gemüse- und weitere 400 Wildpflanzensorten angewachsen. Es ist ein Schatz, der in seiner Bedeutung für Mensch und Natur noch viel wertvoller ist, als wenn man all das Gold versunkener Schiffe aus der Kolonialzeit bergen würde. Denn ohne Samen, kein Leben. Erde und Menschen sind für ihr Fortbestehen darauf angewiesen. «Der freie Zugang zum wichtigsten Kulturgut ist unterbunden, die Ernährungssicherheit ist längst von diesen Firmen abhängig», fasst er zusammen. Seine Besorgnis teilen immer mehr Menschen. Es sind jene, die Jahr für Jahr das Areal von «Artha Samen» aufsuchen, um Jungpflanzen, Blumen oder eben Samen zu kaufen. Etliche davon stammen aus dem Gantrischgebiet. «Es gibt einige regionale Besonderheiten», verrät er. Da liest man zum Beispiel den Namen «Gürbentaler Chabis». «Es gibt unzählige kleine Sorten, die in den Familien weitergegeben wurden. Bei den Bohnen etwa weiss man, dass im Gantrischgebiet jede Talschaft ihre Sorte hatte», schwärmt Hädrich über eine Zeit, in der noch niemand auf die Idee kam, den Zugang zu Samen einzuschränken.

Es lohnt sich
In Zeiten der sich verändernden klimatischen Verhältnisse rücken diese alten Sorten plötzlich und unverhofft wieder ins Rampenlicht. Statt den Kampf gegen den Klimawandel mit immer noch stärker verändertem Saatgut zu betreiben, könnte man altes Wissen aus verschiedenen geografischen Orten und Topografien nutzen. «Solche lokalen Sorten sind vielleicht etwas langsamer im Wachstum oder weniger ertragsreich, dafür aber weitaus resistenter», sagt er und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: «Sie sind zudem schmackhafter als irgendein Massenprodukt.» Dass Hädrich weiss, wovon er spricht, wird spätestens dann klar, wenn man sieht, wie viele Feldversuche, Vergleiche und Erkenntnisse er gesammelt und protokolliert hat; einige davon im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft.

Probieren erwünscht
Noch ist es ruhig beim grossen Gewächshaus, aber schon mit den ersten Frühlingsstrahlen pilgern die Menschen hin, um sich für das neue Gartenjahr einzudecken. «Das ist dann immer eine Art Genugtuung; jeder Garten, der vermehrt auf einheimische Pflanzen setzt, hilft die Biodiversität zu erhalten», freut er sich schon auf den baldigen Start. Natürlich hält er auch noch einige Tipps bereit: «Berner Butter ist eine Bohnenart, die nicht nur einzigartig gut schmeckt, sie ist zudem spätreif. Das heisst, man kann ruhig vorher noch in die Ferien und erst, wenn man heimkehrt, ernten.» Bei den Blumen spürt man sein Unverständnis für Schotterhäufen oder eintönigem Rasen: «Wenn man eine unserer Blumenmischungen säht, hat man kaum Arbeit und tut erst noch etwas Gutes für die einheimischen Insekten oder Bienen», rät Hädrich und ergänzt: «Wenn man den Wildbienen einen Leckerbissen gönnen will, dann empfehle ich die Acker-Glockenblume.» Experimentieren, ausprobieren, das macht nicht nur Spass, sondern fördert das Verständnis für die Natur und deren Zusammenhänge. «Aber allzu früh im Frühling sollte man damit nicht beginnen. Für viele Sorten ist es wichtig, erst nach den Eisheiligen nach draussen gepflanzt zu werden», bittet der Experte um etwas Geduld. Kulturpflanzen brauchen die Pflege der Menschen, sonst überleben sie nicht.
Oase Gantrisch
Bei den Wildpflanzen ist das weniger der Fall. Sie brauchen den richtigen Ort, was Boden und Besonnung angeht, mehr nicht. Die entsprechenden Samenmischungen sind definitiv farbenfroher als die Schotterpisten rund ums Haus der Gartenmuffel. Viele dieser Wildsorten stammen aus dem Gantrisch. «Eines der wenigen noch relativ ursprünglichen Gebiete. Ein wertvolles Refugium für schattige und halbschattige Pflanzen», kommentiert er. Einen Farn aus dem Gantrisch vermehrt er gerade per Sporensaat, um ihn künftig im Angebot zu haben. Eine Pflanze, die nicht existenziell bedroht ist, aber ausserhalb des Gantrischgebiets einen wichtigen Beitrag zu Biodiversität und Artenerhalt leisten kann.

Genau das ist es, was «Artha Samen» bewirken möchte: eines der grössten Wunder der Natur, wie aus einem kleinen Samen in wenigen Monaten eine lebens- und keimfähige Pflanze wird, zu bewahren. Sie sind die Gralshüter der so selten gewordenen sortenechten Samen und sorgen dafür, dass diese frei zugänlich bleiben und nicht gänzlich im Schlund der Massenproduktionen und der Gentechnologie verschwinden. Höchste Zeit für Jürg Hädrich, das Sieb wieder in die Hand zu nehmen und von Neuem eine Handvoll Borretsch zu reinigen. Der rhythmische Klang ist ein leiser und ist doch so wichtig, um dem kommerziellen Strom etwas entgegenzusetzen.

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