Die bundesrätliche Botschaft umfasst 250 Seiten. Die «Gantrisch Zeitung» hat Hans Jörg Rüegsegger, Riggisberger Landwirt, SVP-Grossrat und Präsident des Berner Bauernverbandes, zur Bedeutung der AP22+ für die Landwirte in der Region Gantrisch befragt.
Hans Jörg Rüegsegger, wie sieht der typische Gantrisch-Bauernhof aus?
Die Landwirtschaft in der Region Gan-trisch ist vielfältig; den typischen Hof unter den rund 950 Betrieben gibt es so nicht. Aber ausserhalb der Gürbetalebene sind es hauptsächlich Betriebe in der Hügel- und Bergzone mit Milchwirtschaft oder Fleischproduktion und etwas Ackerbau. Sie sind öfters von Direktzahlungen abhängig als Betriebe im Flachland.
Was ändert sich mit der AP22+ für diese Betriebe?
Neu sind Produktionssystembeiträge mit 24 Massnahmen. Das heisst: Es wird 24 neue Programme geben. Nur wer bei diesen mitmacht, erhält Bundesbeiträge. Die Herausforderung für uns wird sein, etwas darin zu finden, was realisierbar ist. Nicht jeder Betrieb kann etwa Weiden vergrössern oder die Kühe immer draussen haben, weil zum Beispiel die Parzellen nicht direkt am Haus sind. Leider helfen diese 24 Programme nur den wenigsten Betrieben.
Was bedeutet dies für die kleineren Betriebe?
Die Kleinen sind stärker von Produktpreisen abhängig. Mit der AP22+ werden aber wohl noch mehr Bauern ihren Betrieb auf Nebenerwerb umstellen müssen. Heute haben wir in der Tal- und Hügelzone Vergleichseinkommen von 46’000 bis 65’000 Franken pro Bauernfamilie, inklusive Direktzahlungen. Davon kann eine Familie gerade so leben. In der Bergzone sind es im Schnitt 38’900 Franken. Das reicht ohne Nebenerwerb nicht. Wird die AP22+ so umgesetzt, müssen Betriebe extensivieren. Wir gehen davon aus, dass unsere Betriebe weiter geschwächt werden.
Was würde unseren Landwirten helfen?
Wir sind für eine nachhaltigere Landwirtschaft und wollen gern Stickstoff und Phosphor absenken. Der Berner Bauernverband ist aber der Meinung, dass es sinnvollere Ansätze gibt als neue Programme, die vor allem Geldumlagerung zur Folge haben. Diese bewirken hauptsächlich, dass die Bauernfamilien alle vier Jahre versuchen, die Häkchen möglichst an den richtigen Orten zu setzen. Wir hingegen möchten das System anders gestalten, etwa mit regionalen Strategien, um die Wertschöpfung regional zu behalten.
Wie könnte solch eine regionale Strategie aussehen?
Die Verantwortung sollte bei den Betrieben liegen und nicht in der Politik. Uns schwebt ein System vor, bei dem die landwirtschaftlichen Schulen und Berater eine Region coachen, so dass man mehr zusammenkommt. Betriebe sollen durch einfache Kontrollmechanismen und Werkzeuge wirtschaftlicher und gesünder werden. Ein weiterer Punkt wäre die Strukturverbesserung: Landzusammenlegungen, Landumlegungen. Dann würde das Potential der Region begutachtet: Wie viel Gemüse, Fleisch, Getreide können wir produzieren, das dann auch hierbleibt? Wie können wir uns vermehrt selber versorgen und so die Wertschöpfung hier behalten? Dies trifft auch auf die Nährstoffe zu. Diejenigen, die eine Überproduktion an Nährstoffen haben, etwa Schweinemastbetriebe, könnten diesen Dünger an andere verkaufen, die ihn aktuell zum Teil im Ausland einkaufen, weil man nichts voneinander weiss und es keine gemeinsame Strategie gibt, die wirklich nachhaltig ist.
Wäre eine stärkere Zusammenarbeit einfach umzusetzen?
Vor über 20 Jahren wurde der ökologische Leistungsnachweis eingeführt. Wir sind das einzige Land der Welt, das eine Fruchtfolge und eine Nährstoffbilanz hat. Das Grundgerüst steht schon. Ich sehe für die Umsetzung grosses Potential, etwa in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Gantrisch, den Gemeinden, oder als Pilotprojekt des Kantons Bern. Eigentlich braucht es nur jemanden, der die Initiative ergreift und dieses Projekt betreut, zum Beispiel im Rahmen einer Masterarbeit. Schlaue Köpfe dafür gibt es genug.
Der Berner Bauernverband kritisiert die AP22+ auch in diesem Zusammenhang. Warum?
Mit der AP22+ würden wir den Selbstversorgungsgrad senken. Der Berner Bauernverband möchte aber durch regionale Zusammenarbeit das Gegenteil erreichen. Wir wollen nicht durch billige Importe den ärmeren Ländern Nahrung und Wasser wegnehmen. Der Schweizerische Bauernverband sowie der Berner Bauernverband haben darum die Botschaft des Bundesrates mit Auflagen zurückgewiesen.