Ein Bahnhof mit Hürden

Ein Bahnhof mit Hürden

Rampen, Lifte und genügend hohe Perronkanten: 1132 von rund 1800 Stationen in der Schweiz gelten als barrierefrei – nicht so Thurnen. Hier gehören Hürden zum Bahnhof: für Menschen mit Behinderungen, für Eltern mit Kinderwagen, für ältere Reisende. Und auch politisch – weil die BLS die Modernisierung an umstrittene Projekte koppelt.

Endlich, mögen sich viele gedacht haben, als die BLS vor rund zwei Jahren das Planungsgenehmigungsverfahren auflegte. Denn ihr Bahnhof ist in die Jahre gekommen und für manch Reisende ist der Ein- und Ausstieg seit jeher eine Hürde.

Bevölkerung verärgert

Die BLS will den Umbau des Bahnhofs mit weiteren Vorhaben verknüpfen: einer Kreuzungs- und einer Abstellanlage. Diese sollen zwar dem Betrieb dienen – stabile Fahrpläne, kürzere Anfahrtswege für Unterhaltszüge und damit weniger Lärm an anderer Stelle. Doch in Mühle-thurnen überwiegen die Nachteile: befürchteter nächtlicher Lärm, Lichtemissionen, mehr geschlossene Barrieren am Tag. Manche Landwirte müssten Land abtreten. Am meisten aber stört die Bevölkerung, dass die dringend nötige Sanierung an diese Projekte gekoppelt ist. Denn diese haben zahlreiche Einsprachen ausgelöst – auch vom Gemeinderat. Dass der Umbau wie angekündigt bis 2028 umgesetzt wird, hält Gemeindepräsident Urs Haslebacher für unrealistisch: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Rechtshändel so schnell abgeschlossen sind.» Besonders ärgerlich: Schon seit Anfang 2024 müsste der Bahnhof barrierefrei sein – das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG trat am 1. Januar 2004 mit einer Übergangsfrist von 20 Jahren in Kraft. Man wolle «mit der und nicht gegen die Bevölkerung bauen», habe es in Dialoggesprächen vonseiten BLS geheissen, erinnert sich Anwohner und Petitionär Jürg Röthlisberger. Rund ein Jahr später, am Infoabend Mitte August, habe die Stimmung ein ganz anderes Bild gezeichnet. Weil Einsprechende lange nichts mehr gehört hätten und Gutachten teilweise spät abgegeben worden seien, sei die Bevölkerung verärgert. «Inzwischen nehme ich eine geschlossene Front gegen die Unterhaltsanlage wahr», sagt Röthlisberger.

«Die Situation ist gesetzeswidrig»

Während über die Kreuzungs- und Abstellanlage gestritten wird, bleibt der Bahnhof im alten Zustand. Immerhin: Die BLS zieht die Fahrbahnerneuerung nun vor und will im September damit beginnen. Doch Reisende mit Gehbehinderung müssen weiterhin jede Fahrt mindestens zwei Stunden vorher anmelden, damit ein Shuttledienst sie nach Kaufdorf oder Burgi-stein bringt. Gemäss BLS gibt es nur «vereinzelt solche Anfragen» – genaue Zahlen werden nicht kommuniziert. Unabhängig davon kritisieren Behindertenorganisationen die Verzögerung scharf. «Ausser Thurnen sind sämtliche Gürbetal-Bahnhöfe BehiG-konform», sagt Stefan Kunz, Spezialist öV bei der Behindertenkonferenz Kanton Bern BKKB. 20 Jahre lang hätten die Bahnbetreiber Zeit für die Umsetzung gehabt. Bei anderen Stationen sei die Verzögerung nachvollziehbar, etwa beim gleichzeitigen Bau einer neuen Unterführung, hier jedoch nicht, denn die Bahnhofmodernisierung habe nicht direkt mit der Kreuzungs- und Abstellanlage zu tun: «Wir begrüssen ein Herausschieben klar nicht.» Auch der Dachverband Inclusion Handicap sieht die Lage kritisch: Barrierefreie Bahnhöfe seien Grundlage für Teilhabe und Selbstbestimmung. Übergangslösungen wie Shuttles griffen zu stark in die Autonomie ein. «Die aktuelle Situation ist gesetzeswidrig. Projekte zur Umsetzung der Barrierefreiheit müssen nun priorisiert werden.»

Nächster Halt: Einspracheverhandlungen

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) verweist auf die Verantwortung der Transportunternehmen: Die Fristen seien der Branche seit langem bekannt, Sanktionen sehe das Gesetz nicht vor. Dass BehiG-Umsetzungen im Rahmen anderer Projekte erfolgen, sei üblich und spare Kosten. «Grundsätzlich unterstützt das BAV diese Praxis», schreibt es. Die BLS verweist auf Synergien: «Dies kommt unter anderem den Anwohnenden und den Fahrgästen zu Gute: Konkret gibt es so zum Beispiel weniger oft Lärm wegen Nachtarbeiten und weniger oft Bahnersatz, da die Arbeiten aufeinander abgestimmt und zu einem grossen Teil gleichzeitig erledigt werden können. Synergien führen zudem zu weniger Baustellenverkehr. Durch dieses Bündeln können letztlich auch Kosten eingespart werden – das ist für uns als subventioniertes Unternehmen, das verpflichtet ist, haushälterisch mit Steuergeldern umzugehen, ein wichtiges Argument, die Projekte gleichzeitig zu realisieren.» Als nächstes nimmt das Unternehmen die Einspracheverhandlungen auf. «Ab wann wir die Arbeiten umsetzen können, hängt vom Ausgang der Gespräche ab.» Für die Bevölkerung in Thurnen bedeutet das: weiter warten – und hoffen, dass der stufenlose Bahnhof bald Realität wird.

Teilen Sie diesen Bereich

Beitragstitel
Ein Bahnhof mit Hürden

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt