Chatz u Muus

Chatz u Muus

Sagen der Region

Als die Sonne noch hinter dem Guggershorn aufging und die Sense von Laupen aufwärts in die Berge floss, suchte eine verheerende Mäuseplage das obere Gürbetal heim. Hier frassen die unersättlichen Tierchen das Korn bereits von den Ähren, bevor es ausgereift war, und sie nagten sich gierig durch Holz, Erde und Stein hindurch, um sich Zugang in Keller und Speicher zu verschaffen. Vergeblich versuchten die Menschen der Plage Herr zu werden.

Eine Hungersnot von nie gesehenem Ausmass bedrohte die Bauerndörfer am Fuss der Stockhornkette. Als in Wattenwil die letzten Käselaibe, Brote und Speckschwarten den gefrässigen Graupelzchen zum Opfer zu fallen drohten, schickten die Dorfbewohner nach einer weisen alten Frau, die tief im Gurnigelwald hauste und seltene Künste beherrschte. Die Einsiedlerin überreichte der Gesandtschaft ein stinkendes Bündel getrockneter Wurzeln vom Mondkraut und hiess sie, geradewegs nach Hause zurückzukehren und den Buschen an einer Schnur hinter sich her zu schleifen. Aber auf gar keinen Fall dürften sie sich dabei umwenden und hinter sich blicken, komme da, was wolle. Alles Weitere werde sich geben.

Auf dem Rückweg bemerkten die verdutzten Leute, wie es im Gebüsch hinter ihnen fortwährend raschelte, fauchte und zischte. Da erfasste die Leute aus Wattenwil ein Unbehagen und sie konnten sich kaum zurückhalten, einen Blick auf die Ursache dieser seltsamen Geräusche zu werfen. Sie erinnerten sich indes der Rede der alten Waldhäuslerin und hielten ihre Neugier im Zaum. Weil das Treiben hinter ihrem Rücken immer lauter wurde, packte sie schliesslich das bare Entsetzen und sie gaben hurtig Fersengeld. Es gelang ihnen jedoch nicht, die unheimlichen Waldwesen abzuschütteln, deren Anzahl mit fortschreitender Flucht noch immer zunahm. Umso mehr stellte sich dann ein grosses Staunen ein, als sich endlich der Waldrand auftat und der Dorfanger in Sichtweite kam. Hier gestatteten sich die Dorfbewohner einen Blick zurück. Eine Schar fremdartiger Tiere mit grauschwarz gestreiftem Fell hatte sich hinter ihnen im Gestrüpp versammelt, mit buschigen Schwänzen, spitzen Öhrchen und nadelfeinen Raubtierzähnen. Die mauzende Meute verharrte unvermittelt, und jedes der sonderbaren Tierchen sträubte in angespannter Erwartung die Nackenhaare. Dann schossen sie allesamt wie von der Schleuder geschnellt davon und eröffneten eine wilde Jagd zwischen Häusern und Scheuern, Speichern und Ställen. Die unbekannten Geschöpfe aus dem Wald waren nämlich wilde Katzen – und die Unmenge von Mäusen, die sie in den Dörfern der Menschen vorfanden, liess sie in einen regelrechten Blutrausch verfallen. Den gefrässigen Nagern verging das Schmausen in den Vorratskellern rasch. Unerbittlich wurden sie nun von den Katzen verfolgt und zur Strecke gebracht. Bald fand das unsägliche Gewimmel der Mäuse ein Ende. Und überall räkelten sich vollgefressene Katzen in warmen windstillen Winkeln. Nur eine der samtpfotigen Jägerinnen war noch nicht auf ihre Kosten gekommen. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach Beute. Da flitzte just die letzte Maus davon, welche die Katzen bis zuletzt erfolgreich an der Nase herumgeführt hatte. Doch nun galt es auch für sie ernst, und sie hielt in Windeseile auf das nahe Gebirge zu. Das hungrige Büsi zögerte keinen Augenblick und nahm die Verfolgung auf. Staubvomboden rasten die beiden Tiere den gewundenen Steig zum Walalpgrat hoch, der heute die «Chrümelwägen» genannt wird. In Todesangst sprang die Maus immer weiter und weiter hinauf, die Katze sass ihr mit gespreizten Krallen im Nacken. Als sie endlich die Berghöhe erreicht hatten, waren beide Tiere am Ende ihrer Kräfte. Anstatt sich auf ihr Opfer zu werfen, sank die Katze ermattet in das Gras. Aber auch die Maus tat keinen Wank mehr und blieb liegen.

Als die Dämmerung hereinbrach, verhauchten die zwei ungleichen Tiere ihren letzten Atemzug. Die gnadenlose Hetzjagd bis auf den Grat war zu viel gewesen für sie.

Über Nacht fiel dann ein unerwarteter Zauber auf die verblichenen Geschöpfe, denn am nächsten Morgen waren die Gestalten von Jägerin und Beute zu Stein erstarrt. Heute noch kann die eigenwillige Felsformation zwischen Möntschelenspitz und Stockhorn bestaunt werden. Sinnigerweise heisst sie «Chatz u Muus» und erinnert an jene Zeit, als die ersten Katzen aus dem Wald zu den Menschen des Gürbetals kamen. Die Mondwurz wird seit jenen Tagen aber auch Katzenwurz genannt, oder Baldrian, und sie übt noch immer eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das Katzenvolk aus.

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Chatz u Muus

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