Mystische Übergänge

Mystische Übergänge

Im Gantrisch ist noch viel urtümliche Natur zu finden. Diese kann ein Übergang in die Welt der Geister und Naturkräfte sein, weiss Andreas Sommer. An einem seiner liebsten «Übergangsorte» erzählt er von Grenzen und Verbindungen.

Zwischen Mitteland und den Freiburger Voralpen gelegen, diente die urwüchsige und nur mager erschlossene Erhöhung schon vor Hunderten von Jahren als Übergang vom unteren zum oberen Guggisberg.

Auf der Nordseite, der Berner Seite, dominieren moosige, moorige und bewaldete Gebiete, und der Schnee bleibt an vielen Stellen bis in den Frühsommer hinein liegen. Anders sieht es auf der Südseite aus, zum Freiburgischen hin: Sonnig, weich und offen präsentieren sich die Bergzüge.

Unten bildet die kalte Sense die Kantonsgrenze. Der Horbühlpass wurde nie zur Verkehrsachse wie einige Kilometer weiter östlich der Gurnigelpass. Früher waren es Hirten, die auf der Suche nach grünen Weiden hier vorbeikamen, heute sind es Erholungssuchende in Wanderschuhen auf dem Gantrisch Panoramaweg.

Mystik und Magie im Grenzgebiet
«Die Gegend um den Horbühlpass ist mein Lieblingsgebiet für Sagenwanderungen», schwärmt Andreas Sommer. Die ganze Region Gantrisch sei ruhiger, geerdeter, und man finde noch knorzige Natur. So etwa beim Cheeserenloch, unweit der Passhöhe, auf der der weitgereiste Sagenkenner aus Niederscherli heute steht. «Das Grenzland um die Sense ist voller Übergänge», so Sommer. Bern wurde reformiert, Freiburg blieb katholisch, wo die mystische Volksmagie länger weiterlebte. «Darum kennt man im Sensebezirk noch mehr Sagen als im Bernbiet», erklärt er. Was in reformierten Regionen noch an Geschichten kursiert, sei eher nüchtern und trocken überliefert, im Gegensatz zu den geheimnisvollen, auch magischen Erzählungen in katholisch geprägten Gegenden. Zudem diente das wilde obere Sensegebiet lange als Zufluchtsort vor der Obrigkeit. Fahrende oder Hexen etwa konnten sich hier «verschlüüfen».

Von der Sahara zum Gantrisch
Heute ist die Aussicht getrübt: Saharasand liegt in der Luft. Andreas Sommer reiste vom Längenberg in die Sahara – aus der Wüste zurück in die Region Gantrisch brachte er nicht Sand mit, sondern ein fundiertes Wissen um die Kraft von Sagen. «Die Tuareg leben noch richtiggehend in einer Sagenwelt», erzählt Sommer von seiner Zeit mit den Nomaden. In den stillen Wüstennächten seien sie ums Feuer gesessen und hätten sich Geschichten erzählt. Dabei bleibt es jedoch nicht: Der Glaube an Naturgeister prägt auch alltägliche Entscheide, wie etwa, wo entlang man reisen sollte. «Ein magisches Weltbild und Geschichtenerzählen bedingen einander», betont Andreas Sommer. Darum kehrte er nicht nur mit Geschichten heim, sondern auch mit einem feinen Gespür für Übergänge in eine mystisch-magische Wirklichkeit. «Es war wie ein Heimkommen», beschreibt er die Zeit, in der sich ihm der Horizont für Sagengestalten und Zauberhaftes erweiterte.

Die Natur beschäftigt den zweifachen Vater nicht nur in Geschichten. Er studierte Umweltbildung und Naturnahen Tourismus und merkte bald, dass der Glaube an Naturkräfte und Sagenwesen auch zu einem ökologischeren Weltbild führt. «Bei den Tuareg erlebte ich, wie die Natur viel stärker respektiert wurde», schaut er zurück. Die Verbindung zur Natur sei in unserer Gesellschaft den meisten abhandengekommen. «Unsere Vorfahren haben mit Naturkräften kommuniziert, bei ihnen Rat geholt», führt er aus, «heute beutet man sie aus.» Mit «Vorfahren» meint er die Menschen von der Jungsteinzeit bis zu den Kelten. Die Christianisierung brachte ein patriarchalisches Weltbild, während vorher eher in Zyklen, im Mütterlichen, Nährenden gedacht wurde. Der Feudalismus stellte den Menschen noch stärker über die Natur, führte ein klares Herrschaftsbild ein. Die Aufklärung tat ihr übriges, um den Menschen von Tier und Natur zu entfremden. «Heute gibt es wieder eine Gegenbewegung», freut sich Andreas Sommer. Ihm begegne immer wieder eine Sehnsucht, ein Zug zurück zu den Wurzeln, zum Organischen. Dort sieht er seine Aufgabe: An Sagen anknüpfen, Jung und Alt zu einer tieferen Verbindung zur Natur verhelfen.

Geschichten als Einladung
Sagen erzählt Andreas Sommer am liebsten dort, wo sie auch spielen: draussen in der Natur. Regelmässig führt er Gruppen an magische Orte. Etwa in die Beatushöhlen, aber auch immer wieder in den Naturpark Gantrisch. Und er erzählt nicht nur davon: «Ich lebe in dieser Welt!» Sehen tue er zwar weder Zwerge noch Geister, aber ihm sei stets bewusst, dass es das gäbe. «Naturkräfte oder -geister kommunizieren nicht nur verbal», erklärt er. «Manchmal ist es mehr ein Erahnen, ein inneres Gefühl». Tiere lebten auf der gleichen Ebene wie Naturgeister und können darum Vermittler sein, so Sommer. Oft warnten sie Menschen – wenn diese es nur merken würden. «Wer auf Tiere hört, ist im Vorteil», bekräftigt er. Als Beispiel führt er den «Weissen Hirsch» an, der als Begründer der Grasburg gilt, aber auch in vielen andern europäischen Sagen vorkommt. Dann gibt es Erzählungen von Kühen, die in den Rauhnächten reden können, oder die biblische Geschichte der Eselin, die im Gegensatz zu ihrem Besitzer einen Engel sieht und daraufhin sprechen kann. Hunde und besonders Katzen seien «Hexentiere» und oft tagelang weg.

Auch privat leben Andreas Sommer und seine Familie in Verbindung zur Natur. Seine Frau und die Kinder essen aus eigener Überzeugung kein Fleisch, er selbst kaum. Im Eriz ist die Familie in einem alten Bauernhaus daheim: Sie heizen mit Holz, kochen auf dem Feuer. «Bin ich den Elementen ausgesetzt, fühle ich mich am lebendigsten», bestätigt Sommer. Er sucht bewusst immer wieder den Kontakt zum Boden, übernachtet oft im Zelt. Die unsichtbare Welt der Kräfte und Geister sei immer da, sagt er. Die Frage aber sei: «Wann klinken wir uns ein?» Dieses Einklinken, der Übergang, werde durch verschiedene Faktoren begünstig oder erschwert. Es müssen nicht alle am Boden schlafen oder mit Tieren reden. Aber alle können ihre Sinne schärfen für die Verbindung zur Natur. Das Geschichtenerzählen ist ein Weg, die Menschen dazu einzuladen.
www.animahelvetia.ch

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Mystische Übergänge

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