Lowkey überfordert

Lowkey überfordert

Jugendwörter ändern sich so rasant, dass bereits jüngere Erwachsene sich schnell wie hinter dem Mond fühlen. Die Wörter verwirren, verbinden und vereinen Gefühle, die beschäftigen und für den Zeitgeist der jungen Menschen stehen. Das war in den 1970er-Jahren nicht anders als in den 2000ern oder heute.

«Liebe Community, die Entscheidung für das Jugendwort 2025 steht fest. Gewonnen hat: ‹Das Crazy›. Dieser Ausdruck wird verwendet, um zu verdeutlichen, dass etwas krass ist. Zum Beispiel, wenn ich jetzt noch eine Rapkarriere starten würde», sagt Susanne Daubner im Oktober in der Deutschen Tagesschau. Als die Sendung vorbei ist und die Kamera rauszoomt, setzt die Moderatorin eine schwarze Sonnenbrille auf und bewegt sich zu einem Remix aus Jugendwörtern. Seit einigen Jahren verkündet Daubner mit viel Selbstironie und grosser Beliebtheit, besonders bei den Jungen, das Jugendwort des Jahres. Sie hat unter ihnen mittlerweile einen gewissen «Fame», oder anders gesagt: schon fast Kultstatus.

Jugendwörter kommen und gehen. Einige bleiben kurz und verschwinden dann ebenso schnell wieder, andere schleichen sich so tief in den Sprachgebrauch ein, bis sie sich plötzlich über verschiedene Generationen hinweg etablieren. Denken Sie nur an «nice», «chillen», oder «mega». Letztere gelten heute als ganz normale Ausdrücke oder werden zumindest selbstverständlich verstanden, waren aber bereits in den 1990ern «in». Oder wie man laut meiner Mutter in den 1980ern sagte: «hip».

Jugendwörter drücken oft ein Lebensgefühl aus. Und eben, sie sind so schnell-lebig wie unsere Zeit. Erst gerade meinte meine jüngere 23-jährige Schwester: «Gestern habe ich mit 19-Jährigen gechillt. Wir konnten voll gut reden.» Dann fügte sie hinzu: «Aber sie sprachen so ein bisschen in ihrem Jugendslang – ich habe mich wie eine Mutter gefühlt.» Ich musste lachen. Und hielt dann kurz inne. Dann muss ich mich ja wie eine Grossmutter fühlen, auch wenn ich noch zur Gen Z gezählt werde. Der Jugend-slang wandelt sich so schnell, dass sogar junge Erwachsene nicht immer gleich mit diesem Tempo mithalten können.

So sind heute bei mir und in meinem Umfeld Dinge, die unangenehm peinlich und zum Fremdschämen sind, in der Umgangssprache längst «cringe», etwas Langweiliges ist «lame», merkwürdige und fragwürdige Dinge sind «weird». Wissen wir gerade nicht weiter oder sind verwirrt, sind wir «lost», etwas krasses ist «crazy», abstossende Eigenschaften an Menschen geben uns den «Ick». Diese Wörter waren bei den Jugendlichen aber schon vor ein paar Jahren im Trend. Aus ihren Augen sind einige davon womöglich schon wieder veraltet oder peinlich, während sie neue benutzen, die ich vielleicht erst in ein paar Jahren verstehen werde.

Verbreiteten sich die Wörter früher wahrscheinlich mehrheitlich durch Musik, Zeitschriften oder Filme, passiert dies heute vor allem über Tiktok, Insta und Co. Womit wahrscheinlich auch die Schnelllebigkeit und die raschen Wechsel erklärt werden können.

Von Social Media kenne und verstehe ich beispielsweise viele Wörter, die ich selbst aber nicht gebrauchen  und sonst auch nicht kennen würde. Haben Sie schon mal von «rawdogging», «sus», «sheesh», «doomscrolling», «rizz», «delulu», «it’s giving», «drip» oder «lowkey» gehört? Falls nicht, finden Sie auf der nächsten Seite eine Liste mit den Übersetzungen. Und ja, alle Wörter sind Anglizismen. Ein Blick auf die Slangwörter der 1980er und 1990er aber zeigt eine ähnliche, wenn nicht ganz so ausgeprägte Tendenz.

Beim Schreiben dieses Texts fand ich mich plötzlich wieder, wie ich ein moderneres Wort für «nice» googeln musste. «Stabil» oder «lit» kam dabei heraus. Generationen vor mir würden dazu wohl eher cool oder krass sagen, bei den älteren Generationen hiesse es vielleicht sogar flott oder lässig. So wie sie es in ihrer Jugend zu sagen pflegten. Damals, als man statt «omg» noch «Migottseu» oder später «wahnsinnig» zum Staunen brauchte, im Ausgang noch «z tanz» oder in die Disco «schwofen» ging oder, als man für etwas Aufregendes noch «abgefahren» oder «flippig» sagte.

Und wer jetzt denkt, die Slangwörter von heute haben nichts mehr mit richtiger Sprache zu tun, tut den jungen Menschen unrecht. Denn die Wörter mögen auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewohnt wirken, vor allem wenn man sie nicht versteht. Doch sind sie viel mehr als blosse, coole Wörter. Sie bieten Identität, ermöglichen Abgrenzung, geben Trends wieder, verbinden, drücken Gefühle aus, die genau so auf Deutsch oft fehlen, und spiegeln somit den aktuellen Zeitgeist wider. So benennt man plötzlich ungesunde Beziehungsmuster (red flags), hat ein Wort für die Gegenbewegung zur ständigen Reizüberflutung, das Nichts-Machen (rawdogging), oder umschreibt Probleme, die heutzutage viele von uns haben (doomscrolling). Somit wird Bewusstsein für bestimmte Themen geschaffen, die junge Menschen im Alltag erleben oder fühlen. Vielleicht – und mit grosser Wahrscheinlichkeit – werden die heutigen Wörter in zwanzig Jahren für die nächste Jugend völlig «cringe» sein. Nur heisst das dann vermutlich anders, angepasst an den zukünftigen Zeitgeist. Ein paar dieser Ausdrücke werden die Jungen dann noch verstehen, einige ganz selbstverständlich brauchen – so wie wir heute «mega» sagen – und andere nur noch ironisch mit einem Augenzwinkern über die Lippen bringen. So bleibt Sprache ein stetiges, aber flexibles System, das mit der Zeit geht – und uns alle auch mal «lowkey» überfordert.

 

Erklärung der Wörter
Seit 2020 gewannen die Wörter lost, cringe, smash, goofy und Aura. Das Jugendwort des Jahres wird seit 2008 jährlich von einer Jury des Langenscheidt-Verlags ausgewählt. Seit 2020 können Jugendliche aber gleich selbst abstimmen, welches Wort gewinnen soll.

Das Crazy – ähnlich wie «aha, cool» oder «okay». Drückt Sprachlosigkeit aus und wird verwendet, wenn jemand nicht weiss, was sagen, keine Lust hat zu antworten oder höflich bleiben will.
Rawdogging – bewusstes Nichtstun als Widerstand gegen die ständige Ablenkung (zum Beispiel im Flugzeug oder Zug).
Sus – verdächtig oder komisch. Abkürzung für das englische Wort suspect oder suspicious.
Sheesh – Ausruf der Überraschung, des Erstaunens oder der Anerkennung. Ähnlich wie «wow» oder «krass».
Doomscrolling – Exzessives Konsumieren negativer Nachrichten und endloses Scrollen in Nachrichtenfeeds, die über Krisen, Katastrophen und beängstigende Ereignisse berichten.
Rizz – Abgeleitet vom Wort «Charisma», steht für Charme, Stil und die Fähigkeit, zu flirten. Steht auch für die Ausstrahlung und das Selbstbewusstsein einer Person, die sie für andere attraktiv machen.
Delulu – Stammt vom englischen Wort «delusional» ab, was wahnhaft bedeutet. Beschreibt, dass jemand unrealistische oder übertriebene Vorstellungen hat. Wird oft ironisch verwendet.
It’s giving… – Wenn etwas eine bestimmte Stimmung, ein bestimmtes Gefühl oder einen bestimmten Stil hervorruft, ähnlich wie eine Erinnerung.
Lowkey – ein bisschen, unauffällig, unterschwellig. Wird benutzt, um etwas auszudrücken, ohne dabei dramatisch zu wirken (z. B. bei Gefühlen).
Smash – Wenn man eine Person attraktiv und anziehend findet.
Goofy – tollpatschig, komisch und ungeschickt.
Aura – Wird oft im Lustigen für die Ausstrahlung verwendet, im Negativen wie Positiven
(z. B. minus 500 Aura für dich).
Drip – Ein cooler und stylischer Auftritt. Braucht man zum Loben eines besonders gut aussehenden Outfits.
Hip –Slang aus den 80ern. Bedeutet angesagt, schick oder trendig.

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