Eine davon ist Jasmine Montel-Cambou. Die Verkehrsingenieurin ist Chefin des Technischen Diensts in der Gemeinde Villars-sur-Glâne. «Ja, ich gehe an die Gemeindeversammlung und stimme ab», sagt sie ohne lange Umschweife. Das verwundert bei der gebürtigen Französin eigentlich nicht. Sie engagiert sich im Dorf in verschiedenen Gremien und steht beruflich mitten in den kantonalen und kommunalen Themen. «Das ist aber nicht bei allen so», weiss Gemeindeammann Daniel Bürdel (die Mitte). Auf die Stimmbeteiligung haben die 120 Wahlplaffeierinnen und -plaffeier nämlich nur wenig Einfluss, stellt die Gemeinde fest.
Eine Chance
Das ist aber noch lange kein Grund, das Wahl- und Stimmrecht für Ausländerinnen und Ausländer in Frage zu stellen. «Ich vermute, es ist wie bei den Schweizern auch: es sind oft dieselben, die immer wählen oder eben nie zur Urne gehen. Genau so könnte es auch bei den Ausländerinnen und Ausländern sein», vermutet Montel-Cambou. Es geht also viel mehr darum, sich zu interessieren und zu informieren. Doch auch das ist gar nicht so einfach. Die technischen Begriffe und das teilweise etwas schwerfällige Deutsch in den Vorlagen fordert die Sprachkenntnisse der Ausländer zusätzlich heraus. «Wenn man beispielsweise als französischsprechende Person Deutsch lernt, kommen dann noch all die Dialekte dazu», fügt die Ingenieurin hinzu. Vorlagen sind zwar in Standardsprache gehalten, es ist aber mit den entsprechenden Begriffen auch wieder so wie wenn man eine neue Sprache lernt, die – ehrlicherweise – nicht mal alle Schweizerinnen und Schweizer gänzlich verstehen. Wenn die Unterschiede zwischen jenen mit dem roten Pass und jenen, die seit langem hier leben und arbeiten, so verschwindend klein sind, darf die Frage gestattet sein, ob es fair ist, diese 1,4 Mio. Menschen einfach aussen vor zu lassen. «An diesem System zu partizipieren ist eine Chance, sich noch besser mit dem Ort, an dem man lebt, auseinanderzusetzen», ist sich Montel-Cambou sicher.
Eine Diskussion
Schon landet das Gespräch mitten in der Aussenwahrnehmung des Schweizer Systems. «Es ist schon so, dass man in Frankreich feststellt, dass die Schweizer oft wählen und abstimmen», weiss sie. In der «Grande Nation» ist es geradezu selten, dass die Menschen zur Urne gehen dürfen. Eigentlich nur, wenn Präsidenten oder die Legislative zur Wahl stehen. «Deshalb gefällt mir vor allen Dingen, dass man dank Initiativen und Referenden oder eben auf kommunaler Ebene an Gemeindeversammmlungen auch bei sachpolitischen Themen mitentscheiden kann», klingt die Plaffeierin motiviert. Sie schätzt das System und ist sich sicher: «Im Grunde genommen beneiden uns viele darum.» Es mag dann schon fast frustrierend sein, wenn man lange in der Schweiz lebt (Ausweis C), Familie hat, sich in Vereinen engagiert, Freunde trifft, eigentlich genauso so lebt wie die Nachbarschaft – bis auf das eine: Man darf in einem Land, in dem das Volk das letze Wort hat, seine Stimme nicht abgeben. «Ich habe das Glück, dass ich in Plaffeien zumindest kommunal genau gleich bin, kantonal oder national fühlt es sich manchmal aber schon ein wenig so an, als wäre man ein Mensch zweiter Klasse», gibt Montel-Cambou zu. Klar könnte man argumentieren, dass die Wahlbeteiligung vermutlich keine allzu grossen Sprünge machen würde. Klar könnte man ausführen, dass nicht alle das System verstehen. Klar könnte man die sprachlichen Barrieren vorbringen. Man könnte es aber auch so sehen wie die Französin: «Es ändert in den Köpfen der Menschen viel, sie sind nun wirklich vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Das gibt ein gutes Gefühl und vielleicht auch den Ansporn, die Sprache noch besser zu lernen und sich für die politischen Prozesse noch mehr zu interessieren.»
Ein Hauch Französisch
In Plaffeien wird die Wahlberechtigung für Niederlassungsberechtigte nicht hinterfragt. «Das Wahl- und Stimmrecht für Ausländerinnen und Ausländer mit C-Bewilligung existiert bei uns im Kanton Freiburg schon länger und es ist kein Thema, daran etwas zu ändern», sagt der Gemeindeammann. Damit ist der Kanton Freiburg in guter Gesellschaft mit einer schweizweiten Entwicklung, die eigentlich von Westen her stammt. Wie «avenir suisse» in einer grossangelegten Befragung festgestellt hat, sind es vor allen Dingen die Westschweizer Gemeinden, die dieses System im grossen Stil einführen. Die Kantone Jura und Neuenburg kennen es gar auf kantonaler Ebene. Das passive Wahlrecht, also jenes, das auch erlaubt sich für ein Amt zur Verfügung zu stellen, kannten im Jahr 2015 etwas mehr als 600 Gemeinden. 575 davon stammen aus der Romandie. Rückgängig machen will diesen Weg keine einzige der Gemeinden. Politische Ämter, die durch Ausländerinnen und Ausländer besetzt sind, gibt es bisher rund 200. Der Kanton Bern hat im Jahr 2020 äusserst knapp eine Ausweitung des kommunalen Wahl- und Stimmrechts auf die niederlassungsberechtigten Ausländer abgelehnt. Zum wiederholten Male. Es sei nicht die Idee, mittels Stimmrecht Integration zu betreiben, monierten die Bürgerlichen damals im Parlament. Für Montel-Cambou hingegen ist es fast ein wenig umgekehrt: «Wer Teil des Systems ist, bemüht sich darum, kann mitmachen und sich dadurch noch besser integrieren», ist sie sich sicher. Angesichts der Tatsache, dass diese Menschen ja bereits niederlassungsberechtigt sind, einen Beruf ausüben und Steuern zahlen, dürfte man fast davon ausgehen, dass die Integration schon weit fortgeschritten ist und es viel mehr die logische Konsequenz wäre. «Plaffeien ist gut erschlossen, der Weg nach Freiburg ist nicht allzu weit und das zieht gerade Familien in die schöne Landschaft», sagt Verkehrsexpertin Montel-Cambou. Plaffeien ist eben beides: eine Gemeinde mit einem ausgeprägten «Seislerdütsch» und es werden auch mal ein par Brocken französisch gesprochen. Plaffeien ist bodenständig, reich an Traditionen sowie Brauchtum und offen, seine Bevölkerung als Ganzes miteinzubeziehen.
Jasmine Montel-Cambou ist froh über die Stimm- und Wahlmöglichkeit, bedauert aber, dass die Schweiz als Ganzes nicht schon viel weiter ist. Das vielgelobte Schweizer System hat noch ein paar Lücken. Eine davon betrifft ihre Kinder. Alle haben den französischen Pass. Die beiden Jüngsten haben zudem den Schweizer Pass jedoch den französischen Namen der Mutter, der älteste hingegen hat nur den französischen Pass dafür aber den Schweizer Namen des Vaters. «Das findet meine Familie in Frankreich ziemlich witzig und wir eigentlich auch», lacht sie. Integriert sind sie trotzdem. Auch dank Plaffeien. Denn das Wahl- und Stimmrecht für niederlassungsberechtigte Ausländer sorgt für Integration dank Partizipation. Auf Bundesebene aber, warten ausländische Staatsbürger noch darauf, wenngleich die Kantone die Möglichkeiten hätten. Diese Menschen geniessen derzeit keinerlei politische Rechte.