Gegensätze im Advent

Gegensätze im Advent

Tag und Nacht, Licht und Finsternis sind Urbilder für die Gegensätzlichkeiten des Lebens. In früheren Zeiten war die Nacht die Sphäre des Todes, und der Schlaf wurde als ein kleiner Tod betrachtet. Der rettende Morgen, und das Licht der Sonne erlösten den Menschen aus den Gefahren der Nacht.

Unser menschliches Dasein ist von Glück und Leid, Leben und Tod geprägt. Wie gehen wir damit um? Ein Weg des Umgangs mit schmerzhaften Realitäten ist die Verdrängung, der besonders im Kindes- und Jugendalter eine wichtige und schützende Bedeutung zukommt. 

Im Buddhismus wird versucht, die Gegensätze des Lebens aufzulösen, um eine höhere Seins-stufe zu erreichen. Ziel ist die Ausschaltung der Affekte, der Gefühlsregungen. Letztlich geht es darum, den Schmerz, der zum menschlichen Dasein gehört, zu überwinden. 

Im Christentum des Mittelalters wird das Leben als Kampf zwischen Mächten des Lichts und Mächten der Finsternis betrachtet. Gut und Böse stehen sich gegenüber, und dem Menschen fällt die Rolle zu, sich für Gott oder Teufel, Himmel oder Hölle zu entscheiden. Dieses lange im Christentum gängige Denkschema hat die Funktion, die Angst vor Leid und Tod zu bändigen, indem man sich ganz auf der richtigen und guten Seite sieht. Die Kehrseite dieses Schemas ist die Gefahr des Abtriftens in religiöse Parallelwelten und Schubladisierungen. Ausserdem wird in diesem dualistischen Denken die Angst, vor der man sich eigentlich schützen will, zur über-mächtigen Grösse: Wer nicht «gut» ist, ist
verloren. 

Weder lassen sich die Dualitäten des Lebens auflösen, noch können wir uns alles Wünschenswerte wie in einem Selbstbedienungsladen aussuchen. Das ist gut so, denn Gegensätze dienen uns als Antriebsfeder zum Lernen und Wachsen. Wir brauchen eine Vorstellung davon, was gut oder gewissenlos, schön oder schädlich, richtig oder falsch ist. Das fordert uns stets heraus, dort, wo es für uns Handlungsmöglichkeiten gibt und wo wir über genügend Ressourcen verfügn, das Gute und Schöne zu suchen.

Viele Menschen tragen tief in sich eine Sehnsucht nach Wahrheit und Gerechtigkeit. In der Sprache der Religion ist diese Sehnsucht die Suche nach Gott. In der Advents- und Weihnachtszeit feiern wir die Geburt von Jesus, was aus dem Hebräischen übersetzt Helfer und Retter bedeutet. Wir zünden Kerzen als Hoffnungslichter an, um der Dunkelheit etwas entgegenzu-setzen, denn diese ist allgegenwärtig: Da streiten Familien. Da verzweifeln einsame Menschen. Da nimmt der Krieg in der Ukraine und anderen Orten dieser Welt kein Ende. Die Zerstörung ist greifbar: sinnlose Gewalt, Verzweiflung, Trauer und Resignation.

Im Buch des Evangelisten Johannes finden sich zu Beginn die Worte: «Das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht ergriffen.» Beides ist da, Licht und Finsternis, aber das Licht ist stärker. Für den Johannes-Evangelisten ist dieses Licht Christus. Das Wesentliche an der Weihnachtszeit liegt darin, die Finsternis einzugestehen, in unserer Welt, an unserem Lebensort, aber auch im persönlichen Leben. Und die Sehnsucht zu bewahren, dass es anders sein könnte, heller, farbiger, schöner. Dieses Hoffnungslicht lässt sich von der Finsternis nicht überwältigen.

Daniel Winkler, Pfarrer aus Riggisberg

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Gegensätze im Advent

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