Wie ich die Welt sehe
«Kennst du das Gefühl, vor Glück beinahe zu explodieren? Dies empfinde ich, wenn ich bei Tieren bin. Wenn ich abends im Stall sitze, den Kopf einer Ziege auf meinem Schoss, und mein Blick sehnsüchtig zu den Sternen schweift, oder der Schein des ersten Morgenlichts den Himmel in ein warmes rötliches Licht taucht, als Vorbote eines neuen wunderbaren Tages, dann empfinde ich pures Glück. Mein Name ist Aliénor. Ich bin 16 Jahre alt und gehe in die 10. Klasse einer Steinerschule. Manchmal mache ich mir Sorgen um unsere Welt, wenn ich zum Beispiel sehe, wie viele Menschen mit den Tieren umgehen. Ich liebe alle Tiere. Von der kleinsten Spinne bis zum stolzen Pferd. Aus diesem Grund esse ich auch kein Fleisch. Sie sind meine Freunde. Meine Geschwister. Ich sehne mich nach einer Welt, in der Mensch und Tier – ja alle Lebewesen – auf Augenhöhe miteinander leben. Eine Welt, in der wir wieder alle eine Familie sind. So wie einst die Indianer. Ich wünsche mir, dass die Menschen weniger machthungrig, geldgierig und konsumorientiert sind, sondern bescheidener und naturverbundener, dankbarer, respektvoller und einfühlsamer. Dass sie sich wieder mehr den wesentlichen Dingen widmen und ihre Beziehungen zu allen Lebewesen pflegen. Wenn die Menschen weniger von Egoismus und Konkurrenzdenken getrieben würden, wären sie auch friedlicher untereinander. Ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen, indem ich meinem Herzen folge und für meine Werte einstehe. Indem ich mich lieber in der Natur aufhalte statt am Bildschirm, indem ich mit lebendigen Menschen spreche statt mit dem Handy. Könnte es nicht eine Welt geben, in der sich die Politiker für die Gerechtigkeit zwischen allen Wesen einsetzen? Eine Welt, in der die Tiere nicht bloss als Gegenstände angeschaut werden, die man beliebig nutzen kann. Eine Welt, in der der Schutz der Natur als höchstes Gebot gilt. In der die Menschen die wilden Lande bedingungslos lieben und von ihnen lernen. Eine Welt, in der wir Menschen wieder ein Teil der Natur sind.»
Aliénor Sommer, 16
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Früher weniger Hektik
S: «Mir ist wichtig, dass man zueinander schaut und das Gegenüber so akzeptiert, wie es ist. Allgemein empfinde ich, dass das Soziale in unserer Gesellschaft abgenommen hat. Manchmal habe ich das Gefühl, ich erzähle etwas, aber der andere hört mir gar nicht mehr zu.»
H: «Wenn ich als Hauswart arbeite, erschrecken die Bewohner manchmal fast, wenn ich sie grüsse – so Sachen beschäftigen mich. Auch, wenn die Gespräche nur noch oberflächlich bleiben. Miteinander zu ‹brichten› ist mir wichtig. Jedoch hat heute kaum mehr jemand Zeit. Ich glaube, früher hatten wir diese Hektik noch nicht. Meine Grosskinder wissen, der Grossätti spricht langsamer, und müssen sich daran gewöhnen. Manchmal sagen mir Jüngere, ich soll zur Sache kommen. Doch ich möchte fertig erzählen, etwa wenn ich meine Erfahrung oder mein Wissen von früher weitergebe. Man wird jeden Tag älter, es fühlt sich an, als würde alles immer schneller werden. Doch die Zeit geht nicht schneller vorbei, ich denke, wir Älteren werden langsamer.»
S: «Mir macht manchmal Sorgen, dass die Kinder nicht mehr wissen, wie man gewisse Sachen macht, etwa, analoge Uhren zu lesen. Was mich wiederum ermutigt, ist, wenn Junge einen handwerklichen Beruf lernen wollen. Die Weltlage hingegen macht mir sehr zu schaffen – nicht so sehr für mich, aber für unsere Nachkommen, vor allem für die Grosskinder. Viele Leute sagen, dass sie keine Zeitung mehr lesen, kein Fernsehen schauen, es sei sowieso nur Schlechtes drin. Doch sich nicht zu informieren gefährdet unsere Demokratie.»
H: «In der Politik finde ich es traurig, wenn niemand mehr Verantwortung übernimmt. Ich habe es noch erlebt, dass jemand an der Gemeindeversammlung zugab, wenn er ‹einen Seich› gemacht hat.»
S: «Allgemein stelle ich fest, dass man sich weniger getraut, nachzufragen. Vielleicht weil man nicht möchte, dass die anderen denken, man komme nicht draus? Und etwas anderes: Viele ältere Leute leiden unter Einsamkeit, sitzen den ganzen Tag in ihren Wohnungen. Auch die zunehmende Armut, die Ungleichheit in der Schweiz macht mir Sorgen.
H: «Dass wir zwar älter geworden, aber immer noch gesund und beweglich sind, macht mich dankbar. Für unsere Gesundheit ist auch wichtig, dass wir Manches den Jungen überlassen und uns nicht immer einmischen oder lange daran herumnagen.»
S+H: «Wir sind ‹zwäg›, es geht uns gut. Wir sind viel unterwegs, gehen Velo- oder Skifahren oder unternehmen Wanderungen. Es ist das Schönste, wenn man jeden Tag aufstehen kann – wir sind dankbar.»
Silvia und Hans Schneider, 74 und 76; seit 52 Jahren verheiratet